Keiner wird so stark kontrolliert, an niemanden sind die Erwartungen so hoch und niemanden trifft die Kritik nach der Demonstration so laut. Oft sind sie es die Polizisten, die den Frust und die Wut der Demonstranten aushalten müssen, wenn die Nazis für Letztere unerreichbar sind. Und oft genug bieten sie selbst genug Anlass für diese Wut: Sie blockieren, wo nichts zu blockieren ist, sie reagieren über, obwohl sie da sind, um zu verhindern, dass Einzelne überreagieren, sie schlagen zu, obwohl sie Gewalt verhindern sollen. Das Protokoll einer Zugfahrt nach Pößneck …
von fabik
Zusammen mit sechs Polizisten stehen wir am Bahnhof Jena-Göschwitz und warten darauf, dass irgendetwas passiert. In der Nacht hatten Unbekannte am Saalfelder Bahnhof Brandsätze gezündet und dadurch einen kleinen Kabelbrand an der Signalanlage ausgelöst. Seitdem stehen alle Signale auf Rot, die Bahn hat sicherheitshalber die meisten Verbindungen gestrichen.
Ein paar Kilometer entfernt warten am Paradiesbahnhof ca. 450 Demonstranten, die wie wir und die Polizisten zum „Fest der Völker“ wollen und in ein paar Minuten mit zwei Straßenbahnen ebenfalls in Göschwitz eintreffen werden. Ob sie uns nicht mit ihrem Einsatzwagen mitnehmen können, beginnen wir das Gespräch. Nein, antwortet der etwas ältere Gruppenführer barsch. Man sei für den Zug abgestellt, die Kollegen schon mit dem Auto vorausgefahren. Bis auf den Gruppenführer scheinen alle Polizisten unter 30 zu sein. Und bis auf ihn sind sie alle recht freundlich und gesprächig.
„Stimmt es, dass das Fest gestern Abend zum Schützenhaus verlegt wurde?“
„Wir wissen eigentlich gar nichts. Wahrscheinlich werden wir nur in der Nähe des Bahnhofs bleiben, aber das erfahren wir auch erst in Pößneck.“
„Was macht ihr dort?“, wollen sie wissen. Wir erzählen, dass wir vorhaben, ein paar Interviews zu führen, Fotos zu machen, zu demonstrieren und im Anschluss alles in einen Artikel zu packen Je länger wir gemeinsam an diesem verlassenen Bahnhof warten müssen, desto entspannter wird das Gespräch. Es geht um die Erfahrungen beim letzten Fußballspiel, über die Grünen, die eine Weile zuvor hier am Bahnhof warteten, um die Erwartungen an den Tag und ob man mal Feuer für die Zigarette bekommen könnte.
Nach ca. einer Stunde fahren die Züge endlich wieder. Etwa 500 Menschen drängen sich in die Regionalbahn. Wir versuchen bei den Polizisten zu bleiben. Zum einen, um unser Gespräch fortsetzen zu können, zum anderen, um mit ihnen in Pößneck durch die ersten Polizeiabsperrungen schlüpfen zu können. Ich quetsche mich neben Marlen, eine von zwei Polizistinnen in der Gruppe. Es wäre Zufall, wenn sie wirklich so hieße.
„Wie viele seid ihr heute?“
„Ich hab’ keine Ahnung. Darüber werden wir nicht informiert. Ein paar Hundertschaften werden es schon sein …“
„Nur aus Thüringen?“
„Nee, auch aus Sachsen.“
„Gefällt Dir deine Arbeit? Bieten solche Tage wie heute nicht eine willkommene Abwechslung zum alltäglichen Bürodienst?“
„Den Beruf mag ich, sonst würde ich ihn nicht machen. Solche Tage wie heute brauche ich aber nicht – nee! Das brauch’ ich wirklich nicht. Ich bin froh, wenn ich wieder in meinem Bett bin.“
Ihr Bett, erzählt sie, steht in einem Jenaer Hotel. Gestern sei sie aus Leipzig angereist. Marlen scheint diesen Beruf noch nicht sonderlich lange auszuüben. Dafür ist sie zu offen und zu gesprächig.
„Seid ihr alle bewaffnet?“
„Jaja, alle! Natürlich. Bei manchen sieht man es nur nicht, die sind ganz gut versteckt.“
Sie lacht und deutet mit ihrem Finger in die Richtung, wo sie ihre Waffe verborgen hat.
