Hierzulande leben vier Millionen Muslime. Die meisten von ihnen sind integriert, nicht gewalttätig und sehen in Deutschland ihre Heimat. Doch zwischen Terrorwarnungen, Kopftuchkontroversen und Überfremdungsängsten gelten sie vielen nur als Problemfall. Eine Bestandsaufnahme islamophober Einstellungen in Deutschland.
von fabik, rokko rehbein, Frank & sanni
Unscheinbar versteckt sich der kleine Aushang im Blättermeer des Schwarzen Bretts im Uni-Foyer: „Zimmer zu vermieten“ steht da in den gewohnt großen Lettern. Ungewohnt dagegen ist dieses Angebot in einer von Studenten überfüllten Stadt. Dass das Zimmer seit Monaten keinen neuen Mieter findet, hat vor allem einen Grund: die Religion seines Vermieters. Luay (35) kam vor über zehn Jahren als Student aus Palästina nach Deutschland – und er ist Muslim. Das Problem, womit Luay hier häufig zu kämpfen hat, nennt sich Islamophobie. Kritiker bezeichnen den Ausdruck als Instrument und Kampfbegriff, der die legitime Kritik am Islam diffamieren soll. Wer Luay länger zuhört, dem wird aber schnell klar, dass Islamophobie weit mehr als nur ein Kampfbegriff angeblich paranoider Multikulti-Schwärmer und viel mehr als die bloße Angst vor der Religion des Islam ist. Es ist Rassismus gegenüber Muslimen, der mehr und mehr zum Grundkonsens der deutschen Gesellschaft wird.
Muslime gelten als Problemfall – und nichts sonst
Von der Kirche über die politische Linke bis hin zur NPD: In ihren Vorbehalten gegenüber Muslimen ist sich ein Großteil der Gesellschaft mittlerweile einig. Ob es der deutsche Papst Joseph Ratzinger (der Prophet Mohammad habe nur Schlechtes gebracht), die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer (Muslime seien die „Faschisten des 21. Jahrhunderts“) oder die stoischen Integrationsforderungen an Muslime aus allen politischen Lagern sind: Muslim in Deutschland, das bedeutet nicht selten, nicht nur Anhänger einer Religion unter vielen zu sein, sondern ein Problemfall.
Mehr als zwei Drittel der Deutschen, so eine Allensbach-Umfrage, halten ein friedliches Zusammenleben mit der islamischen Welt mittlerweile für unmöglich. Mehr als jeder Zweite erwartet in Zukunft stärkere Spannungen mit der muslimischen Bevölkerung in Deutschland. Und immerhin 40 Prozent der Deutschen befürworten eine Einschränkung der Religionsfreiheit für Muslime. Das Problem ist nur: Wer von den Befragten stand je in engerem Kontakt zu Muslimen, hat muslimische Freunde oder war je im islamischen Ausland? Was weiß man eigentlich überhaupt über Muslime?
In einem Land wie Thüringen mit einem muslimischen Bevölkerungsanteil von 0,17 Prozent bleibt oft genug nur das im Gedächtnis haften, was man in den Nachrichten gehört oder gelesen hat. Und diese überbieten sich im täglichen Schlagzeilenwettkampf gegenseitig. Durchsucht man die Archive von FAZ bis Süddeutsche, von TAZ bis Spiegel nach dem Stichwort „Islam“, so stößt man fast immer auf „Ehrenmord“, „Zwangsheirat“, „kriminelle Jugendliche“ und „Terror“. Die Cover und Aufmacher von Nachrichtenzeitschriften und -sendungen schaffen regelmäßig ein Klima, in welchem Muslime als immer größer werdende Bedrohung stigmatisiert werden – ein Zustand, der in Wahrheit aber eine immer größer werdende Bedrohung für die Muslime selbst darstellt.
„Plötzlich tauchte mein Name beim BKA auf.“
„Die Bombenlegerscherze sind einfach nervig“, sagt Luay, und seine Stimme unterstreicht wie ernst er dies meint. Klar habe er am Anfang auch noch gelacht, aber irgendwann sei es einfach nicht mehr lustig gewesen. Die Anekdoten, von denen Luay berichtet, sind endlos. Von Behörden, die ihn erst einmal als potenziellen Terroristen abstempelten über erniedrigende Befragungen bis hin zu den kleinen und alltäglichen rassistischen Späßchen.
Islamfeindlicher Rassismus in Deutschland spiegelt sich nicht nur in Gewalttaten wider, nicht nur in dem Mord an der Ägypterin Marwa al-Sherbini, die in einem Dresdner Gerichtssaal mit 18 Messerstichen umgebracht wurde. Das Problem manifestiert sich nicht nur in Brandanschlägen auf Moscheen (wie dieses Jahr in Stadtallendorf und Hilden) und anti-islamischen Slogans, die in immer mehr Städten die Häuserfassaden zieren. Es zeigt sich auch in systemischen Ungleichbehandlungen, die sichtbar werden, wenn etwa in sieben deutschen Bundesländern mit Verweis auf die staatliche Neutralität in Glaubensfragen Kopftücher verboten werden – Kruzifixe, Nonnenhabite und Rosenkränze aber erlaubt bleiben. Es zeigt sich in permanenten Verdächtigungen oder im regelmäßigen Aufschreien von linken und rechten Bürgervereinigungen, wenn Muslime wie jede andere Religionsgemeinschaft das Recht einfordern, Gebetshäuser bauen zu dürfen. Es zeigt sich viel zu oft in der Grundstimmung in Deutschland.
Unter welchem Generalverdacht Muslime in Deutschland mittlerweile stehen, zeigt ein Anruf, den Luay kurz nach den Anschlägen 2001 erhielt: „Das Akademische Auslandsamt rief bei mir an.“ Luays Name sei in der BKA-Rasterfahndung aufgetaucht, erklärte die Behördenleiterin. Luay hatte die fünf Bedingungen des BKA erfüllt, welche so nichtssagend wie willkürlich waren: Beziehungen zum Nahen Osten, ein technischer Studiengang, finanzielle Unabhängigkeit, gutes Beherrschen der deutschen Sprache, viele Auslandsreisen.
Das Internet als Speerspitze der islamophoben Hetze
Vor allem im Internet hat die Hetze gegen Muslime in den letzten Jahren menschenverachtende Ausmaße angenommen. Blogs mit Namen wie jihad-watch, Akte Islam, die grüne Pest, die Achse der Guten oder politcally incorrect (PI) veröffentlichen Namen, Adressen und Bilder muslimischer Straftäter, egal ob es sich um einen 14-jährigen Ladendieb oder einen international gesuchten Terroristen handelt. Sie publizieren stolz Bildergalerien von Kopftuch tragenden Frauen, daneben Ort und Zeitpunkt der Aufnahme, und sammeln bzw. kommentieren alles, was aus ihrer Sicht irgendwie auf die islamische Bedrohung hinweist. Aber hinter Blogs wie PI stecken keine Mitglieder wie der im Untergrund agierende Nazi-Kader. Dort finden sich Leute wie der Spiegel-Autor Henryk M. Broder, die Kreuzberger CDU-Politikerin Vera Lengsfeld oder der ehemalige FAZ-Redakteur Udo Ulfkotte (Interview Seite 10).
Das stolz verkündete Ziel von Webseiten wie PI, die mit 40.000 Lesern zu den größten deutschen Blogs gehört, ist es, die angebliche Islamisierung Europas zu verhindern – Forderungen, die noch vor ein paar Jahren nur bei der rechtsextremen NPD zu finden waren. Die alarmierenden Slogans, die pi-news jeden Tag über die Webgemeinde loslässt, sind so menschenverachtend wie austauschbar: „Oktoberfest im Zeichen des Islam-Terrors“, „Kulturbereicherer überfallen Technoparade“, „Mehr Zuwanderer im Bundestag“, „Südländer treten halbseitig Gelähmten tot“.
Die Artikel sollen suggerieren: Der Islam und seine Anhänger sind rückständig, unzivilisert, gewalttätig und planen insgeheim die Machtübernahme der Welt. Das sind typische, entmenschlichte Zuordnungen, aus denen sich Rassismen von jeher nährten. Auf Blogs wie PI wird längst nicht mehr über den Islam diskutiert, es wird stereotypisiert, verurteilt und gehetzt. Der Islam wird zur „totalitären Ideologie“ erklärt, dessen Eroberungszeichen sich überall dort zeigen, wo man sie finden will: in den Moscheebauten in Duisburg und Köln oder dem türkischen Einkaufsratgeber der hessischen Verbraucherzentrale. Banale Phänomene wie das Angebot schweinefleischloser Pizzen bei Aldi werden zum Beispiel der angeblich zunehmend um sich greifenden Unterwerfung.
„Sind Sie Terrorist?“
Auch Luay weiß, wie es ist, plötzlich an den Pranger gestellt zu werden, kein gleichberechtigter Mensch mehr, sondern eine potentielle Gefahr zu sein. Im Frühjahr 2009 lief seine Aufenthaltsgenehmigung aus. Vor der Verlängerung, so ließ man ihn wissen, müsse er sich einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen. Immer wieder wurde diese und damit die Verlängerung seines Aufenthaltsstatus verschoben – insgesamt sechs Monate lang. Letztendlich fand sich Luay an einem Tisch mit einem Beamten des Innenministeriums wieder: „Sind sie Mitglied einer terroristischen Vereinigung? Haben Sie ein Ausbildungs- oder Trainingslager besucht? Sind sie nach Pakistan oder Afghanistan gereist?“. „Es ist einfach absurd“, sagt Luay. Erst wenn man Menschen wie ihm gegenüber sitzt, er vom „Psychokrieg“, der „permanenten Angst“ vor Abschiebung und monatelangen Schlafstörungen redet, bekommt man einen kleinen Eindruck davon, was es in Deutschland bedeutet, Muslim zu sein.
Der Islam wird zum Instrument erweiterter Außenpolitik
Warum ist es gerade der Islam, der uns solche Angst bereitet, der solch starke Vorurteile in uns weckt? Eine Erklärung mag sein, dass ein einfaches Freund-Feind-Schema besonders denen, die angesichts der Komplexität der Welt überfordert sind, hilft, wieder Orientierung zu finden. Es gibt aber auch eine eine historische Begründung, nach der bereits das gesamte europäische Mittelalter nicht ohne die Abgrenzung zum Islam funktioniert zu haben scheint. Kreuzzüge, Reconquista, die osmanische Belagerung Wiens: Immer wieder war es der Kampf gegen die „islamische Bedrohung“, welcher die zerstrittenen europäischen Völker zusammenrücken ließ. Der unüberbrückbare Unterschied zwischen Orient und Okzident, zwischen „islamischer Barbarei“ und „westlicher Zivilisation“ war demnach ein maßgebliches, konstituierendes Moment der europäischen Identität.
Angesichts der vermeintlichen Gewaltbereitschaft, die vom Islam ausgehe, wird der Westen zum Hort des Friedens, das Christentum zum Bewahrer des Humanismus, die USA zur Friedensmacht stilisiert: Sklaverei, Kolonialismus, Weltkriege und Imperialismus werden bedeutungslos angesichts der realen oder vermeintlichen Gefahren des Islam. Die islamische Welt wird homogenisiert, als ob Mohammeds Kalifat noch immer bestehen würde. Samuel Huntington, das Idol jedes neuzeitlichen Kulturkämpfers, beschreibt in seinem Buch „Who we are“ den Islam als idealen Feind, über den Amerika zu sich selbst und zur nationalen Einheit finden könne. Der Islam wird reduziert zu einem weiteren Instrument der Außenpolitik.
Jeden Tag wird der Islam neu erfunden
Bis heute lässt sich so der „Fremdgruppe“, dem Islam, nahezu alles zuschreiben, was der westlichen Kultur widerspricht:fehlender Individualismus, ausbleibende Gleichberechtigung, anachronistische Unzivilisiertheit. Diese auf der angeblichen Rückständigkeit beruhende Ablehnung des Islams erleichtert uns die Befürwortung der modernen westlichen Welt mit all ihren Vor- und Nachteilen. Wie bei jedem anderen Rassismus bedarf es keiner homogenen muslimischen Gruppe, geschweige denn einer muslimischen Rasse, um ihre Angehörigen pauschal hassen zu können. In Internetblogs, Terrorwarnungen und Zeitungskommentaren wird der Islam so jeden Tag neu erfunden.
Auch Luay ist Teil dieser erfundenen muslimischen Welt. Es falle ihm oft schwer, in Deutschland Kontakte zu Deutschen zu knüpfen, erzählt er gegen Ende unseres Gesprächs. Zufällige, z.B. in Seminargruppen geschlossene Bekanntschaften beantworten ihm zwar Fragen, wirkliches Interesse an seiner Person, geäußert etwa durch Gegenfragen, bleibe aber aus. Ausgrenzung sei für ihn Normalität, erst recht, wenn er erzähle, dass er aus einem islamischen Land kommt. Für sein Zimmer fand er dennoch irgendwann einen Abnehmer, einen Jura-Studenten. Als dieser später wieder auszog, fragte Luay ihn: „Sag’ mal, hast du gar keine Angst vor mir gehabt?“ – „Doch“, antwortete der Mieter, „am Anfang schon. Es war ein seltsames Gefühl hier einzuziehen – bis ich euch schließlich kennengelernt habe.“
Bild: Frank, Collage von Bildern aus „Der Spiegel„
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