Bei seinen Zeitgenossen umstritten, ist der Philosoph Anton Wilhelm Amo heute weitgehend unbekannt. Dabei zählt die Lebensgeschichte von Europas erstem afrikanischem Akademiker zu den wohl erstaunlichsten des 18. Jahrhunderts.
von Paul Thiemicke
Der Mann, der 1747 an Bord eines Schiffes Richtung Ghana geht, ist kein gewöhnlicher Reisender. Seine Schriften und Äußerungen verursachen bei Gelehrten und Philosophen in ganz Europa manch besorgtes Stirnrunzeln – seine weitere Anwesenheit auf dem angeblich fortschrittlichsten aller Kontinente ist unerwünscht. Denn allein schon seine bloße Existenz droht das von Überlegenheitsgefühl und Rassismus dominierte Weltbild der Europäer aus den Angeln zu heben.
Geboren um das Jahr 1703 im ghanaischen Dorf Nkubeam wird der junge Amo von Niederländern versklavt und an den Adeligen Anton Ulrich von Braunschweig und Lüneburg-Wolfenbüttel verschenkt. Unter seinem neuen, eingedeutschten Taufnamen dient „Anton Wilhelm“ dem welfischen Herzog und seinem Sohn August Wilhelm als „Kammermohr“, damals eine übliche Dienstbotenposition an den meisten Fürstenhöfen. Dank der modernen Einstellung des Fürsten erhält er Zugang zu humanistischer Bildung und erlernt insgesamt sechs Sprachen, darunter Altgriechisch, Althebräisch und Latein. Weiterhin von Fürst August Wilhelm gefördert, absolviert Amo schließlich ab 1727 in Halle ein Jura- und Philosophiestudium, später wechselt er nach Wittenberg, wo er 1734 sogar mit einer Arbeit über das Leib-Seele-Problem promoviert wird. 1739 hielt er laut einer Vorlesungsankündigung auch Lehrveranstaltungen an der Universität Jena.
In seiner weiteren akademischen Laufbahn lehrt Anton Wilhelm Amo nicht nur als Privatdozent in Halle und Wittenberg, sondern verfasst auch weitere Schriften. Bereits 1729 untersucht er in einer Disputation die „Rechtsstellung der Mohren in Europa“, ein heikles Thema in der Zeit von atlantischem Dreieckshandel und millionenfacher Versklavung durch die Europäer. Für diese sind Afrikaner weniger Menschen als vielmehr Tiere, Gegenstände, die man beliebig ausnutzen, auspeitschen oder töten kann, eine bloße Ware mit Wert und „Verfallsdatum“. Grundlage für diese Weltsicht ist nicht nur die vermeintliche Überlegenheit von Christen über barbarische Heiden, sondern auch ein fundamentaler Rassismus: Afrikanern wird die Fähigkeit zu höheren Geistesleistungen oder gar akademischer Bildung nicht zugetraut, selbst der namhafte Philosoph David Hume formuliert: „Ich möchte fast argwöhnen, die Neger seien von Natur aus den Weißen unterlegen. Ein solcher beständiger Unterschied könnte nicht wohl statthaben, wenn nicht die Natur selbst einen ursprünglichen Unterschied zwischen diesen Menschenstämmen gemacht hätte.“
Die Existenz von gebildeten „Kammermohren“ wie Amo mit seiner akademischen Laufbahn erschüttert dieses Weltbild in seinen Grundfesten, zeigen sie doch, dass es keinen fundamentalen Unterschied zwischen Europäern und Afrikanern gibt. Trotz dieser Tatsache (oder gerade deswegen) ist Amo immer wieder rassistischen Anfeindungen ausgesetzt, insbesondere nach dem Tod seines Förderers Fürst August Wilhelm. 1747 muss er schließlich, isoliert und verspottet, Deutschland verlassen – ein bitterer Abschied nach über vierzig Jahren. 1784 stirbt Anton Wilhelm Amo in Fort Shama in Ghana, wo er auch begraben ist.
In Halle, einem seiner langjährigen Wirkungsorte, steht heute am Universitätsring ein Denkmal für ihn. Es stellt einen afrikanischen Mann und eine Frau dar, denn Amos wirkliches Aussehen ist bis heute unbekannt. Zu guter Letzt hat sich auch die Martin-Luther-Universität ihres verschmähten Absolventen und Dozenten angenommen und verleiht seit 1994 den Anton-Wilhelm-Amo-Preis für besondere wissenschaftliche Arbeiten. Vielleicht der Versuch einer Versöhnung mit einem Mann, der Deutschen und Europäern so deutlich wie kaum ein anderer Zeitgenosse ihre Engstirnigkeit vor Augen führte.
Paul Thiemicke ist Redakteur der hallischen Studierendenschaftszeitschrift hastuzeit der Martin-Luther-Universität. Dieser Artikel erschien zuerst in hastuzeit Nr. 63.
Schreibe einen Kommentar