„Eigentlich muss man sich darüber lustig machen“

(Foto: Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen)

Grünen-Politiker Omid Nouripour hat einen Migrationshintergrund und seit 2006 ein Bundestagsmandat. Mit uns sprach er über sein aktuelles Buch und die Arbeit als ‚MiMiMi’ im Parlament.

von Frank & Martin

Wenn Omid Nouripour in deutschen Medien zitiert wird, dann meist in seiner Funktion als Außen- und Sicherheitspolitiker. Als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag hat sich der Grünen-Abgeordnete einen Namen gemacht. Das ist kein Zufall: „Als ich in den Bundestag kam, wusste ich: Ich werde schon als ‚Ausländer’ wahrgenommen, da möchte ich nicht auch noch Ausländerpolitik machen“, erklärt der in Teheran geborene Hesse (siehe Interview unten). Dass er der Migrationsthematik aber dennoch verbunden ist, zeigt er u. a. mit seinem aktuellen Buch, das den auf den ersten Blick verwirrenden Titel Kleines Lexikon für MiMiMis und Bio-Deutsche trägt. Nouripour hat ein Wörterbuch vorgelegt, das die gängigen Begriffe der deutschen Migrationsdebatte versammelt – darunter auch besagte Mitbürger mit Migrationshintergrund (kurz ‚MiMiMis’) und als Kontrast dazu sog. ‚Bio-Deutsche’, die, wie es im zugehörigen Eintrag unter B heißt, „quasi die Gnade der deutschen Geburt, gepaart mit dem Vorhandensein zweier deutscher Elternteile ereilt“ hat.
Die Einträge sind oftmals kritische, polemische aber auch heitere Zusammenfassungen von Themen und Ereignissen der letzten Jahre: ein breites Panorama zwischen ‚Anpassen’, ‚Doppelpass’ („Özil – Kroos – Özil. Tor!“) und ‚Leitkulti’, aber auch ernsten und problembehafteten Ausdrücken wie ‚Neger’ oder ‚Kanake’. Dabei entsteht ein interessanter (sprachlich-politischer) Überblick, zumal auch Themen aufgegriffen werden, die fast schon wieder in Vergessenheit geraten sind (wer erinnert sich schon noch an den Ausdruck ‚Deutschenfeindlichkeit’, den Kristina Schröder 2010 in die Debatte eingebracht hatte?).
Im unique-Interview spricht Omid Nouripour über begriffliche Stolpersteine im Migrationsdiskurs und seine Arbeit als ‚MiMiMi’ im Bundestag:

Herr Nouripour, der deutschen Öffentlichkeit sind Sie vor allem als Außen- und Sicherheitsspolitiker bekannt. Wie kommt es, dass Sie dieses Buch über Migration geschrieben haben?
Nun, man geht in die Politik wegen dessen, was die Ghostbusters „negative Energie“ nennen: Irgendetwas auf der Welt ist nicht in Ordnung. Wenn alles perfekt wäre, müsste man sich ja nicht engagieren. Und für mich persönlich war der Nukleus meiner parteipolitischen Arbeit tatsächlich die Migrationsfrage, mit der ich auch biographisch konfrontiert war und bin. Als ich in den Bundestag kam, wusste ich aber: Ich werde schon als „Ausländer“ wahrgenommen, da möchte ich nicht auch noch Ausländerpolitik machen. Ich finde, die Normalität in diesem Land ist dann hergestellt, wenn ein Migrationshintergrund kein Hindernis ist, irgendetwas anderes zu machen als Migrationspolitik – egal was. Deshalb habe ich mich bemüht, andere Bereiche zu bearbeiten. Aber ich bleibe dem Thema natürlich weiterhin verbunden.

Gab es einen konkreten Auslöser dafür, das Buch zu schreiben?
Nun, ich hatte vor 7 Jahren schon einmal versucht, ein ernsthaftes Buch über die Themen Migration und Integration zu schreiben [Titel: Mein Job, meine Sprache, mein Land: Wie Integration gelingt, Anm. d. Redaktion] und habe dann viele Lesungen gemacht. Das Problem begann dann aber schon damit, wie ich die Menschen, über die ich schrieb, nennen soll: ‚Ausländer’ ist schon falsch – ich beispielsweise bin keiner, ich habe einen deutschen Pass. ‚Migrant’ ist auch nicht treffend, denn es gibt Personen, die zwar nicht migriert, aber trotzdem keine deutschen Staatsbürger sind. Und wie nennt man dann die anderen? Damals hat mein Publikum mir bei den Lesungen die Begriffe ‚MiMiMis’ und ‚Bio-Deutsche’ beigebracht. Ich finde bis heute keine lustigeren und auch keine präziseren Begriffe! Aber auch jenseits davon bin ich in den Debatten der letzten Jahre immer wieder auf Begriffe gestoßen, die so absurd waren, dass mir irgendwann klar wurde: Eigentlich muss man sich darüber lustig machen! Fiktionsbescheinigung, Anwerbestoppausnahmeverordnung und viele andere…

Es ist ein meist witziges, teils auch polemisch geschriebenes Buch. An anderen Stellen aber werden Sie sehr ernst – was bei einigen Begriffen mehr als nachvollziehbar ist. Wer ist eigentlich der Adressat, die Zielgruppe des Buches?
Eigentlich sind alle angesprochen, die sich mit dem Thema beschäftigen wollen und auch der Meinung sind: dass wir nicht weiter kommen, wenn wir nicht ab und zu mal aufhören, uns allzu ernst zu nehmen. Aber es gibt eben auch Begriffe, die sind einfach zu ernst; da bleibt mir der Atem weg. NSU, Rostock Lichtenhagen – das sind Begriffe, da war es auch beim Schreiben schwierig, nicht die Fassung zu verlieren.

