von fabik
Millionen Deutsche fahren jedes Jahr ins Ausland in den Urlaub.
Einige Wochen später kehren sie wieder heim – braun gebrannt, einige hundert Euro ärmer und meistens ein ganzes Stück rassistischer.
Pünktlich um 16 Uhr ging es los: „Boccia, Boccia, Boccia!“, rief es am Rand unseres Swimmingpools aus dem Mund eines dunkelhäutigen, durchtrainierten Mannes mit rosa ins Haar eingeflochtenen Perlen. Manchmal war ich auch am strahlend gelben Strand, tauchte ich zwischen neongrünen Badeanzügen hindurch, während wir vormittags meistens in einem nach Polstermöbelhaus riechenden Reisebus Teppichmanufakturen, Seifenfabriken oder den Gewürzhändlerbasar besuchten.
Es war Cluburlaub in Tunesien und ich nicht älter als zwölf Jahre. Das erste Mal außerhalb Europas, das erste Mal auf einem richtigen Golfplatz, das erste Mal traf ich auf angsteinflößendes, dunkles Seegras und zum ersten Mal beobachtete ich meine Mutter, wie sie standfest gegen diesen Teppichhändler anfeilschte. Das erste Mal war ich in einer richtig fremden Kultur und bis heute ergreift mich immer wieder dieses Gefühl, wenn ich „Tunesien“ höre: Boccia, Busse und Basare.
Doch was da in meinem Kopf herumschwirrt, sind weit mehr als verklärte Kindheitserinnerungen, als reduzierte Idealbilder, als die Träume, die über Hochglanzwerbeanzeigen jeden Tag in Millionen Haushalte geliefert werden. Es sind entmenschlichte Wunschbilder, nicht mehr als Klischees, die zum Hauptverkaufsargument einer ganzen Industrie geworden sind. „Let your dreams become true“ nennt es Neckermann, als nichts weniger als „Rassismus“ bezeichnet es die entwicklungspolitische Organisation „TourismWatch“.
Die Flucht ins real existierende Paradies
Beim Tourismus geht es um Sehnsüchte, Träume und Wunschbilder, um traditionelle Gesellschaften, die Rückbesinnung auf die Natur oder die Erfahrung nie gekannter ursprünglicher Herzlichkeit. Von der „inflationären Vermehrung des real existierenden Paradieses“, welche mittlerweile scheinbar überall auf der Welt zu finden sei, spricht der Reiseautor Christoph Henning in seinem Buch „Reiselust“. Doch Tourismus als Flucht in das eigens konstruierte Paradies ist nicht mehr als positiver Rassismus, der den Einheimischen abverlangt, das bessere Leben vorzuleben, positive Gegenentwürfe anzubieten, für unsere Ängste und Schwächen herzuhalten und sich bedingungslos dem Diktat der erwarteten Glückseligkeitsbringung zu unterwerfen. „Entfliehen sie dem Zivilisationsalltag“ lockt ein Anbieter für „Kulturreisen in Afrika und Arabien“. Doch wenn Tourismus eine Flucht aus der Zivilisation ist, dann kann das Ziel ja nur unzivilisiert sein.
Auf der Suche nach der minderwertigen Rasse
Es scheint nur konsequent, dass sich in kaum einem Reiseführer Spuren von Menschen oder Zivilisation finden lassen – es sei denn, die Zivilisation ist verfallen, die Menschen sind mit Sanddünen und Kaffernbüffelherden Teil einer Kulisse ursprünglicher Schönheit oder stehen in einem archaischen, vorindustriellen Zustand als Fischfänger und Teppichknüpfer in einer Reihe mit UNESCO-Weltkulturerben.
Der einsame südtirolische Bauer, der in romantischer Idylle fernab jeden Alltagsstresses das ursprüngliche Leben genießt, um sich dann doch gelegentlich mit Nachbarn und Freunden bei Wein, Weib und Gesang das Leben schmecken zu lassen. Der tibetanische Klosterschüler, der im Prozess der Einswerdung mit dem Kosmos in psychedelischen Nebelschwaden versinkt, während der hawaiianische Surferboy am eigenen Adoniskörper die Macht und Anmut der Natur in unberührter Vollkommenheit und fernab aller materialistischen Sorgen spürt. Was einst der naturverbundene edle Wilde war, ist heute der sexuell enthemmte Südseeinsulaner. Die Lebenswirklichkeit der Betroffenen wird dabei kategorisch ausgeblendet, die Kultur auf ein reines Showprogramm reduziert, um die voyeuristischen Bedürfnisse in der Regel europäischer Exotensammler zu befriedigen.
