Nahost-Serie Teil 3: „Wir sind nur wenige Kilometer voneinander entfernt und das wird sich nie ändern.“

„Die mediale Berichterstattung auf beiden Seiten ist enorm einseitig“, sagen sie: „Peaceman“, ein palästinensischer Student um die 30 aus Gaza und „Hopeman“,ein ca. 40-jähriger Angestellter aus der israelischen Kleinstadt  Sderot. Beide wollen weder ihre Identität preis- noch Interviews geben – Peaceman aus Angst, als Kollaborateur gebrandmarkt zu werden und Hopeman, weil er die Vorurteile und Anfeindungen seiner Nachbarn fürchtet. Auf ihrem gemeinsamen Blog „Life must go on in Gaza and Sderot“ schreiben sie über den Alltag in ihren Städten, die kaum sieben Kilometer von einander entfernt, durch Mauern, Krieg und Vorurteile jedoch Welten auseinander liegen. Ihr Ziel ist es, wie sie sagen, die Welt eine andere Stimme hören zu lassen.  Im Folgenden dokumentieren wir Ausschnitte ihrer Blogeinträge zwischen dem 6. November 2008 und dem 15. Februar 2009 – dem Zeitraum als zwischen israelischer Armee und palästinensischen Milizen der Gaza-Krieg tobte.
[19. Juli 2008] Israel und zwölf palästinensische Milizen – darunter die Hamas – schließen einen auf sechs Monate begrenzten Waffenstillstand. In den folgenden Monaten verstoßen beide Seiten immer wieder gegen die getroffenen Vereinbarungen. [November 2008] Sowohl die palästinensischen Raketenangriffe als auch die Militäraktionen der israelischen Armee nehmen wieder zu.

Peaceman: Seit nun schon über einem Jahr versuche ich Gaza zu verlassen, doch bis heute kann ich es aufgrund der Belagerung nicht. Mein Freund Hopeman hat sich mehrmals bemüht, mich herauszubringen. Am Grenzübergang Rafah werden die meisten Studenten zurückgeschickt. Einige verloren ihre Stipendien, andere haben kein Geld mehr um zu studieren. Menschen verlieren ihre Zukunft, während die Welt zusieht.

[23. Dezember 2008] Nachdem der Waffenstillstand von beiden Seiten nicht verlängert wurde und damit auslief, sterben bei israelischen Angriffen drei palästinensische Kämpfer. Die Hamas ruft daraufhin die Operation „Ölfleck“ aus und feuert Dutzende Raketen auf israelische Ortschaften.

Hopeman: Kaum einen Monat ist es her, dass der Waffenstillstand endete. Am gestrigen Morgen liefen meine Frau und ich durch die Felder. Ich sagte, es sei ein Fehler, die Kindern allein zu Hause zu lassen, aber sie erwiderte: „Wir können die Raketen nicht unser Leben kontrollieren lassen.“ Wir waren ca. 15 Minuten von unserem Haus entfernt, als wir den Raketenalarm hörten. Wir konnten uns nirgends verstecken und legten uns deshalb – unsere Köpfe bedeckend – flach auf den Boden. Wir hörten die Raketen in einiger Entfernung vom Himmel fallen. Wir riefen unsere Kinder an, um sicherzugehen, dass niemand verletzt wurde.

[27. Dezember 2008] Die israelische „Opera­tion Gegossenes Blei“ beginnt. Ein Großteil der Polizeiwachen, Regierungsgebäude, Militärbasen und Raketenabschussrampen im Gazastreifen wird zerstört. Mit mehr als 230 Toten – der höchsten Opferzahl an einem Tag seit 40 Jahren – geht der Tag als „Massaker des schwarzen Samstags“ in die palästinensische Geschichte ein.

Peaceman:
Seit Beginn der Operation im Gazastreifen vor zwei Tagen wurden mehr als 300 Menschen getötet, 200 gelten als vermisst, 160 befinden sich in Lebensgefahr. Polizisten, Zivilisten und Kinder sind während der Operation gestorben. Es ist schwer zu beschreiben, was sich in Gaza abspielt, eine schreckliche Katastrophe. Momentan beziehen Panzer rund um Gaza Stellung und bereiten sich auf die Invasion vor.

[In den folgenden Wochen] Die israelische Armee zerstört fast die gesamte Infrastruktur der Hamas und von Gaza. Die Grenzen zwischen dem Gazastreifen und Israel sowie Ägypten werden komplett geschlossen. Das Rote Kreuz warnt, es gäbe im gesamten Gazastreifen keinen sicheren Ort mehr. Unterdessen erreichen die Raketen der Hamas immer weiter entfernte israelische Orte.

Hopeman: Fast fünf Monate lang herrschte Waffenruhe. Auf meiner Seite der Grenze kehrte Normalität ein, endlich hatten wir wieder ein Gefühl von Sicherheit.  Kinder spielten im Freien, die Straßen waren mit Menschen gefüllt, die konstante Angst vorm nächsten Raketenalarm verschwand. Meine Kinder konnten in ihrem Zimmer statt im Schutzraum schlafen und ich konnte durch die Straßen laufen, ohne Angst zu haben, keine Deckung zu finden.

[3. Januar 2009] Israelische Bodentruppen rücken im Gazastreifen vor. Wenige Tage später ist der Großteil der Küstenregion besetzt. Zehntausende Palästinenser flüchten in das Zentrum von Gaza-Stadt.

Peaceman: Israel sagte, es wolle die Raketenangriffe aus Gaza beenden – aber das können sie doch nicht tun, indem sie Zivilisten angreifen! Was hier passiert, ist ein riesiges Verbrechen gegen alle Gesetze in der Welt.

[6. Januar 2009] Bei heftigen Kämpfen um Gaza-Stadt sterben mindestens fünf israelische Soldaten und 125 Palästinenser. Die UN warnt vor einer humanitären Katastrophe. Weltweit demonstrieren Hunderttausende für ein Ende des Krieges.

Hopeman: Am Samstag erhielt ich die Nachricht von einem Freund aus Sderot, dass die israelische Luftwaffe einen groß angelegten Angriff startet und die Einschläge sogar in Sderot zu hören seien. Ich war mit meiner Familie im Norden Israels. An diesem Abend kehrte ich zurück nach Hause. Meine Frau und Kinder bleiben vorerst im Norden.

[13. Januar 2009] Nach Angaben der israelischen Armee schossen palästinensische Milizen bis zum jüngsten Zeitpunkt fast 800 Raketen und Mörsergeschosse auf israelisches Gebiet ab. Auch an der libanesischen Grenze kommt es zu vereinzelten Angriffen.

Peaceman: Ich bitte die internationale Gemeinschaft zu beenden, was sich in Gaza abspielt. Hoffentlich kehrt die Waffenruhe bald zurück. Gewalt wird nur mehr Gewalt erzeugen. Danke an mei­nen Freund Hopeman für die anhaltende Unterstützung während des Krieges.

[15. Januar 2009] Israelische Truppen beschießen das größte Krankenhaus Gazas, gleichzeitig das Hauptquartier der UNRWA. Während Israel behauptet, palästinensische Kämpfer hätten sich in den Gebäuden verschanzt, verurteilt die UNRWA die Erklärung als „Blödsinn“.

Hopeman: Die letzten sechs Tage wa­ren extrem schwer. Zum ersten Mal gab es zwei Tage, an denen nur wenige Raketen von Gaza nach Israel abgeschossen wurden – bis der Gegenangriff kam. Der ganze Süden Israels, inklusive größerer Städte wie Ashkelon, Beer Sheva und Ashdod, geriet unter Beschuss. Pro Tag werden zwischen 60 und 100 Raketen aus Gaza abgeschossen. Vier Menschen wurden getötet, Dutzende verletzt und Tausende, die bisher nicht betroffen waren, stehen unter Schock.

[17. Januar 2009] Israel ruft einen einseitigen Waffenstillstand aus. In der Folge ebben die Angriffe auf beiden Seiten langsam ab. Insgesamt starben während des Kriegs 13 Israelis und – nach unterschiedlichen Angaben – bis zu 1.450 Palästinenser.

Peaceman: Gestern war der erste Tag des Waffenstillstands, nach 23 Tagen der Zerstörung und des Tötens. Mehr als 1.300 Menschen kamen ums Leben, 6.000 wurden verletzt, Tausende Gebäude zerstört. Ich hoffe, der Waffenstillstand markiert den Beginn einer neuen Zukunft und bietet Hoffnung auf ein Ende des langen Leides …

Hopeman: Peaceman und ich reden jeden Tag miteinander. Auf beiden Seiten herrscht Angst und Leid. Wir sind nur wenige Kilometer voneinander entfernt und das wird sich nie ändern. Es ist extrem wichtig, den Dialog auszuweiten und Vertrauen zwischen denen aufzubauen, die bereit sind zu reden, um unsere Geschichten, Ängste und Hoffnungen auszutauschen.


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