Sie äußern an einem Punkt im Buch die leise Hoffnung, dass Ihre Ausführungen zum Unterschied zwischen ‚MiMiMis’ und ‚Bio-Deutschen’ bald nur noch von historischem Wert seien könnten. Sehen Sie denn eine positive Tendenz in der Integrationsdebatte?
Die Kurve zeigt über Jahre hinweg steil nach oben, allerdings tun sich auch immer wieder unglaubliche Abgründe auf. Der erste ‚MiMiMi’ wurde 1994 in den Bundestag gewählt, heute sind es über 30. In Wissenschaft, Fernsehen, Sie können alle Bereiche durchgehen: Die Präsenz von Leuten, die eben nicht blond und blauäugig sind, ist zwar noch nicht überall selbstverständlich, aber jedenfalls in fast allen Bereichen gewachsen. Natürlich sind wir vorangekommen in den zurückliegenden Jahren, auch wenn viele Leute unken, die Integration wäre gescheitert. Unbenommen all der Querschüsse seitens der Politik hat die Gesellschaft wahnsinnig viel erreicht. Aber dann kommt plötzlich Thilo Sarrazin mit seinem Buch dazwischen und verkauft Millionen Exemplare mit Thesen, die einfach auf keine Kuhhaut gehen…

Macht Ihnen so etwas Angst?
Nein, Sarrazin oder PEGIDA machen mir Sorge, aber ich denke nicht, dass man Angst haben darf vor ihnen. Wenn Sie das lesen, das ist so doof, da können Sie eigentlich gar keine Angst haben. Aber wenn wir über Abgründe reden, meine ich vor allem: NSU. Kein anderer Abgrund ist so tief, denn da geht es nicht nur um Rassismus in der Gesellschaft, sondern um massives Staatsversagen. Das hat das Vertrauen vieler tausend Menschen in staatliche Strukturen erschüttert.

Sie selbst kamen 2006 in den Bundestag. Spielt ihr ‚Migrationshintergrund’ heute noch eine Rolle, in der Arbeit mit den anderen Abgeordneten?
Ja und nein. Um beim Nein anzufangen: Ich hatte in der letzten Legislaturperiode versucht, einen Stammtisch von MdBs mit iranischem Hintergrund ins Leben zu rufen. Ich habe aber relativ schnell aufgegeben – und war irgendwie auch erleichtert, denn zwischen Sahra Wagenknecht und Michaela Noll von der CDU ist einfach nichts, was die zusammenbringt: Für die verschiedenen Identitäten der Bundestagsabgeordneten ist die kulturelle Herkunft nicht das Zentrale, sondern es wird eindeutig von der Weltanschauung – und damit der Partei – überlappt. Und das ist sehr positiv.

Und das Ja?
„Ja“ im negativen Sinne in erster Linie durch die vielen Hassmails, die man bekommt, wenn man so heißt wie ich. Ich bekomme täglich welche, nicht nur von Rassisten, manchmal von iranischen Royalisten, von Islamisten usw., aber recht lustig dabei ist, wie nah diese sich eigentlich sind: Bisweilen sind die Mails in der Sprache austauschbar.
Das Ja im Positiven: Ich bringe einfach einen gewissen Erfahrungshintergrund mit, etwa dadurch, dass ich in einem Land ohne politische Freiheiten aufgewachsen bin, was manches Verständnis leichter macht. Im Iran, wo ich geboren wurde, sterben heute noch Menschen, wenn sie sich für Redefreiheit und ähnliche Freiheiten einsetzen; auch in Deutschland sind viele Menschen dafür gestorben. Und ich erlebe manchmal, dass ich mich etwa mit denen, die aus den neuen Bundesländern kommen – gerade den Älteren – in solchen Fragen von Freiheiten unglaublich gut verstehe; besser als mit anderen, weil sich Erfahrungshorizonte ähneln.

Auch über die Parteigrenzen hinweg?
Das auch, ja. Aber es gibt auch Fälle wie den eines Abgeordnetenkollegen, der sagte, er verbitte sich „Kritik von Iranern“ – das ist struktureller Rassismus. Aber um noch mal zu den positiven Seiten zurück zu kommen: Gerade in meinem Bereich, der Außen- und Sicherheitspolitik, ist es auch nicht schädlich, wenn man ein paar Sprachen abseits von Englisch und Deutsch sprechen kann. Oder das ein oder andere Land nicht nur vom Drüberfliegen oder von offiziellen Besuchen her kennt.

Wir danken Ihnen für das Gespräch, Herr Nouripour!

Omid Nouripour, geboren in Teheran, kam im Alter von 13 Jahren nach Deutschland und wuchs in Frankfurt auf. Seit 2002 hat er einen deutschen Pass und kam kurz darauf in den Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen. 2006 rückte er für Joschka Fischer in den Bundestag nach. Er hat und hatte vielfältige Funktionen, aktuell u. a. als außenpolitischer Sprecher der Fraktion. Sein Buch Kleines Lexikon für MiMiMis und Bio-Deutsche ist bei dtv erschienen (14,90 €, 200 Seiten).

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