Odyssee im Totlichtviertel (Lohntnichtviertel?)

Wie schwer es sein kann, einen Gesprächspartner bzw. eine Gesprächspartnerin aus dem horizontalen Gewerbe zu finden, verdeutlicht unser Protokoll einer frei­tagnachmittäglichen Suche in Gera.

von Chrime & Caro

Station 0: Im Zug
Wir sitzen im Regionalexpress von Jena-West nach Gera-Süd und unterhalten uns über das geplante Interview. Telefonisch haben wir im Vorfeld mit Heidi* einen Termin ausgemacht. Für sie scheint es kein großes Problem zu sein, über ihren Beruf zu sprechen: „Macht doch jede Hausfrau, dass sie mal ’nen Alten drüberrutschen lässt, wenn sie ’ne neue Strumpfhose will!“ Einiges an Recherche im Internet und in der Zeitung war nötig. Einige Prostituierte sagen aus Zeitmangel, die meisten aber aus Desinteresse ab. Der Zug ist pünktlich. Kurz nach fünf kommen wir im trüben Gera an.

Station 1: Der Termin
Nach kurzer Suche finden wir das Wohnhaus, in dem unsere Interviewpartnerin ihren Job erledigt. Unscheinbar liegt es in Sichtweite eines Kinderspielplatzes und eines Kinos. Eine leicht bekleidete, stark geschminkte junge Frau in High Heels öffnet die Tür und bittet uns in den Flur. Wir werden schon erwartet, allerdings gibt sie uns zu verstehen, dass es heute nicht klappen werde. Ohnehin sei das Haus „am Ende des Monats immer voll“. Auf unsere Nachfrage, ob jemand anderes Zeit habe, werden die neugierigen Mädchen, die dem Gespräch im Hintergrund lauschen, in die Wohnung zurückbeordert. Es gäbe nur eine Kollegin, sie sei erst seit zwei Monaten dabei und spreche so gut wie kein Deutsch. Immerhin bekommen wir den Hinweis, es doch in einem Studio nebenan zu versuchen.

Station 2: Das Nachbarstudio
Nur wenige Meter entfernt in einem anderen Wohnhaus befindet sich tat­sächlich das besagte Nachbarstudio. Leider bringt auch mehrmaliges Klingeln nichts. Die Tür bleibt verschlossen.

Station 3: Der Erotikshop
Etwas enttäuscht von den ersten beiden Rückschlägen begeben wir uns auf die Suche nach auffälligen Klingelschildern im Viertel. Wir müssen feststellen, dass das „Rotlichtviertel“ seinem Ruf nur bedingt gerecht wird, stoßen aber schließlich auf einen Erotikshop. Die düster gestylte Endvierzigerin an der Kasse empfängt uns leicht überrascht, aber durchaus offen und interessiert. Wir erklären ihr unser Anliegen. Ja, hin und wieder kaufe jemand Kondome. Redselig wird sie jedoch erst, als wir ihr vom geplatzten Termin bei Heidi erzählen. Dass diese wegen Überfüllung keine Zeit für uns habe, hält sie für äußerst unwahrscheinlich: „Das Arbeitslosengeld ist doch noch gar nicht überwiesen worden.“ Scheint die Hauptfinanzquelle der Kunden zu sein. Freundlich gibt sie uns dann einen Tipp und überreicht uns eine äußerst billig produzierte Visitenkarte: ein anderes Studio mit „aufgeschlossenem Chef“.

Station 4: Aufgeschlossen? Aufgeschmissen!
Am Hauseingang unseres nächsten Ziels treffen wir eine Dame, die uns fragt, wohin wir möchten. Unschwer zu erkennen, dass sie zum Studiopersonal gehört. Als wir ihr vom geplanten Interview berichten, zeigt sich Anita – wie sie sich nennt – freundlich und aufgeschlossen, und bringt uns zum Chef. In der Wohnung angekommen, bittet uns ein etwa 50-jähriger Mann mit Schnurr­bart und schütterem Haar herein. Wir nehmen Platz auf einer braunen Couch. Recht gemütlich hier. Als wir ihn auf das Interview ansprechen, erhalten wir ein freundliches, aber äußerst bestimmtes Nein, denn: „Bier sei Bier und Schnaps eben Schnaps!“ Als sich Anita interes­siert zeigt, wird sie vom Chef mit Nachdruck ins angrenzende Zimmer beordert. Bevor wir gehen, bittet uns der Mann noch, die Visitenkarte aus dem Erotikladen dazulassen.

Station 5: Zurück im Erotikshop

Die Angestellte erscheint wenig über­rascht, als wir zum zweiten Mal ihren Laden betreten. Sie plaudert jetzt intensiv aus dem Nähkästchen, erzählt uns, einige Frauen würden ihren Körper auch privat für Haus- und Hotelbesuche anbieten. Besseres Aussehen bringe hier­bei natürlich auch das bessere Geld. Außerdem hat sie einen weiteren Tipp für uns parat: eine befreundete Domina, die in Jena und Weimar arbeitet. Aller­dings habe diese „wirklich immer richtig viel zu tun“. Während des Telefonats mit ihr stellt sich dies dann leider auch als entscheidendes Gesprächshindernis heraus. Noch aber wollen wir nicht ganz aufgeben. Wir nehmen uns zwei weitere Visitenkarten und bedanken uns für die bereitwillige Hilfe.

Station 6: Falsch verbunden
Wir begeben uns zur Adresse des ersten Studios, öffnen ein massives Holztor und stehen in einem kleinen Innenhof. Da wir keine Klingel finden können, rufen wir zunächst die Handynummer auf der Karte an. Niemand nimmt ab. Auf dem Festnetz haben wir scheinbar mehr Erfolg, am anderen Ende meldet sich die nette Stimme einer jungen Frau. Diese klärt uns allerdings auf, dass wir keineswegs mit dem Erotikstudio sprächen, sondern der Anruf zu ihr umgeleitet würde. „Das passiert häufiger“, fügt sie hinzu.

Station 7: Sprechen Sie Deutsch?
Eine allerletzte Karte haben wir noch. Da das beworbene Massagestudio einige Kilometer entfernt ist, rufen wir gleich an. Tatsächlich sprechen wir mit einer Dame, die dort arbeitet. Leider zeigt sich aber nach wenigen Sätzen, dass auch dieser Versuch zum Scheitern verurteilt ist. Die Frau hat große Probleme mit der deutschen Sprache und ist nicht in der Lage, unsere Anfrage zu verstehen.

Station 8: Heimweg
Ein wenig frustriert begeben wir uns auf den Heimweg. Carola zeigt mir noch die City ihrer Heimatstadt Gera, wir essen vegetarische Frühlingsröllchen beim Asia Imbiss bzw. zwei Burger einer großen Fast-Food-Kette und gehen zum Bahnhof. Der Zug hat diesmal sieben Minuten Verspätung, es ist immer noch trüb.

* Sämtliche Namen wurden von der Redaktion geändert.


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