Die richtigen Fragen stellen – vor allem sich selbst

Persönliche Antworten auf direkte Fragen: mit diesem Konzept zieht der Videoblog „Frag ein Klischee“ seit Langem gegen Vorurteile zu Felde. Eine Auswahl dieser Interviews ist nun auch in Buchform erschienen.

von Frank

„Das Format, bei dem Ihr die Fragen stellen könnt, die Ihr euch sonst nicht laut zu stellen traut“ – mit diesem Anspruch präsentiert die Berliner Medienschmiede Hyperbole TV nun seit geraumer Zeit im Internet die Video-Interviewreihe Frag ein Klischee. Und unter anderem für diesen Ansatz – wenn auch nicht für das konkrete Format – erhielt das Team 2015 den renommierten Grimme Online Award (verliehen in diesem Fall „für Gesamtverantwortung und Redaktion“). Weit über 200 dieser Frag ein Klischee-Videos existieren mittlerweile, die über sieben Millionen mal geklickt wurden. Die Reihe wird immer noch fortgeführt.
„In unserer immer toleranten Welt haben wir zwar gelernt, verschiedenste Lebensformen zu akzeptieren, verstehen sie aber oft nicht“, schreibt das Team von Hyperbole TV im Vorwort des nun erschienenen Bandes Typisch!, feststellend: „Die Angst, missverstanden zu werden, hindert uns daran, Fragen zu stellen, die uns bewegen.“
Fragen werden deswegen auch jede Menge gestellt – und die im Untertitel des Buches angekündigten „155 unverblümten Antworten auf Vorurteile“ reichen dabei von  individuellen Anekdoten aus dem Sexleben einer Asexuellen bis hin zu wirtschaftspolitischen oder medizinischen Mini-Referaten. Teils sind die Antworten aufschlussreich hinsichtlich „Expertenwissen“ (vor allem bei Berufsgruppen, sei es der der Metzger, der Psychologe oder die Burlesque-Tänzerin), teils sehr individuelle Erfahrungen oder Befindlichkeiten. Und manches bleibt schlicht als kurios haften, etwa wenn Bestatter Thomas von Hehl auf die Frage, ob er mit dem Flirten Schwierigkeiten habe, sobald er seinen Beruf erwähnt, entgegnet: Das sei gar nicht negativ, denn viele Frauen fänden es sogar interessant und man komme damit recht schnell ins Gespräch.
Fast zwangsläufig bleiben manche der Kurzinterviews ein wenig nichtssagend oder an der Oberfläche. Oft entscheidet sich die Art der Beantwortung einfach daran, ob die Protagonisten die Fragen auf sich als Einzelperson oder auf sich als „Klischee-Vertreter“ beziehen. Dahinter steckt dann nicht weniger als die prinzipielle Frage: Wie sehr prägt „ihr“ Klischee eigentlich die Befragten, ist ausschlaggebend für ihre Antworten, strukturiert ihre Sichtweisen? Ist es nicht vielmehr ihr gutes Recht, sich selbst eben nicht als bloße Verkörperung einer bestimmten Gruppe (sei es einer Glaubensgemeinschaft, einer sexueller Passion oder eines „Handycaps“) zu definieren? Man kann hier das strukturelle Problem – und vielleicht die Schwäche des eigentlich gutgemeinten Konzepts – erkennen: Es gibt selbstverständlich nicht „den“ Bodybuilder oder „die“ Lesbe; auch ein Müllmann ist nicht nur Müllmann, eine Dragqueen nicht ausschließlich Dragqueen. Ebenso wenig kann man sich einreden, man „kenne“ durch Dieter jetzt „die“ Obdachlosen; wüsste über ihr Schicksal bescheid. Dabei spricht der nur beim Vornamen genannte Dieter in seinen Antworten sogar noch eher allgemein über die „Szene“; andere der Befragten sprechen wirklich nur über sich als Individuum. Und dabei werden dann teilweise eben auch Klischees reproduziert – etwa das vom sexuell hyperaktiven Schwulen („Oh Gott, wie viele Männer hatte ich? Viele, viele, viele.“)
Auch bleibt der Erkenntnisgewinn für alle Beteiligten sehr begrenzt, wenn man jemanden, der sich „Der Demonstrant_DD“ nennt (nomen es omen?), auf seltsam zensierte Art eine Polizistin fragen lässt: „Wie kann man bloß für dieses bexxxx Staat arbeiten?“ – sind das wirklich (um auf das im Vorwort formulierte Anliegen der Herausgeber zurückzukommen) die „Fragen, die uns bewegen“?
In gewisser Weise ausgeglichen werden solche Mankos durch die sympathische Art der befragten Protagonisten: Oft locker sarkastisch, meist verständnisvoll, immer offen geben sie auch interessante Eindrücke zur Wahrnehmung der „Mehrheitsgesellschaft“ durch die Befragten.
Wer etwas näher an den Menschen hinter den Kategorien sein möchte, sollte dem Buch dabei die audiovisuelle Variante im Web vorziehen. Mimik, Gestik, ein „Äh“ oder ein unfreiwilliges (oder auch ein gekünsteltes) Lachen können dem „Gespräch“ wesentlich mehr Authentizität einhauchen. Oder noch besser: Man sucht vielleicht ein persönliches Gespräch. Es muss ja zum Einstieg nicht grade die Frage sein „Verdienst du dein Geld als Dieb und Dealer?“

Hyperbole (Hrsg.):
Typisch! 155 unverblümte Antworten auf Vorurteile
Kein & Aber Verlag 2016
192 Seiten
12,90€


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