„Gibt Dir die Waffe ein Gefühl von Sicherheit?“
„Ach Quatsch, im Gegenteil! Ich fühle mich dadurch viel unsicherer. Du musst die ganze Zeit darauf achten, dass sie dir keiner wegnimmt. Eigentlich will ich sie gar nicht dabei haben, aber das muss eben sein. Vorschrift ist Vorschrift.“
„Musstest Du sie schon einmal ziehen?“
„Nein, niemals! Das will ich auch nicht. Ich hoffe wirklich, dass ich das niemals muss. Das passiert wirklich nur, wenn es wirklich nicht mehr anders geht. Außerdem bedeutete es einen riesigen Papieraufwand, wenn du die Waffe ziehst. Du musst dich danach rechtfertigen, Formulare ausfüllen …“
Marlen ist ungefähr in unserem Alter, Mitte 20. Jeden Satz beendet sie mit einem etwas unsicheren Lächeln. Ihre häufigste Frage ist, wann wir denn endlich da sind. Doch weiß in unserer Nähe niemand, wie viele Zugminuten Pößneck eigentlich entfernt liegt.
„In Hamburg haben gestern zwei Polizisten Warnschüsse abgegeben, als ihr Wagen bei einer Demonstration angegriffen wurde …“
„Hab’ ich nichts von gehört. Aber das passiert leider manchmal. In Rostock zum G8-Gipfel war es heftig!“
„Warst Du dabei?“
„Ja, das vergesse ich auch nicht so schnell!“
„Erzähl mal, wie es für euch war.“
„Für uns persönlich ging es eigentlich. Wir sollten irgendein Hotel beschützen, da ist uns nicht viel passiert. Aber die Berliner, Mann, die haben wirklich was abgekriegt! Was die alles einstecken mussten. Das war wie Bürgerkrieg dort.“
„Ist Dir schon mal was passiert?“
„Nee. Wir sind ja auch ganz gut geschützt.“
„Du meinst eure Ausrüstung? Hält die alles ab?“
„Vielleicht nicht alles. Ich muss jetzt auch nicht unbedingt einen Stein an den Helm kriegen. Aber verletzt wurde ich auch noch nie.“
Ihr kaum zwei Meter von uns entfernt stehender Gruppenleiter mit den zwei Punkten auf dem Arm hätte das Gespräch wahrscheinlich schon längst unterbunden, stünden nicht zehn weitere Menschen dicht gepackt zwischen uns.
„Wie geht’s Dir psychisch, wenn 200 Vermummte auf Dich zurennen?“
„Ehrliche Antwort? Manchmal habe ich eine verdammte Angst. Da überlegst du dir schon, was der Scheiß eigentlich soll. Da wirst du wirklich nervös und wünschst dir, du wärst irgendwo anders. Die treten ja auch bewusst so auf, um solche Gefühle auszulösen, und sind genauso uniformiert wie wir.“
Der schon übervolle Zug hält am Bahnhof von Langenorla. Weitere Leute drängen hinein. Als es im Gang nun noch enger wird, ruft einer von weit hinten: „Vielleicht können die Bullen hier aussteigen!?“ Ein paar Leute jubeln und klatschen. Marlen lächelt und sagt:
„Ja wirklich, das würde ich wirklich gern. Ich muss mir das nicht geben.“
Den Rest der Fahrt reden wir über die Studiensituation in Jena, unsere Zeitschrift und andere belanglose Fragen nach diesem oder jenem Abzeichen auf der Uniform, oder wie gern sie jetzt da draußen an der Motocross-Rennstrecke wäre, die wir passieren.
Angekommen in Pößneck verlieren wir Marlen und die anderen von der Gruppe sofort aus den Augen. Wir gehen schnell zur ersten Polizeiabsperrung, um noch durchzukommen, bevor sich die Reihen vor den Demonstranten schließen. Kaum fünf Minuten sind wir in Pößneck, und schon drängen hunderte Demonstranten gegen ein knappes Dutzend Polizisten. Schnell kommen mehr dazu, setzen ihre Helme auf und drängen auch uns ab. Wir sind noch ca. zehn Minuten vom „Fest der Völker“ entfernt. Polizisten stoßen, Demonstranten brüllen. Das übliche Spiel beginnt …
[Foto: Philippe Leroyer]
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