Trotz steigender gesellschaftlicher Toleranz wird die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe in westlichen Ländern teils kontrovers diskutiert: Ein Blick auf vergangene und künftige Entwicklungen in Deutschland, Frankreich und den USA.
von Frank & David
Sieben Jahre sind in der Politik manchmal eine Ewigkeit – genügend Zeit für Quantensprünge allemal. Als die rotgrüne Bundesregierung 2001 die eingetragene Lebenspartnerschaft ermöglichte, waren gerade einmal sieben Jahre vergangen, seit die Strafbarkeit von Homosexualität in Deutschland vollends abgeschafft worden war: Paragraph 175 des Strafgesetzbuches hatte seit Inkrafttreten im Jahr 1872 sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe gestellt – wenn auch seit 1969 nur noch mit unter 18-Jährigen. „Bis in die 1990er-Jahre standen auf der Agenda der Schwulenbewegung noch die endgültige Abschaffung des Paragraphen und die Wiedergutmachung für in der NS-Zeit verfolgte Homosexuelle ganz oben,“ erklärt Elmar Kraushaar, der journalistisch seit vielen Jahren die Schwulenrechtsbewegung begleitet. „Das Thema Gleichstellung und Homo-Ehe kam erst später hinzu.“
Einzelne Personen, wie Volker Beck von den Grünen, brachten das Thema auf die politische Tagesordnung. Andere europäische Länder, allen voran Dänemark, hatten bereits entsprechende Gesetze erlassen und der Mainstream der deutschen Medien entdeckte das Thema langsam für sich. Echten Widerstand gab es erst, als die Forderungen langsam in die Praxis umgesetzt wurden. „Das Lebenspartnerschaftsgesetz war dann eine riesige qualitative Veränderung – der große Schritt Richtung Gleichstellung. Damals war auch die Gegnerschaft am größten“, erinnert sich Renate Rampf vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD). „Es gab massiven politischen Widerstand von Schwarzgelb, sowohl auf Bundesebene als auch in den Ländern.“ Mehrere unionsgeführte Bundesländer wollten vom Bundesverfassungsgericht feststellen lassen, dass sich das Lebenspartnerschaftsgesetz nicht mit dem Grundgesetz vereinbaren lässt – und scheiterten damit.
Heute gibt es in Deutschland etwa 27.000 eingetragene Lebenspartnerschaften, doch die vollständige gesetzliche Gleichstellung mit der Ehe ist noch nicht erreicht. Der Widerstand bei den Unionsparteien hat bis heute mehr oder weniger Bestand, wobei häufig auf den besonderen Schutz von Ehe und Familie verwiesen wird. Zumindest aber die FDP hat einen Wandel durchgemacht. Bereits 2004 stimmten die Liberalen im Bundestag gemeinsam mit SPD und Grünen für eine Überarbeitung und Erweiterung des Lebenspartnerschaftsrechts. Seit 2012 steht im FDP-Grundsatzprogramm: „Alle Paare sollen die Ehe eingehen können“ – und das ohne Unterschiede bei Rechten und Pflichten. Allerdings stand in der schwarzgelben Bundesregierung die Fraktion der Liberalen im Parlament stets fest an der Seite der Union. Gemeinsam schmetterten sie im Bundestag sämtliche Vorstöße der Opposition zur vollständigen Gleichstellung ab. So wurde etwa ein Gesetzentwurf der Grünen „zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für gleichgeschlechtliche Paare“ abgelehnt, bei insgesamt nur sieben Enthaltungen aus dem schwarzgelben Lager. Guido Westerwelle nahm übrigens an der Abstimmung nicht teil – obwohl er an diesem Tag im Bundestag weilte und sich an einer anderen namentlichen Abstimmung beteiligte.
