Außenseiter, Exzentriker, Ausnahmetalente: Simon Schwartz hat in seinen Mini-Comic-Biographien „Vita Obscura“ ein faszinierendes Panorama an Menschen versammelt.
von Frank
Dass Comics und Graphic Novels selbst in den Feuilletons großer Tageszeitungen Aufmerksamkeit geschenkt wird, war bis vor kurzem noch alles andere als normal. Zu diesem Wandel beigetragen hat ein kleiner Verlag aus Berlin, der den Comic-Markt immer wieder mit den Werken einer neuen, innovativen Autoren-Generation bereichert: Der Avant-Verlag zeigt bereits seit seiner Entstehung im Jahr 2001, dass gezeichnete Medien sich hinsichtlich Tiefgang und literarischer Qualität keineswegs verstecken müssen – und dass es kein großes Verlagshaus braucht, um ein beeindruckendes Programm auf die Beine zu stellen. Jahrelang quasi im Alleingang von Verlagsgründer Johann Ulrich gestemmt, liefert der Verlag heute mit gerade mal drei festen Mitarbeitern einen enormen Output an qualitativ hochwertigen Veröffentlichungen; überwiegend internationale Autoren, die Ulrich und sein Team für die deutschen Comic-Fans zugänglich machen. Solche Werke sind eben auch in der Kultur- und Feuilletonpresse mittlerweile sehr gefragt.
Der Verlag hat sich bereits einen gewissen Kreis an „Stammautoren“ auch aus Deutschland erarbeitet. Einer dieser Zeichner, der regelmäßig bei Avant publiziert, ist der in Erfurt geborene Simon Schwartz. Seine Graphic Novel „Packeis“ (ebenfalls bei Avant erschienen) wurde 2012 mit dem renommierten Max-und-Moritz-Preis als bester deutscher Comic ausgezeichnet. Schwartz zeichnet für diverse Zeitungen und Magazine, u. a. die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und Die Zeit. Die Wochenzeitung Der Freitag veröffentlicht außerdem seit 2012 die Serie „Vita Obscura“, die hier nun als Gesamtausgabe – inklusive bislang unveröffentlichter Strips – vorliegt.
Die 72-seitige hochwertige Hardcover-Ausgabe bietet in durchgehend farbigen Mini-Biographien unterhaltsame und informative Einsichten in das Leben unbekannter oder zumindest vergessener Personen: Exzentriker, krude Spinner oder Pechvögel, manchmal aber einfach normale Menschen mit einer interessanten Geschichte. Etwa der selbsternannte „Kaiser der USA“, die in Siam geborenen Brüder Chang und Eng Bunker, auf die die Bezeichnung Siamesische Zwillinge zurückgeht, oder die Schiffskrankenschwester Violet Jessop, die in ihrem 40-jährigen Berufsleben nicht weniger als drei große Schiffsunglücke – darunter den Untergang der Titanic – überlebte. Die einzelnen (Lebens-)Geschichten sind dabei – in Optik und Inhalt – ebenso vielseitig und gelungen, wie das Konzept als ganzes originell ist. Man bekommt Lust, mehr über die Menschen zu erfahren, die Simon Schwartz für uns aus dem Vergessen geholt hat. Ein brillantes Vergnügen. Man merkt: Das Leben schreibt eben immer noch die besten Geschichten.
Vita Obscura
Texte & Zeichnungen: Simon Schwartz
avant-Verlag 2014
72 Seiten
19,95 €
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