„Wir sollten arbeiten, sonst nichts“

In ihrer preisgekrönten Graphic Novel Madgermanes widmet sich die Hamburger Zeichnerin Birgit Weyhe dem Schicksal mosambikanischer Vertragsarbeiter in der DDR – und stellt dabei hochaktuelle Fragen nach Zugehörigkeit, Fremdheit und Heimat.

von Frank

Als Erklärung für die verbreitete Fremdenfeindlichkeit in ostdeutschen Bundesländern wird häufig angeführt, die Bevölkerung der DDR sei die Gegenwart von „Fremden“ nicht gewohnt gewesen und habe über Jahrzehnte nur wenig Berührung mit Ausländern gehabt. Tatsächlich lebten 1989 noch rund 190.000 Ausländer in der DDR, etwa die Hälfte als Beschäftigte in den Betrieben. Die überwiegende Anzahl solcher Vertragsarbeiter stammte aus Vietnam. Mosambik – seinerzeit ebenfalls „Volksrepublik“ – stellte die zweitgrößte, heute fast vergessene Gruppe.
Dass es Kontakt zwischen den afrikanischen „Fremden“ und der DDR-Bevölkerung – obwohl von der Staatsführung nicht gewollt – sehr wohl gegeben hat, zeigt Birgit Weyhe in ihrer Graphic Novel Madgermanes. Mehr noch: Aus ihren Recherchen und zahlreichen Interviews kondensiert Weyhe drei fiktive Biografien, anhand derer sie auf eindrückliche Art eine doppelte Entwurzelung, ein Fremdsein in der Fremde und in der Heimat, deutlich macht.
Beginnend 1979 kamen insgesamt rund 20.000 Vertragsarbeiter aus der Volksrepublik Mosambik, wo seit zwei Jahren Bürgerkrieg herrschte, in die DDR. Die mosambikanische Regierung wollte – so die Losung – die neue Elite des Landes in Europa „bei unseren sozialistischen Brüdern“ ausbilden lassen; die junge Generation Mosambiks hoffte auf eine Ausbildung und gute Verdienstmöglichkeiten. Mit Interflug kamen sie nach Ost-Berlin, Flughafen Schönefeld, von da aus nach Hoyerswerda, Wismar, Ilmenau, Karl-Marx-Stadt. Drei Monate Sprachkurs, danach: Hilfsarbeiten bei Baubrigaden, im Braunkohleabbau, für die Frauen meist in der Textil- oder Elektroindustrie. Denn für die DDR sollten die „sozialistischen Brüder und Schwestern“ aus Ostafrika eigentlich nichts weiter als billige Arbeitskräfte sein und so wenig Kontakt wie möglich zur einheimischen Bevölkerung aufbauen; schwangere Frauen wurden sofort abgeschoben.
Wie Weyhe immer wieder deutlich macht zeigten sich nicht selten Probleme mit Rassismus gegen „die Neger“, etwa beim Besuch deutscher Gaststätten. Eine neue Dimension wurde nach der Wiedervereinigung erreicht, als im September 1991 ein gewalttätiger Mob das Vertragsarbeiterheim in Hoyerswerda angriff: „Plötzlich hat es auf der einen Seite des Hauses gebrannt… Und die Polizei hat einfach zugesehen“, erinnert sich einer der Protagonisten in Madgermanes.

„Aha, noch so ein feiner Herr aus Germany… geh‘ doch zurück, wenn es dir hier nicht passt.“

Die allermeisten der Vertragsarbeiter aber hatten nach der Wende ihre Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis verloren, waren nach Mosambik zurückkehrt – und wurden dort oft zu Fremden im eigenen Land. „Madgermanes“ wurden die ehemaligen Vertragsarbeiter in ihrer Heimat genannt – ein Begriff, der nicht zufällig an eine Verballhornung von „Made in Germany“ erinnert. Was sie während ihrer Tätigkeit als Hilfsarbeiter in Europa gelernt hatten, brachte ihnen in der Heimat kaum etwas.