Vonseiten der rot-grün-roten Opposition hatte es in der zurückliegenden Legislaturperiode eine ganze Reihe solcher Vorstöße gegeben. Kein Wunder: Sozialdemokraten, Grüne und Linke sind sich seit Langem einig darin, die Gleichstellung homosexueller Paare mit der Ehe vollständig umzusetzen. Doch unter Schwarzgelb mussten weitere Schritte zur Gleichstellung stattdessen in den letzten Jahren vom Bundesverfassungsgericht „angeordnet“ werden, damit sich die Regierung Merkel bewegte. Immer wieder begründete Schwarzgelb noch bestehende Ungleichbehandlungen damit, dass zunächst die Entscheidung aus Karlsruhe abzuwarten sei. Die Entscheidungen kamen; zuletzt kippte das Verfassungsgericht die steuerliche Ungleichbehandlung beim Ehegattensplitting. Für die Richter gab es keine „gewichtigen Sachgründe für eine Ungleichbehandlung“; diese verstoße daher gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes.
Theologisch gleichwertig
„Die öffentliche Meinung ist da weiter als die CDU oder die Kirchen“, beobachtet Elmar Kraushaar. „In der Bevölkerung scheint es eine mehrheitlich positive Stimmung für die Gleichstellung zu geben. Das setzt Parteien und Kirchen unter Druck.“ In der Tat weisen Umfragen in diese Richtung: Im ARD-Deutschlandtrend sprachen sich im Frühjahr 2013 zwei Drittel der Befragten für die steuerliche und rechtliche Gleichstellung aus; laut einer Umfrage des Magazins Stern sind es sogar 74 Prozent.
Auch die evangelische Kirche hat in den letzten Jahren – anders als die katholische – erstaunliche Wandlungen durchgemacht. Im Jahr 2000 unterstützte das Kirchenamt der EKD das Gesetzesvorhaben zur eingetragenen Lebenspartnerschaft als „geeignet, gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften als Verantwortungs- gemeinschaften zu festigen“. Im Juni dieses Jahres hat der Rat der EKD eine Orientierungshilfe veröffentlicht. Darin definiert er Ehe als „besondere Stütze und Hilfe, die sich auf Verlässlichkeit, wechselseitige Anerkennung und Liebe gründet“ und anerkennt auch kinderlose Paare, Patchwork-Familien und Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern. Mehr noch: Homosexuelle Partnerschaften werden theologisch begründet als gleichwertig mit traditionellen Ehen bezeichnet. Die Orientierungshilfe erntete von vielen evangelischen Würdenträgern lautstarke Kritik – von Abwertung der Ehe und Familie war die Rede. EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider wehrte die Kritik ab und betonte, dass die „Qualität“ und nicht der „Status“ einer Beziehung wesentlich sei.
Doch auch bei den Christdemokraten regen sich seit Längerem Stimmen, die für die Gleichstellung eintreten. „Das zeigt, dass sich selbst in einer konservativen Partei durchaus etwas bewegt“, bemerkt Elmar Kraushaar. „Die starre Haltung wird nicht mehr lange durchgehalten werden.“ Eine dieser Stimmen ist die von Alexander Vogt, Vorsitzender des Lesben- und Schwulenverbandes in der Union (LSU). Vogt, selbst Katholik, versteht das Dilemma seiner Partei: „Die Führung der CDU, auch die Kanzlerin, hält sich teilweise sehr bedeckt beim Thema Gleichstellung homosexueller Partnerschaften.“ Das habe in erster Linie taktische Gründe: „Die CDU ist eine Volkspartei mit einem sehr breiten Spektrum. Da muss man versuchen, alle mit einzubeziehen und mitzunehmen – auch den konservativen Rand.“ Einen Wandel von innen heraus, durch persönliche Begegnungen und Gespräche, halten Vogt und seine Mitstreiter für die beste Strategie. „Die meisten Gegner haben mit dem Thema nie zu tun gehabt. Wenn sie sich damit beschäftigen und selbst Homosexuelle treffen, merkt man, dass sich etwas ändert.“ Diese Strategie habe sich über die Jahre ausgezahlt: „Wir haben nicht versucht, zu provozieren, sondern zu informieren. Für mich heißt konservativ sein: den Wandel erträglich gestalten, und viele Parteimitglieder sind eben noch nicht so weit. Die darf man auch nicht überfordern, wenn man die Partei nicht vor eine Zerreißprobe stellen will.“ Auch Vogt weiß, dass selbst unter den CDU-Anhängern mittlerweile eine Mehrheit für die Gleichstellung ist; die erwähnte Erhebung im ARD Deutschlandtrend bestätigte das. Die anderen zu verprellen hieße aber, sie ins Lager der Nichtwähler zu treiben – oder zur AfD, die von einer Gleichstellung von Partnerschaften außerhalb der traditionellen Ehe nichts wissen will.
