Der Nachhaltigkeitsforscher Hans Holzinger fordert in seinem neuen Buch Von nichts zu viel – für alle genug. Perspektiven eines neuen Wohlstands eine Abkehr von der Konsum-kultur und beschreibt vielfältige Wege zu mehr Nachhaltigkeit und Lebensqualität.
von Martin
Wie sieht Wohlstand aus? Glaubt man den gängigen Narrativen aus Wirtschaft und Werbung, dann ist Wohlstand vor allem eines: viel besitzen, viel konsumieren und viel tun können. Diese rein ressourcenorientierte Perspektive definiert ein gutes Leben nur am Maßstab des Mehr. Billige Produkte und aggressive Werbung verbreiten diese Botschaft tagtäglich. Die Finanzkrise, die Umweltkrise und der Klimawandel machen als alles beherrschende Themen jedoch deutlich, dass dieser Lebensstil nicht zukunftsfähig ist. Auch in den hiesigen Wohlstandszonen wird zunehmend klar, dass ein gutes Leben anders aussieht. Aber wie?
Der österreichische Nachhaltigkeitsforscher Hans Holzinger legt dazu in seinem Buch eine vielseitige Betrachtung vor, die den Reduktionismus zum Ausgang für einen neuen Lebensstil machen möchte – frei nach dem Motto: Weniger ist mehr. Holzinger, langjähriger Mitarbeiter an der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg, will das „rechte Maß in allen Dingen“ wiederentdecken, um auf dieser Basis Grundrisse einer Postwachstumsgesellschaft skizzieren zu können. Das rechte Maß wird dabei zu einem Ausgangspunkt für eine neue – faire – Verteilung von Wohlstand: Jeder soll nur das Notwendige bekommen. Der Befriedigung von Grundbedürfnissen wird dabei ein Vorrang eingeräumt, damit jeder Mensch sein Leben frei und ohne Mangel gestalten kann. Wohlstand wird so an der erzeugten Lebensqualität gemessen. Der Autor schreibt: „Genug für alle bedeutet in einer endlichen Welt auch: für niemanden zu viel.“ Die Kunst des guten Lebens – und damit einer guten Regierungs- und Wirtschaftsführung – bestünde damit in einem immer neuen Nachdenken über die Ziele eines guten Lebens und dem Streben nach dem richtigen Maß.
Holzinger deutet damit den gängigen Wohlstandsbegriff qualitativ um, vergleichbar mit den Forderungen der prominenten Postwachstumsautoren Harald Welzer und Juliet B. Schor nach einer „reduktiven Moderne“ bzw. einer „Plentitude“. Auf eingängige und präzise Weise werden so vielfältige Ideen und Ansätze versammelt, wie eine Postwachstumsgesellschaft aussehen kann. Auf Grundlage von Ökoeffizienz und des Postwachstumsdiskurses beschreibt der Autor die verschiedenen Aspekte dieses neuen Wohlstandes wie z.B. Ernährung, Arbeit, Zeit und Demokratie. Holzinger plädiert so beispielsweise für eine ökologische Landwirtschaft, weniger Fleischkonsum – und dafür, sich bewusst Zeit zu nehmen und weniger zu arbeiten, verschiedene Einkommensquellen zu kombinieren sowie soziale Beziehungen neu zu entdecken. Zusammenfassend fordert er auch eine Repolitisierung der Demokratie und eine Ausweitung bürgerlicher Partizipation, um die gemeinsame Gestaltung dieses Lebensmodells zu gewährleisten. Die Abkehr von Konsum eröffnet so zeitliche und finanzielle Freiräume für eine Wiedergewinnung an Lebensqualität, Gesundheit und Gemeinschaft.
Holzinger entwickelt eine interessante und mitunter auch mitreißende Vision einer Postwachstumsgesellschaft, die jedoch im grundlegenden Punkten konsequenter sein könnte. Einerseits werden viele nachvollziehbare sinnvolle Ansätze vorgestellt, die in einigen Fällen nicht folgerichtig zu Ende gedacht sind. Vor allem fehlen Vorschläge für einen konkreten Verteilungsmechanismus, der dieses „rechte Maß“ regulieren kann. Auch fehlt eine ethische Perspektive, die über die Erkenntnisse der Glücksforschung hinausgeht und das Verzichten anleitet. Dies ist vor allem relevant, weil Reduktion und Verzicht – sollen sie eine neue Gesellschaftsform begründen – wahrscheinlich nur Übergangsstadien sein können: Aus Weniger würde dann ein Nicht-Mehr. Möglicherweise wäre eine Postwachstumsgesellschaft, die auch ethisch ihren Standards genügen möchte, eine vegane Gesellschaft. Gleiches gilt für alle Lebensbereiche: Wovon weniger und was gar nicht mehr? Hier wäre eine konsequentere Positionierung des Autors wünschenswert gewesen – gerade im Hinblick auf soziale Ungleichheit und Umweltzerstörung. Leider lässt Holzinger offen, ob es sich hier nur um ein qualitatives Korrektiv alltäglicher kapitalistischer Auswüchse handelt oder ob hier der Beginn einer völlig neuen Gesellschaftsform gemeint ist.
Hans Holzinger:
Von nichts zu viel – für alle genug.
Perspektiven eines neuen Wohlstands
oekom-Verlag 2016
232 Seiten
18,95 €
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