Kolumne: ‘To Shakesbe or not to Shakesbe’

Dem Einfluss des großen englischen Nationaldichters widmet sich Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena.

Wer kennt ihn nicht, den Schöpfer von Hamlet, den Barden aus Stratford-upon-Avon, den süßen Schwan vom Avon. Ob er nun Edward de Vere, 17. Graf von Oxford war und wir deshalb besser vom ‚author formerly known as Shakespeare’ sprechen sollten, sei dahingestellt. Auf jeden Fall war der (wie man neudeutsch so schön sagt) ‚impact’ des Dichters und Dramatikers aus Stratford zwar bereits zu Lebzeiten groß, nahm jedoch erst nach seinem Tod die uns vertrauten Ausmaße an. Die Anekdote, dass ein Höfling nach dem Besuch eines seiner Theaterstücke meinte „Die Handlung war ja ganz unterhaltsam, aber die Dialoge bestanden mehr oder weniger nur aus Zitaten“, gehört deshalb ins Reich der Fiktion. Sie zeigt jedoch sehr schön die bereits sehr früh einsetzende Rezeption seiner Werke bzw. seiner Sprache. Wir wissen, dass gerade die Angehörigen des Hofs die Theateraufführungen nicht nur zur Unterhaltung besuchten, sondern sich auch eingängige Wortschöpfungen und Redewendungen notierten, um diese dann elegant in die eigene Konversation einfließen zu lassen und sich so mit fremden Stil-Federn zu schmücken. Der Einfluss Shakespeares war jedoch keine Einbahnstraße. Der Barde aus Stratford ‚erfand’ nicht nur neue Wörter und Ausdrücke – dem Linguisten David Crystal zufolge ca. 1.700 Stück – sondern er nahm auch Anregungen aus allen gesellschaftlichen Schichten auf und wob sie in die farbenfrohe Tapisserie seiner Stücke. Damit verschaffte er bisher unbeachteten Wörtern den ‚Durchbruch’ und wirkte als genialer ‚Multiplikator’ in einer von linguistischer Kreativität geprägten Epoche. Die von Shakespeare eingeführten Wörter decken die ganze stilistische Bandbreite ab: Wir haben einerseits solche, mit denen er seine rhetorische Kunstfertigkeit unter Beweis stellt, wie ‚to incarnardine’ (‚röten’; Macbeth) oder ‚to outswear’ (‚im Fluchen übertrumpfen’; Love’s Labour’s Lost). Andererseits finden wir stilistisch gehobene, jedoch nicht weiter auffällige Begriffe wie ‚cold-blooded’ (King John), ‚frugal’ (Merry Wives) oder ‚tranquil’ (Othello). Selbst heutzutage alltägliche Ausdrücke sind oft zum ersten Mal in seinen Werken belegt, wie ‚laughable’ (‚zum Lachen reizend’; Merchant of Venice) oder ‚bedroom’ (Midsummer Night’s Dream). Am bekanntesten sind aber wohl seine Formulierungen, die dank ihrer einprägsamen Form oftmals als Sprichwörter oder feste Redewendungen Eingang in die Alltagssprache der Engländer gefunden haben. Hier eine kleine Auswahl: ‚brevity is the soul of wit’ (Hamlet – ironischerweise von der Schwatztasche Polonius verwendet), ‚Love all, trust a few, do wrong to none’ (All’s Well That Ends Well) oder ‚The course of true love never did run smooth’ (Midsummer Night’s Dream).
Rein quantitativ ist der Umfang des in Shakespeares Werken überlieferten Wortschatzes nicht außergewöhnlich: Mit ‚nur’ 20.000 Einzelwörtern überragt er seine Zeitgenossen nicht wirklich und liegt bei knapp der Hälfte dessen, was ein gebildeter Engländer des 21. Jahrhunderts in die Waagschale werfen kann (ca. 50.000 Einzelwörter). Natürlich muss man dabei berücksichtigen, dass sich der Wortschatz des Englischen zwischen den Jahren 1600 und 2000 in etwa vervierfachte: von 150.000 auf aktuell 600.000 Wörter. Auch sind nicht alle shakespearschen Erstnennungen im Oxford English Dictionary als Beweis zu werten, dass er das Wort erfunden hatte. Seitdem die Mitarbeiter des OED vermehrt die Werke weniger bekannter Autoren der frühen Neuzeit berücksichtigen, finden sich immer wieder Belege für die Verwendung von ‚Shakespeare-Wörtern‘ und Ausdrücken durch Schriftsteller, die das betreffende Wort bereits vor Shakespeare benutzten. Es ist deshalb also weder die Menge der verwendeten Wörter noch der Erfindungsreichtum im engeren Sinne, die Shakespeares Werk einzigartig machen. Vielmehr verdankt er seine prominente Stellung einer Kombination aus relativ früh einsetzender ‚bardolatry’ (‚Bardenverehrung’), literarischem Nationalstolz – und der Anerkennung seines literarischen und sprachlichen Genies, das sich nicht in Zahlen ausdrücken lässt. Dies zeigt sich darin, dass Shakespeares Werke nicht nur sämtliche literaturkritischen Modeströmungen überlebt haben, sondern auch trotz ihres Status als Schulpflichtlektüre immer noch und immer wieder die Leser und Theaterbesucher begeistern.

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