„Darum muss es eben in kleinen Schritten gehen“, erklärt Vogt. Keine Partei habe sich in dieser Sache – wenn auch notgedrungen – so weit bewegt wie die Union. „Manche waren insgeheim sicher froh, dass das Verfassungsgericht ab und an so deutlich gesprochen hat – weil sie dann sagen konnten: Wir können ja nicht anders.“ Doch die sukzessive Gleichstellung hat aus Sicht des LSU-Vorsitzenden auch einen gesamtgesellschaftlichen Vorteil: „Dadurch, dass es eine gesellschaftliche Kraft gibt, die immer mal wieder ‚Nicht so schnell!’ sagt, ist uns hierzulande eine Situation wie in Frankreich erspart geblieben.“
„Un papa, une maman“?
In kaum einem anderen Land war die Mobilisierung gegen die gleichgeschlechtliche Ehe medial so sichtbar wie in Frankreich, wo im Frühjahr 2013 mehrere Hunderttausende Bürger auf die Straße gingen, um dagegen zu demonstrieren. Dabei hat Frankreich legale Restriktionen gegen Homosexuelle schon 1791 abgeschafft. Das schützte Homosexuelle nicht unbedingt vor gesellschaftlicher Ächtung, zumindest aber vor juristischer Verfolgung in einer Kultur der liberalen und säkularen Rechtsauffassung. Während in Deutschland – und auch in den USA – hauptsächlich Gerichte Politik für Homosexuelle „machen“, löste die Regierung des Präsidenten François Hollande Anfang dieses Jahres eines seiner Wahlversprechen ein, indem sie ein Gesetz zur gleichgeschlechtlichen Ehe durchsetzte. Mit 200 Stunden Debatten und einem starken Widerstand der Konservativen gestaltete sich die Gesetzgebung im Parlament kompliziert. Dennoch konnte die Regierung sich der Zustimmung in der Bevölkerung sicher sein: Zwei Drittel der Franzosen unterstützen das Vorhaben, ein etwas kleinerer Anteil befürwortet auch entsprechende Adoptionsrechte.
Unter dem Motto „Manif pour tous“ („Demo für alle“) gingen die Gegner Anfang des Jahres auf die Straße, um gegen das Vorhaben „Marriage pour tous“ („Ehe für alle“) zu demonstrieren. Die Organisationen, die diese Proteste mit veranstalteten und finanzierten, sind in der Regel konservativer, religiöser oder rechtsradikaler Orientierung: Abgeordnete der ehemaligen Regierungspartei UMP, katholische Aktivisten und Front National-Leute führten die Kundgebungen an. Personelle und organisatorische Kontinuitäten zu den Massenprotesten, die 1999 die Einführung eingetragener Lebenspartnerschaften (PACS) begleiteten, sind leicht auszumachen.
Obwohl ein harter Kern der Proteste gegen die gleichgeschlechtliche Ehe dem katholischen Milieu entspringt, ist die Argumentation der Gegner säkular. Sie konzentriert sich hauptsächlich auf den Streitpunkt des Adoptionsrechts für homosexuelle Eheleute. Für „un papa, une maman“ wird explizit aus der Perspektive des Kindeswohls geworben: Die Gegner der gleichgeschlechtlichen Ehe meinen, dass diese das Wohl der adoptierten Kinder schädigt. Wie auch die Befürworter warten sie dafür jeweils mit ihren psychologischen Gutachtern auf, was eindrücklich demonstriert, dass die Frage der Homo-Ehe in Frankreich eine explizit politische (und keine juristische) ist.
