Maulkorb für die Wissenschaft

Alexander-Denkmal in Skopje, mazedonische Flagge: Der Feldherr ist Dreh- und Angelpunkt des mazedonisch-griechischen Streites (Foto: flickr-User Prince Roy)

Die griechische Slawistin Alexandra Ioannidou befasst sich mit der Sprache der mazedonischen Minderheit in Nordgriechenland. Eine harmlose Tätigkeit, könnte man denken. Aber nicht in Griechenland.

von Szaffi

Alexandra Ioannidou ist derzeit Gastprofessorin an der Uni Jena. Auf die Frage, ob Dialektologie in Griechenland gefährlich sei, antwortet sie mit einem zynischem Unterton: „In Griechenland? Da muss ich lachen!“ Sie wurde nämlich von ihrer Stelle an der Universität Athen fristlos entlassen, weil sie sich mit Themen beschäftigte, die den führenden Politikern nicht passten. Sie erzählt die Geschichte des Slawisten Roland Schmiegers, der seine Dissertation vor gut 15 Jahren über den slawischen Dialekt des nordgriechischen Dorfes Nestram verfasste. Im Vorwort bedankte er sich bei der griechischen Polizei für die Aufmerksamkeit, mit der sie sich seiner Forschung widmete: Sie fragte den Professoren darüber nicht nur aus, sondern beschlagnahmte auch sein gesamtes Material. „Es ist also nicht ungefährlich“, resümiert Frau Ioannidou.

Mazedonien gleich Makedonien?
Die „Slawophobie“ in Griechenland wird durch den Konflikt mit Mazedonien geschürt. Im Mittelpunkt der Streitigkeit zwischen den zwei Ländern steht der Name Mazedonien, auf Mazedonisch: Makedonija. 1991 erklärte die ehemalige jugoslawische Teilrepublik unter dem Namen Republik Makedonija ihre Unabhängigkeit. Es gab aber ein Problem: Der Name klingt auf Mazedonisch ebenso, wie der Name einer nordgriechischen Region und auch wie jener der historischen Region Makedonien, die sich hauptsächlich auf dem Gebiet des heutigen Mazedonien und in Nordwestgriechenland erstreckte. Griechenland erhob deshalb sofort Einwand gegen die Verwendung des Namens durch Mazedonien – aufgrund des vermeintlichen territorialen Anspruchs des neuen Staates. Außerdem empfanden es die Griechen als Provokation, dass sich der neue Staat auf die Tradition des einstigen hellenisierten, antiken Reiches Makedonien beruft und dessen Symbole für die Identitätsstiftung nutzt, obwohl die staatsbildende Nation slawisch ist. Als Folge des Streites darf Mazedonien im internationalen Verkehr nur den Namen F.Y.R.O.M. (Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien) verwenden, obwohl der überwiegende Teil der Staatengemeinschaft das Land unter dem Namen Republik Mazedonien anerkannt hat. Ebenfalls auf Drängen Griechenlands schrieb Mazedonien in seiner Verfassung fest, keine territorialen Ansprüche auf die griechische Region zu erheben; nach einem Embargo Griechenlands 1994 bis 1995 hat das Land sogar seine Flagge, den Vergina-Stern, geändert, den es vom größten makedonischen Herrscher, Alexander dem Großen, „geklaut“ hatte. Die Frage eines zukünftigen, von beiden Seiten akzeptierten Namens ist bis heute ungelöst, und aufgrund des griechischen Vetos bleibt Mazedonien der Beitritt zur NATO verwehrt. „Griechenland hat es zu einer Prinzipienfrage gemacht, dass Mazedonien seinen Namen in dieser Form nicht verwenden darf. Diese Forderung ist allerdings reiner Idealismus. Wie kann man Generationen von Menschen vermitteln, dass sie ihren Namen aufgeben und die Geschichte umschreiben sollten?“, fragt die Slawistin. Griechenland sitzt am längeren Hebel und profitiert sogar von dem Streit, der in der Innenpolitik für populistische Zwecke instrumentalisiert wird. „Es ist eine Frage, die sehr viele Wähler für die Nationalisten gewonnen hat. In den 90er Jahren, als sich Andonis Samaras als Außenminister einen Namen machen wollte, wurde diese Frage aufgepumpt und von da an immer wieder bemüht“, so die Professorin weiter. Damals, 1992, wurde Samaras wegen seiner Kompromisslosigkeit vom Außenministerium  entlassen. Seit Juni 2012 ist er Ministerpräsident Griechenlands.