Sie erlebten eine neue Form der Einsamkeit, anders als die in der Fremde: Es ist die Einsamkeit des Heimkehrers, denn er kehrt nicht in dieselbe Heimat zurück, aus der er fortgegangen ist – schon gar nicht nach einem jahrelangen Bürgerkrieg, durch den das Land zerstört wurde, Familie und Freunde oft umgekommen waren. Die „Madgermanes“ wurden dafür als Drückeberger beschimpft und als vermeintlich reiche Rückkehrer aus Europa beneidet – dabei war gut die Hälfte ihres Lohns für eine angeblich spätere Zahlung einbehalten worden; sie warten bis heute auf das Geld.
In ihrem gemeinsamen Schicksal des Ausgestoßenseins fanden die Rückkehrer zusammen: Bis heute sind die „Madgermanes“, wie sie sich – halb aus Trotz, halb aus Stolz – auch selbst nennen, eine gut vernetzte Community in Mosambik; regelmäßig demonstrieren sie in der Hauptstadt Maputo, um endlich ihr erarbeitetes Geld zu erhalten.
Trotz Desillusionierung und Ausbeutung würden viele die Zeit in der DDR rückblickend als die glücklichste ihres Lebens bezeichnen. Da ist eben auch die wehmütige Erinnerung an die Jugendzeit: an heimliche Feiern mit deutschen Frauen, den ersten Schnee, an deutsche Schokolade. Gespickt sind die Seiten der Graphic Novel darum immer wieder mit Zeichnungen von allerlei Postkarten, Produkt-Etiketten oder Film- und Wahlplakaten, meist samt zeitgenössischer, real-sozialistischer Symbolik. Besonders im Gedächtnis bleibt der Umgang der Zeichnerin mit einem Brief an eine Protagonistin; er enthält Nachrichten aus dem Bürgerkrieg, von Erschießungen, Vergewaltigungen: Birgit Weyhe „bebildert“ die innere Leere – durch zwei vollends schwarze Seiten.
Es sind solche Erinnerungen und Gefühlsregungen, die Madgermanes zu visualisieren versteht; Heimweh, Verliebtsein, das Ver- und Entwirren des „Erinnerungsfadens“, aber auch „banale“ Sinneseindrücke wie Gerüche, fängt sie auf eindrucksvolle, oft auch humorvolle Weise ein.
Auffallend ist dabei die Verbindung aus europäischem Comic-Stil und afrikanischen Gestaltungselementen, wobei Weyhe bewusst mit Afrika-Klischees spielt und gleichzeitig das doppelt Entwurzelte einfängt: das Gefühl des Fremdseins in Fremde und Heimat – und die Schwierigkeit, beides zu unterscheiden. Die in Hamburg lebende Zeichnerin kennt dieses „Zwischen den Kulturen“ auch aus eigenem Erleben: Sie verbrachte einen Großteil ihrer Jugend in Uganda und Kenia, kehrte mit 19 Jahren wieder nach Deutschland zurück. Als Comic, „der in seiner Bild- und Erzählsprache selbst die Grenzen zwischen afrikanischer und europäischer Kultur überschreitet“, lobte auch die Jury Birgit Weyhes Schaffen, als sie den mit 15.000 Euro dotierten Comicbuchpreis der Berthold-Leibinger-Stiftung zugesprochen bekam. Daneben wurde Madgermanes auch beim diesjährigen Internationalen Comic-Salon Erlangen mit dem renommierten Max-und-Moritz-Preis in der Kategorie „Bester deutschsprachiger Comic“ ausgezeichnet.
Weyhe rückt nicht nur ein vergessenes Kapitel deutsch-afrikanischer Geschichte ins Licht der Öffentlichkeit, sondern macht auch sicht- und nachvollziehbar was es heißt, weder wirklich zu dem einen noch zu dem anderen Land zu gehören. Eine Protagonistin resümiert: „Wir sind alle ohne Bindung, ohne Anker, schwebend zwischen den Kulturen. Egal ob wir zurückkehren oder bleiben.“

Birgit Weyhe:
Madgermanes
Avant-Verlag 2016
240 Seiten
24,95 €


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