Der Romanist und Sozialwissenschaftler Scott Gunther sieht bei den Gegnern sowohl eine diffuse Angst vor einer Gesellschaft, in der traditionelle Geschlechter-Kategorien keine wesentliche Rolle mehr spielen, als auch den Versuch, die gleichgeschlechtliche Ehe als gemeinwohlgefährendes Einzelinteresse zu delegitimieren. So versucht die „Manif pour tous“-Bewegung, sich als gesamtgesellschaftlich, gemeinwohlorientiert und – im Gegensatz zu den Anti-PACS-Protesten von 1999 – rhetorisch moderat zu präsentieren. Dafür nutzt sie nicht nur traditionell konservative Slogans („un papa, une maman“), sondern hat auch linke Symbolik in ihr Repertoire integriert: etwa Zitate Gandhis und Stéphane Hessels sowie „On ne lâche rien!“ (Wir geben nichts auf!), der Wahlslogan der Linksfront.
Die Selbstdarstellung als gesellschaftlich allumfassende Bewegung ist jedoch schnell gescheitert. Die Tageszeitungen Le Monde und Libération haben die Mehrheit der 50 Organisationen der „Manif pour tous“ als kurzfristig geschaffene „Phantom“-Strukturen enttarnt: Die „Homovox“ (angeblich Homosexuelle gegen die Homo-Ehe) wurde von homophoben katholischen Aktivisten gegründet, die „Musulmans pour l’enfance“ (Muslime für die Kindheit) von einem katholischen Blogger. Der realexistierende Kern der Homo-Ehe-Gegner besteht weiterhin aus religiösen Familienverbänden und konservativen bis rechtsradikalen politischen Aktivisten. Polternde Reden mit martialischen Versprechungen, wonach „Blut fließen wird“ reißen die „gesamtgesellschaftliche“ Fassade ein: Homophobe Gewalttaten, sei es gegen Einzelpersonen als auch gegen Institutionen, haben im Frühling 2013 gemäß SOS Homophobie für kurze Zeit sprunghaft zugenommen.
Allerdings haben sich die Proteste in ihren anfänglichen Dimensionen erschöpft – zu den internen Streitigkeiten kommt hinzu, dass ein Teil der Demonstranten die Anti-Homo-Ehe-Demos vor allem auch als Kundgebungen gegen die Hollande-Regierung genutzt haben. Scott Gunther prognostiziert: „I think that the energy behind the opponents of same-sex marriage will gradually lose steam. Once that same-sex marriage becomes available, the original opponents begin to realize that it hasn’t had much of an impact on their lives and their motivation to fight it drops.“
USA: Rasante Entwicklung
Anders als in Deutschland und Frankreich ist die Regelung der Eheschließung in den USA Angelegenheit der jeweiligen Einzelstaaten. Dieser Föderalismus führt zu einem Flickenteppich an Regelungen, der sich in den letzten Jahren jedoch rasant verändert hat. In einigen Staaten bestanden Strafbestimmungen gegen gleichgeschlechtlichen Sex offiziell noch bis 2003 (etwa in Texas), als der Oberste Gerichtshof sie für verfassungswidrig erklärte. Auch wenn diese seinerzeit nur noch sehr selten angewendet wurden: Fortschrittlichere Staaten hatten sie nicht nur längst abgeschafft, sondern waren bereits dazu übergegangen, gleichgeschlechtliche Partnerschaften anzuerkennen. „Vereinzelte Vorstöße für eine ‚Homo-Ehe’ hatte es schon in den 1970er Jahren gegeben, aber als politisch machbare Forderung trat das erst Mitte der 1990er Jahre auf den Plan“, erklärt Professor Michael Dreyer, Politikwissenschaftler an der Uni Jena. Sogenannte Domestic Partnerships oder Civil Unions wurden für gleichgeschlechtliche Paare ab Ende der 1990er Jahre in immer mehr Staaten ermöglicht, doch mit einer „Heirat zweiter Klasse“ wollten sich viele nicht zufrieden geben: 2003 wurde in Massachusetts als erstem Staat die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare (same-sex marriage) eingeführt – per Richterspruch: Das Oberste Gericht von Massachusetts sah in der Ungleichbehandlung eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, den die Verfassung des Staates vorschreibt.