Wissenschaft vs. Politik
Die konservative Nea Dimokratia, die stärkste Kraft im Parlament, hat klare Vorstellungen von der Wissenschaft: Sie muss dem griechischen Staat dienen. Wer sich nicht anpasst, fliegt. Genau das passierte Professor Ioannidou. Sie fasste mit ihren Dialektforschungen  ein heißes Eisen an. „Einer der Hauptgründe dafür, dass ich immer wieder angegriffen werde, war eine zweijährige Forschungsaufgabe, in der ich slawische Sprachen in Griechenland kartographierte. Damals ging ich in die griechischen Dörfer und fragte die Einwohner nach ihrer Sprache. Deswegen wird mir ständig vorgeworfen, ich sei nicht nationalgriechisch genug. Das war von 1994 bis 1996, direkt nach dem Aufflammen der mazedonischen Frage.“ Die Forschungsergebnisse wurden publiziert und avancierten zum Skandal. Vor zwei Jahren führten sie schließlich zu ihrer Entlassung aus der Universität Athen. Nach mehreren Prozessen machte die damalige griechische Bildungsministerin ihre Entlassung rückgängig und stellte fest, der Vorfall sei ein reines Komplott gewesen. So bekam Ioannidou ihre Stelle zurück. Jedoch war schon ihre Berufung zur Professorin an der neugegründeten Fakultät für Slawistik von ultrarechten Parlamentariern in Frage gestellt worden mit der Begründung, sie sei nicht nationalistisch genug.
Bis heute ist ihre wissenschaftliche Freiheit eingeschränkt. „Die Slawistik darf sich nur mit dem griechischen Einfluss auf die slawische Welt befassen, was die Beschränkung auf byzantinische Texte bedeutet. Als moderne Slawistik gibt es bei uns nur eine sprachkonzipierte Russistik, wo die Leute einfach Russisch pauken“, erklärt Ioannidou. So darf die Professorin zwar weiter an der Universität unterrichten; über slawischsprachige Minderheiten soll sie dabei aber kein Wort verlieren. Ihr ehemaliger Slawistik-Professor hatte sie von Anfang an vor der Dialektologie gewarnt: „Daran kann Ihre wissenschaftliche Laufbahn scheitern.“ Auf die Frage, ob sie ihre Dialektforschungen in Griechenland fortsetzen könnte, folgt die düstere Antwort: „Das müsste ich auf eigene Kosten machen und Konsequenzen tragen, die schlecht einzuschätzen sind.“

Düstere Zukunft
In Griechenland kann man Wissenschaft und Politik nur mühsam voneinander trennen. „Es ist der alte Konflikt zwischen Intellektuellen und Macht. Da hat man sich als Wissenschaftler von der Macht fernzuhalten und darauf zu achten, dass man sich auf das Wissenschaftliche beschränkt.“ Was die Zukunft ihres Landes angeht, ist sie pessimistisch. Nach Ansicht der anderen europäischen Länder sind die Misswirtschaft der griechischen Regierung und die Korruption der griechischen Gesellschaft an der Krise schuld. Griechenland ergreift unbeliebte Maßnahmen, die zu gesellschaftlichen Ungleichheiten, zu Armut und letztendlich zur Verbreitung radikaler Ideologien führen. Das Pünktchen auf dem i ist die Neonazi-Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte): Bei den letzten Wahlen gelang ihr erstmals der Einzug ins Parlament. „Die Chrysi Avgi ist nicht einfach eine Nazi-Partei, das sind Kriminelle. Die Parteiführer sitzen wegen Mord in Untersuchungshaft. Diese Partei hätte niemals vom Parlament Zulassung bekommen dürfen“, sagt die Professorin. In dieser Stimmung ist die Lage der „Slawo-Mazedonier“, wie die griechischen Mazedonier von Politikern genannt werden, besonders schwierig. „Im Grunde kann man nicht von einer anerkannten Minderheit sprechen. Ihre wirtschaftliche Lage war immer schwieriger als die der anderen Griechen, weil sie in abgelegenen Dörfern oder sehr ärmlichen Städten im Nordwesten des griechischen Makedoniens leben. Lange wurden sie ihrer Sprache wegen verfolgt. Viele sind emigriert und nie zurückgekehrt.“ Man könnte es als Fortschritt betrachten, dass seit Anfang der 90er Jahre eine kleine Partei, die Ouranio Toxo (Regenbogen), existiert, die sich für die Rechte der mazedonischen Mehrheit einsetzt und bei den letzten Wahlen ein Prozent der Stimmen gewann. Trotz politischer Präsenz werden jedoch die in Griechenland lebenden Mazedonier bis heute nicht offiziell als Minderheit anerkannt.

Nomen est omen?
Alexander der Große ist der Dreh- und Angelpunkt des mazedonisch-griechischen Streites um das makedonische Kulturgut. In Thessaloniki wurde die Universität in „Universität Makedonien“ umbenannt, daraufhin bekam der neue Flughafen in der mazedonischen Hauptstadt Skopje den Namen „Alexander der Große“. Beide Länder versuchen sich gegenseitig zu provozieren. Im Zentrum Skopjes steht eine riesige Reiterstatue mit dem Namen „Krieger zu Pferd“. Jeder Mazedonier und jeder Grieche weiß, dass Alexander der Große abgebildet ist, aber die Hauptsache ist, er wird nicht beim Namen genannt. Auf die Frage, welcher Nation der antike Alexander der Große zugerechnet werden sollte, gibt Frau Ioannidou eine sehr westeuropäische Antwort: „Sicher war er – als Slawe – kein Makedonier. Er hatte eine griechische Bildung. Das ist sicher, weil er ein Schüler von Aristoteles war. Aber es ist wirklich egal, ob er griechisch war oder nicht. So oder so, er war ein großer Diktator. Eine Art Napoleon des Altertums.“ Zum Glück herrscht keine Diktatur mehr, weder in Griechenland, noch in Mazedonien. Da leben die Völker in Demokratie und in den Spuren alter, ruhmreicher Zeiten.

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