Jenaplan in Japan: Der japanische Erziehungswissenschaftler Hiroyuki Sakuma erforscht die Reformpädagogik an der Universität Jena.
Die Tamagawa University in Japan ist eine ganz besondere Hochschule. Sie hat sich einem reformpädagogischen Ansatz verschrieben, lebt ein ganzheitliches Prinzip, bei dem immer der Mensch im Mittelpunkt von Ausbildung und Forschung steht. Deshalb gehört zum Komplex im Südwesten Tokios nicht nur eine Universität, sondern auch ein Kindergarten und eine Schule, in der Kinder und Jugendliche von der ersten bis zur zwölften Klasse lernen. Kuniyoshi Obara, der den Campus in den 1920er Jahren gründete, war es wichtig, für die Entwicklung seiner Ideen und des Konzeptes für die Tamagawa University über den Tellerrand des ostasiatischen Inselstaates hinauszuschauen und reformpädagogische Konzepte weltweit als Inspiration zu nutzen.
Dieser Tradition folgt auch Prof. Hiroyuki Sakuma von eben dieser Tamagawa University, der seit Jahren mit dem Institut für Bildung und Kultur der Friedrich-Schiller-Universität Jena kooperiert und regelmäßig zu Forschungsaufenthalten in Jena ist – gerade ist er erneut an der Saale eingetroffen. Besonders das reformpädagogische Konzept des Jenaplans hat es ihm angetan. Mehr als 20 Jenaplan-Schulen in Deutschland und den Niederlanden hat er bereits besucht. Nun will er im Archiv der Universität Jena Originalhandschriften des Jenaplan-Gründers Peter Petersen und Protokolle aus den Anfängen der alternativen Schule studieren. Dabei interessiert er sich besonders für die Gruppenarbeit innerhalb des Unterrichts – eines der grundlegenden Elemente des Jenaplan-Konzepts. Schüler lernen hier in altersübergreifenden Gruppen und entwickeln selbstständig Projekte. „Auch in Japan ist diese Methode sehr beliebt, allerdings wird dabei weniger auf eine Durchmischung der Altersgruppen gesetzt“, sagt Hiroyuki Sakuma. „Im japanischen Schulsystem wird eher Homogenität groß geschrieben.“ Vor- und Nachteile von Gruppenarrangements praktisch und theoretisch zu erforschen, ist das aktuelle Ziel des japanischen Pädagogen.
In den kommenden drei Jahren möchte er – gefördert von der Japan Society for the Promotion of Science – mehr über die Effekte der heterogenen Gruppenarbeit erfahren. „In Japan gilt die Schule immer als Vorbereitung auf die nächste Stufe. Es geht darum, die nächste Klasse und schließlich die Befähigung für die Universität zu erreichen“, sagt der japanische Gastwissenschaftler. „Doch inzwischen gibt es vermehrt Bestrebungen, diese Struktur aufzubrechen, stärker auf Individualisierung zu setzen und dem Einzelnen in der Gemeinschaft mehr Raum einzuräumen.“ Deshalb existiere der Trend hin zu mehr Alternativschulen. Deren Konzepte jedoch bedürfen einer reflektieren Grundlage. Und allgemein gebe es zwar reformpädagogische Schulen in Japan, doch herrsche im gesamten Schulwesen in der Regel noch Frontalunterricht und nicht die freie Arbeit, wie sie im Jenaplan vorgesehen ist. Sakuma sieht seine pädagogische Grundlagenforschung als Beitrag zur praktischen Schulreform. Dabei ist der Besuch an der Universität Jena für ihn besonders bedeutsam – nicht nur, weil hier wichtige Schriftstücke im Archiv zu finden sind. „Es ist eine große Ehre, gerade hier in Jena zu sein“, sagt Sakuma. „Viele große Vertreter unserer Disziplin, wie etwa Friedrich Fröbel, Hermann Lietz oder eben Peter Petersen, die auch in Japan sehr bekannt sind, haben hier studiert oder gewirkt. Und an unserer Universität muss sich jeder mit Beethovens 9. Sinfonie auf Deutsch beschäftigen – also kennt auch jeder Schillers ,Ode an die Freude‘.“
In den kommenden drei Jahren wird Sakuma regelmäßig in Jena zu Gast sein. Sein Gastgeber Prof. Dr. Dr. Ralf Koerrenz begrüßt die intensive Zusammenarbeit mit seinem japanischen Kollegen. „Wir hier am Lehrstuhl für Historische Pädagogik und Globale Bildung profitieren enorm von einem solchen Erfahrungsaustausch“, sagt der Jenaer Erziehungswissenschaftler, der im vergangenen Jahr selbst eine Vortragsreihe an der Tamagawa University gehalten hat. „Die gemeinsame Zeit mit Hiroyuki Sakuma nutzen wir außerdem dazu, neue Projekte anzustoßen, mit denen wir die Zusammenarbeit weiter intensivieren können.“
(Quelle: FSU Jena Pressestelle)
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