Fünf Jahre später war es im Falle von Vermont erstmals nicht die Justiz, sondern die Legislative, die für die Einführung gleichgeschlechtlicher Ehen sorgte; weitere Staaten, vor allem an der Ostküste, sollten folgen. Auch wenn immer noch eine Mehrheit der Einzelstaaten gleichgeschlechtliche Ehen nicht vorsieht oder sogar explizit verbietet, erkennt Michael Dreyer einen rasanten Wandel – noch vor zehn Jahren sei an den heutigen Stand gar nicht zu denken gewesen: „Zur Präsidentschaftswahl 2004 machten die Republikaner noch Wahlkampf gegen die Gleichstellung. In vielen Einzelstaaten standen damals Volksentscheide auf dem Wahlzettel, die homosexuelle Ehen für verfassungswidrig erklären sollten“, erinnert sich der Politikwissenschaftler. „Nur acht Jahre später sprach sich Präsident Obama – wenn auch etwas gestupst von seinem Vizepräsidenten – im Wahlkampf offen für die Gleichstellung aus, und in den ersten Staaten waren Volksentscheide für die Einführung von same-sex marriage erfolgreich.“
Ein Staat nach dem anderen – mit dieser Strategie zeigen die Befürworter der Gleichstellung, dass sie viel von der schwarzen Bürgerrechtsbewegung gelernt haben: „Sie schauen, was machbar ist und in welchem Staat sie mit dem geringsten Widerstand zu rechnen haben – und dort bündeln sie ihre Ressourcen“, erklärt Michael Dreyer. Mittlerweile sind bereits in den meisten blue states – die im Rennen ums Weiße Haus solide an die Demokraten gehen – gleichgeschlechtliche Ehen legal.
Doch auch die Gleichstellungsgegner arbeiten einzelstaatsbezogen, wohl wissend, dass ein Verbot von same-sex marriage auf Bundesebene nur über eine Änderung der US-Verfassung möglich wäre – angesichts der hohen Hürden dafür ein aussichtsloses Unterfangen. Ihre Initiativen zielen darum eher auf ein Verbot homosexueller Ehen im jeweiligen Staat. Getragen werden diese Vorstöße teilweise von organisierten (und finanziell stark aufgestellten) Kirchen, wie den Mormonen, oder von eigens gegründeten Organisationen mit Namen wie „Family Research Council“ oder „Protect Marriage“, die die ‚klassische’ – also heterosexuelle – amerikanische Familie zu verteidigen meinen. Diese argumentieren zwar auch mit Gott, zielen allerdings auf Menschen aus allen konfessionellen Richtungen ab. „Aber auch Einzelpersonen, etwa prominente TV-Prediger wie Pat Robertson, können eine große Wirkung entfalten, wenn sie ein Millionenpublikum erreichen“, betont Michael Dreyer. Man dürfe nicht vergessen, dass die USA wesentlich religiöser seien als die meisten europäischen Länder. Auch auf die evangelikale Rechte, die in den 1980er Jahren durch den Kampf gegen die Abtreibung aus ihrer Politik-Abstinenz erweckt wurde, wirkten die Gleichstellungsversuche seit den 1990er Jahren stark mobilisierend. Entsprechend lässt sich die Gegnerschaft gegen homosexuelle Ehen in den USA recht klar charakterisieren: „Natürlich gibt es Ausnahmen, aber im Schnitt sind die Gegner älter, sozioökonomisch weniger bevorteilt und stärker religiös geprägt als der Rest der Bevölkerung“, fasst Politikwissenschaftler Dreyer zusammen. „Im Kern lautet ihre Argumentation: homosexuelle Partnerschaften – und erst recht gleichgeschlechtliche Ehen – sind widernatürlich und verstoßen gegen Gottes Gebote.“ Dennoch lassen einige Kirchen, wie die Metropolitan Community Church oder die Unitarier, nicht nur schwule Pastoren zu, sondern nehmen sogar Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare vor.
Umfragen zufolge sind mittlerweile mehr Amerikaner für gleichgeschlechtliche Ehen als dagegen – das war vor einigen Jahren noch anders. Trotzdem wird sich die Gleichstellung nicht vom Kongress durchsetzen lassen, sondern, ähnlich wie in Deutschland, durch Gerichtsentscheidungen. Der Oberste Gerichtshof machte dabei in diesem Sommer einen großen Schritt, als er den Defense of Marriage Act (DOMA) teilweise für verfassungswidrig erklärte. Das Gesetz hatte 1996 die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau festgeschrieben und der Bundesregierung verboten, gleichgeschlechtliche Ehen oder ähnliche Verbindungen anzuerkennen. Das Gericht kippte das Gesetz, weil es gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz der US-Verfassung verstoße. Die Regierung von Präsident Obama, der die Entscheidung als „historischen Schritt“ bezeichnete, machte sich sogleich ans Werk, die Gleichstellung hetero- und homosexueller Eheleute voranzutreiben – jedenfalls in den Bereichen, die der Gesetzgebung des Bundes unterstehen. Unzählige Regelungen, im Steuer- und Erbschaftsrecht, Gesundheitswesen oder Einwanderungsrecht, sind von der Entscheidung betroffen und wurden in vielen Fällen bereits angepasst.
„Die nächste große Hürde wird sein, die Einzelstaaten zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen zu verpflichten“, erklärt Michael Dreyer. „Das wird mit Sicherheit Gegenstand einer der nächsten großen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes sein.“ Denn auch wenn manche Einzelstaaten bereits anderswo geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen anerkennen, obwohl sie diese selbst nicht eingeführt haben: Bei einigen werde sich, ohne Druck der Judikative, nichts ändern. Die Staat-für-Staat-Strategie wird irgendwann an ihre Grenzen kommen. „Aber wenn sich ein nationaler Trend abzeichnet und die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung in Staaten lebt, in denen die Gleichstellung gilt, wenden sich die Befürworter damit an den Obersten Gerichtshof. Der ist nicht bereit, als bahnbrechender gesellschaftlicher Veränderer voranzuschreiten. Aber er hat schon häufig offenkundige Trends – sogenannte developing standards – aufgegriffen“, erklärt der Politikwissenschaftler. Mit Verweis auf die equal protection-Klausel des 14. Verfassungszusatzes würde das Gericht dann quasi ein gleiches Grundrecht auf Heirat für alle Amerikaner anerkennen und dem entgegenstehende Regelungen der Einzelstaaten für verfassungswidrig erklären. „In zehn Jahren wird das Thema durch sein – mit einer Kombination aus einzelstaatlicher Gesetzgebung und bundesstaatlicher Rechtsprechung“ prophezeit Dreyer. „Und es werden Millionen von Menschen ins Wahlalter kommen, die für die Gleichstellung sind, sodass es sich auch für Politiker nicht mehr lohnen wird, dagegen zu sein. Selbst Konservative haben mittlerweile erkannt, dass sie nur noch Rückzugsgefechte führen.“
Karlsruhe wird sprechen
Die meisten Beobachter sind sich einig: Auch in Deutschland wird die vollständige rechtliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften in wenigen Jahren umgesetzt sein – notfalls durch höchstrichterliche Anordnung. „In der beginnenden Legislaturperiode werden wir einen großen Schritt weiterkommen, entweder mit der Regierung oder ohne sie“, ist sich Renate Rampf vom LSVD gewiss. „Es gibt eine parlamentarische Mehrheit für die Öffnung der Ehe über die Ergänzung von Paragraph 1353 BGB. Wenn die Regierung das nicht schafft, wird das Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Entscheidung fällen.“
So war es wohl auch ein Fingerzeig an Angela Merkel, als Barack Obama in seiner diesjährigen Rede am Brandenburger Tor sagte: „When we stand up for our gay and lesbian brothers and sisters and treat their love and their rights equally under the law, we defend our own liberty as well.“ Neben der Kanzlerin auf der Bühne saß Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit – und lächelte.
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