Die Wahl zwischen faszinierenden und armen Negern
Im sog. „Kultururlaub“, so die Mitarbeiterin der tourismuskritischen Organisation „Equations“ aus dem indischen Bangalore, suchen Touristen „eine wahrhaft minderwertige Rasse oder eine niedere Kultur, die sich der höhergestellten, in aller Regel weißen Rasse darbietet.“ Der Einheimische wird dabei nicht nur zum Anschauungsobjekt einer eskapistischen Safarifahrt degradiert, sondern wird gleichzeitig noch zu deren Erfüllungsgehilfen. Der gemeine Mexikaner, Chinese oder Ägypter ist selten mehr als Kellner, Putzfrau, Busfahrer, Schuhputzer, Massagedame oder Internetcafébetreiber, die in der Regel v.a. eines sind: immer freundlich und aus einfachen Verhältnissen stammend, bemüht, sich auf lustige Weise in der deutschen (oder zumindest englischen) Sprache verständlich zu machen.
Durch diese eigens abgestellten Einheimischen lebt der Tourist außerhalb des kulturellen Showprogramms in der Regel in einer räumlich und zeitlich abgekapselten und eigens für ihn geschaffenen Parallelkultur. Dabei ist es egal, ob sich diese Parallelkultur hinter den Mauern der frisch renovierten Bettenburgen an der Algarve oder den Rauchschwaden der hippiesken Backpackerhotels von Thailand versteckt: der Einheimische ist selten ein gleichwertiges Gegenüber. Stattdessen wird er zum Instrument, welches es ermöglicht, den eigenen Rassismus nicht nur zu bestätigen, sondern durch die Bereitstellung des vermeintlich objektivierenden Gegenstücks sogar noch zu festigen. Im Gedanken, man habe ja schließlich beide Seiten gesehen, bleibt so für den Einheimischen nur die Wahl, Opfer des einen (der faszinierende Ne-ger) oder des anderen Rassismus’ (der arme Neger) zu werden.
Der Rückkehrer wird zum Klischee-Experten
Und nach der Rückkehr? Da begannen auch bei mir die Fotoalbenschauen, die Versammlungen von Verwandten und Bekannten, und ich freute mich, endlich den Experten geben zu können. Kaum drei Wochen war ich damals in Tunesien, doch unhinterfragt und unwidersprochen wurde mir und wird allen anderen Rückkehrern die Autorität zugesprochen, die neu erworbenen Klischees weiterzuverbreiten. Schließlich war man ja „dort“ und müsse es wissen.
Bei Kaffee und Kuchen erzählte ich (wahrscheinlich war es doch eher meine Mutter) aber nicht nur vom lustigen Boccia-Boy sondern auch von diesem kleinen, schmutzigen Straßenjungen, der – kaum älter ich – im Café mit seiner Oud-Kurzhalslaute so zauberhaft spielend von Tisch zu Tisch ging und um ein paar Dinar bat.
Völkerschau am Kaffeetisch
„So naturverbunden und mit einer unglaublichen Herzlichkeit sind die Menschen dort gesegnet.“ Man habe zwar auch Armut gesehen, doch seien die Menschen dort auch mit Wenig glücklich, heißt dann dann an Kaffeetischen weltweit. „Zwischen Tradition und Moderne” – Jemen, Namibia, Neuseeland, Armenien, Kanada oder Peru – „Ein Land der Gegensätze“, heißt es bei Neckermann. „Interessant sind auch die vier Buschmänner (…) seltsame, den Affen ähnelnde Menschenrace (…) Doch scheinen sie sehr guthmütig zu sein, wie sie denn auch jede halbe Stunde vor den Zuschauern bereitwillig ihre Sprünge und Tänze wiederholen“, hieß das im Jahre 1854 in Hagenbecks „Völkerschau“.
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