„Ein Schlag ins Gesicht der türkischen Popkultur“

Filmemacher Evrenol (Foto: © capelight pictures)

Bewegende Dramen und Arthouse-Kino verbindet man am ehesten mit der türkischen Kinematografie – aber nicht den Genre-Film. Regisseur Can Evrenol beweist, dass auch in hartem Horror Gesellschaftskritik nicht ausgespart bleiben muss.

unique: Als westeuropäischer Kinogänger kennt man nur wenige türkische Horrorfilme. Ist das Genre in der Türkei populär?
Can Evrenol: Es gibt im türkischen Kino eine große Kluft zwischen teurem, aber flachem Popcornkino auf der einen und anspruchsvollem Arthouse-Kino auf der anderen Seite, das zwar auf Filmfestivals weltweit läuft, aber mit dem sich türkische Zuschauer nicht identifizieren. Dazwischen gibt es eigentlich nichts. Türkische Horrorfilme gibt es zwar auch, der Markt dafür ist groß – aber diese sind in meinen Augen meist leidenschaftslos und billig heruntergekurbelt. 99 Prozent von ihnen haben mehr mit religiösen Themen zu tun als mit etwas anderem – dazu keine Ideen, sondern einfach nur Schockeffekte oder „Buh!“-Szenen. Deswegen schauen Festivals genauso wie Kinozuschauer verächtlich auf türkische Horrorfilme herab. Aber Baskin ist anders: handwerklich anspruchsvolles Genre-Kino mit Herz dahinter.

Baskin basiert auf einem gleichnamigen Kurzfilm von dir. Wie kam es zu deinem Langfilm-Debüt?
2013 lief mein Kurzfilm Baskin auf dem Filmfestival in Sitges. Dort hat ihn Hostel-Regisseur Eli Roth gesehen und mich danach gefragt, ob ich ein Skript für einen Langfilm habe. Wir hatten tatsächlich gar kein Drehbuch, so dass einer meiner Autoren einen ersten Entwurf geschrieben hat. Trotz dem Interesse anderer Filmemacher konnten wir jedoch niemanden finden, der den Film finanzieren wollte. Dann war irgendwann eine Produktionsfirma an Bord und verkaufte bereits international die Filmrechte. Ich finanzierte Baskin mit einem Budget von 350.000 US-Dollar schließlich selbst und mit der Unterstützung meiner Familie.

In Baskin geht es auch um wiederkehrende, realistische Alpträume. Hast du hiermit eigene Erfahrungen?
Mich faszinieren Träume sehr. Mein Vater war zwar ein rationaler und weltoffener Mann, aber wenn es um Träume ging, war er sehr abergläubisch. Die beiden Hauptfiguren sprechen ja in der Restaurant-Szene über einen Traum, in dem sie von einem toten Freund heimgesucht werden. Das war ursprünglich einer, den mein Vater als Kind hatte. Als er mir von diesem Traum erzählt hat, und dass er eine Bedeutung habe, war ich zwar beeindruckt, habe ihn aber dafür zugleich auch belächelt.Als ich mein erstes Drehbuch schrieb, habe ich mich an diese Alptraumgeschichte erinnert.

In Baskin gibt es viele Symbole für Kreise und Kreisläufe – Höllenkreise oder der Kreislauf zwischen Leben, Tod und Wiedergeburt – personifiziert in der mythischen Gestalt von umherspringenden Fröschen. Woher hast du hier deine Inspiration bezogen?
Einige Dinge haben wir aus der „schwarzen Magie“ übernommen, andere kommen aus der mythologischen Welt von H. P. Lovecraft und wieder andere sind anderen Filmen entlehnt. Die Frösche sind eine Art Kombination aus allem, während wir die Polizisten so „türkisch“ und den Satanskult so „untürkisch“ wie möglich darstellen wollten.

Viele Dialoge der Polizisten im Film kreisen um eigene sexuelle Erfahrungen und Rollenbilder. Schwingt da auch etwas Kritik an der türkischen Gesellschaft mit?
Ja. Die türkische Gesellschaft ist sehr männerdominiert und sexistisch, das stimmt. Die Polizisten haben dieselbe männliche und beleidigende Perspektive auf Gender-Themen. Ich habe mich mit den Dialogen über diese Vorstellung vom „starken Mann“ lustig gemacht, weil diese Mentalität tief in der türkischen Kultur verankert ist. Takeshi Kitano prangert ja zum Beispiel die japanische Kultur mit dem brutalen Verhalten gegenüber Frauen und Jüngeren in seinen Filmen auch an.

Du meintest ja, du hast dich an anderen Filmen orientiert. Welche Filmemacher haben dich am meisten beeinflusst?
Als wir zum Kern der Geschichte vorstießen, waren das in der Art ihrer Inszenierung wohl David Lynch, Paul Verhoeven und Dario Argento. Sie haben mich sowohl in der Montage der Bilder, in der Ausleuchtung als auch in der Musik des Films am meisten inspiriert.

Was ist deine Philosophie als Filmemacher?
Kennst du die Szene in dem Johnny-Cash-Film, in dem er ins Studio geht und ihm gesagt wird, dass er einen Song spielen soll, der seine Art zu leben zum Ausdruck bringen soll? Und dann beginnt Johnny Cash „Another song to sing“ zu spielen. So gehe ich auch ans Filmemachen heran.

Warum sollte man sich Baskin deiner Meinung nach unbedingt anschauen?
Da zitiere ich am besten mal die internationale Tagline des Films: „Five cops go to hell“. Am besten ist es, den Film zu schauen, ohne viel über ihn zu wissen. Nur so viel: Ich habe Baskin gedreht als ein Schlag ins Gesicht der türkischen Popkultur und des guten Geschmacks.

Wir danken dir für das Gespräch!

Das Interview führte Lutz.

Can Evrenol, geboren 1982, wuchs in Istanbul auf. 2007 begann er, Kurzfilme zu drehen. Sein bislang letzter Kurzfilm, Baskin (2013), diente als Vorlage für sein gleichnamiges Langfilmdebüt.


Beitrag veröffentlicht

in

, ,

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert