Grüßen auf Französisch, Verabschieden auf Arabisch, SMS-Schreiben auf Englisch: In Beirut verständigt man sich im Alltag trilingual – auch jenseits von Konfessionsgrenzen.
von Sophie Hövelmann
Wie sagt man auf Libanesisch „Entschuldigung“? Antwort: „Pardon“ oder „Sorry“. Versucht man sein Glück mit dem arabischen Wort „Afouan“ entpuppt man sich – zugespitzt gesagt – bereits als Ausländer. Im Libanon, einem Staat, der gerade einmal halb so groß wie Hessen ist, mischen sich orientalische und westliche Kulturelemente, wie in keinem anderen Land des Mittleren Ostens. Offizielle Amtssprache ist Arabisch. Daneben ist Französisch und zunehmend auch Englisch weit verbreitet. Schlendert man durch die Straßen der pulsierenden Hauptstadt Beirut, sieht man Verkehrsschilder auf Arabisch und Französisch, Reklamen auf Englisch oder einen bunten Mix aus allen drei Sprachen. Vor allem die junge Bildungsschicht in Beirut spricht in der Regel alle drei Sprachen fließend. In Gesprächen wird fröhlich gemischt. So entstehen Formulierungen wie „Jalla, bye“ als Abschiedsgruß oder „Merci, kitier“, das französische Danke kombiniert mit dem arabischen Wort „sehr/viel“. Begibt man sich auf eine kleine Stadttour durch Beirut, wird deutlich, dass diese Stadt vielfältiger nicht sein könnte.
Die vielen Gesichter Beiruts
Im überwiegend christlichen Stadtteil Ashrafieh in Ostbeirut trifft man viele Libanesen, die wie selbstverständlich Französisch untereinander sprechen. Selbst in den kleinen Straßenläden dieser Gegend sprechen die meisten Verkäufer fließend Englisch oder Französisch. So scheint sich dieses Wohnviertel auch für viele westliche Ausländer etabliert zu haben, die ebenfalls zum Sprachenmix beitragen. Vor allem im schicken und über die Verhältnisse teuren Downtown hat Sprache jedoch noch eine weitere Funktion. Sie dient der Abgrenzung und der Betonung der eigenen Bildung. Französisch ist schick, Englisch im Business unabdingbar. Hier zeigt man gerne was man hat. Dicke Autos, teure Kleidung, oder eben die ausgezeichnete Ausbildung, die man genossen hat.
Fährt man von Downtown weiter in den westlichen Stadtteil Hamra, verändert sich nicht nur die Architektur von luxuriösen Neubauten hin zu einem bunten Stilmix. Im Shopping- und Ausgehviertel der Beiruter hört man vermehrt Arabisch und Englisch. Letzteres liegt vor allem an der Amerikanischen Universität Beirut, die im gesamten Mittleren Osten einen herausragenden Ruf genießt. Betritt man den grünen Campus, fühlt man sich geradezu in einen amerikanischen Collegefilm versetzt. Auf dem Sportplatz wird American Football trainiert und die Palmen erinnern an Los Angeles.
Beirut hat viele Gesichter. So scheint es fast, als wäre man in einer vollkommen anderen Stadt, besonders, wenn man die muslimisch geprägten Stadtviertel im Westen besucht. Wenn man mit den Menschen ins Gespräch kommen möchte, ist es hier durchaus hilfreich, ein paar Brocken Arabisch zu sprechen. Dieser Sprachenmix hat sowohl geschichtliche als auch gesellschaftspolitische Hintergründe.
Nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches stand der Libanon unter französischem Mandat. In dieser Zeit wurde Französisch in den privaten wie staatlichen Schulen unterrichtet. Dies jedoch nicht ohne Widerstand: Vor allem Muslime und griechisch-orthodoxe Christen sahen in der Sprachenfrage eine Parteinahme Frankreichs für die christlichen Maroniten, die seit jeher gute Beziehungen zu Frankreich pflegten. In den 1920er Jahren wurde die Sprachpolitik zunehmend ideologisch aufgeladen. Sprache, Ethnizität und vor allem Geschichte entwickelten sich zu zentralen Streitfragen. Somit wirkte Frankreichs Sprachpolitik eher spaltend als vereinheitlichend auf den kleinen Zedernstaat. Auch nach der Unabhängigkeit des Libanons 1943 blieb die Sprachenfrage konfliktträchtig. Die vorrangig christlich-französischen Bildungseinrichtungen weigerten sich, die arabische Sprache einzuführen, aus Angst vor einer religiösen und kulturellen Assimilierung. Eine „Libanisierung“ wurde befürwortet, eine sprachliche „Arabisierung“ jedoch abgelehnt. Die konfessionelle Zugehörigkeit zementierte sich als ein grundlegendes Element im Bildungssystem. Daran hat sich bis heute wenig verändert.
Arabisch verboten!
„Auf dem Spielplatz in der Grundschule durften wir nur Französisch reden. Arabisch war verboten“, erzählt Joseph Kai, selbstständiger Grafikdesigner in Beirut. Sein Abitur machte er auf Französisch und Arabisch. Englisch wählte er als zweite Fremdsprache in der Schule. Heute beherrscht er alle drei Sprachen fließend und lernt zudem Deutsch am Goethe-Institut. Joseph erinnert sich, dass sein Vater einst Sorge hatte, seine Kinder würden das Arabische verlernen. Zuhause sollte daher nur Arabisch gesprochen werden, was er auch heute mit seinen Eltern und Freunden mehrheitlich spricht. Gelegentlich mischen sich französische und englische Sätze dazwischen, aber das Arabische bleibt seine Muttersprache, in der er sich am leichtesten ausdrücken kann.
Betrachtet man das libanesische Bildungssystem, wird deutlich, dass das Erlernen von Fremdsprachen nach wie vor einen hohen Stellenwert hat. Fast zwei Drittel der libanesischen Schüler werden in Französisch unterrichtet, etwa ein Drittel in Englisch. Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder auf Privatschulen, die entweder nach französischem oder amerikanischem Vorbild aufgebaut sind. Insgesamt zeichnet sich der Libanon durch eine der höchsten Alphabetisierungsraten im gesamten Nahen Osten aus. Dennoch sollte dies nicht über die bestehenden Mängel im libanesischen Bildungssystem hinwegtäuschen. Auch heute noch sind viele Schulen und höhere Bildungseinrichtungen in der Verantwortung der Religionsgemeinschaften. Gemischt konfessionelle Schulen und Universitäten gibt es wenige. Auch wenn die öffentlichen Schulen generell konfessionsübergreifend sind, dominiert häufig eine der Konfessionen ein Stadtviertel und somit auch die öffentlichen Schulen in diesem Gebiet.
Französisch ist out, Englisch en vogue
Gerade diesen eilt der Ruf voraus, in der Qualität der Sprachlehre hinter den Privatschulen zurück zu fallen. Dies gilt jedoch vorwiegend für die ohnehin schon ökonomisch schwachen und armen Regionen im Libanon. Dazu zählt vor allem die Bekaa-Ebene und der Nordlibanon. Hier sprechen die wenigsten fließend Französisch oder Englisch. Das Bildungsgefälle zwischen der Hauptstadt und dem restlichen Land ist groß. Somit sagt der obligatorische Unterricht in drei Sprachen wenig über die tatsächliche Beherrschung aus. Kritiker der trilingualen Erziehung bemängeln daher auch die hohen Durchfallquoten und die teilweise schwachen Kenntnisse in allen drei Sprachen.
Gerade am Französischen scheitern viele Schüler. In den letzten Jahren scheint die-se Sprache daher zunehmend unpopulär zu werden, wohingegen das Englische einen Aufschwung erlebt. Dies liegt nicht nur an der leichteren Erlernbarkeit der Sprache. Ein wesentlicher Grund ist die Wirtschaft: Englisch ist die Businesssprache Nummer eins. Außerdem zieht es die junge gebildete Mittel- und Oberschicht mehr denn je ins Ausland: zum Studium in die USA oder nach Kanada, zum Arbeiten nach Europa. Ohne Englisch kommt man nicht weit.
Ein weiterer Grund ist sicherlich auch der immer schon währende kulturelle Einfluss des Westens auf den Libanon: Amerikanische Filme und Serien flimmern auch hier über die Fernsehbildschirme. Blogs, Twitter und Facebook werden auf Englisch bedient und so scheint sogar die arabische Schrift unter der libanesischen Jugend an Bedeutung zu verlieren. SMS werden der Einfachheit halber entweder in Englisch und Französisch oder auf Arabisch mit lateinischen Buchstaben geschrieben. Die Entwicklungen der letzten Jahren verdeutlichen, dass Sprache und Schrift einem stetigen Wandel unterliegen. Der Libanon ist dafür ein gutes Beispiel. Der wilde Sprachenmix ist gleichzeitig ein Spiegel der libanesischen Kultur. Von allem ein bisschen: Orient und Okzident. Offen für neue Einflüsse und gleichzeitig konservativ konfessionelle Denkmuster verteidigend. Sprachen mixen und gleichzeitig Gruppen trennen. „That‘s Lebanon!“
Sophie Hövelmann (24) studiert den Master Sozialwissenschaftliche Konfliktforschung an der Universität Augsburg. Sie absolvierte in Beirut ein Auslandssemester an der Französischen Universität St. Joseph sowie ein Praktikum beim „Forum Ziviler Friedensdienst“.
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