Frühneuzeitliche Träger königlicher Ämter und Würden werden heutzutage gern als große Nationalhelden stilisiert – sogar im Dienste der Werbung. Eine polnisch-litauisch-ungarisch-rumänische Geschichte.
von Martin Jung
Anfang 2003 wunderten sich viele Bewohner Warschaus über ein Plakat, das an verschiedenen Orten in der polnischen Hauptstadt auf großen Werbetafeln zu sehen war. Statt wie gewohnt Werbung für Produkte zu machen, forderte das Plakat die Menschen auf: „Sei stolz auf dein Erbe.“ Dabei verwies das Plakat auf ein Ereignis der Vergangenheit, mit dem gezielt am Nationalstolz der Polen angeknüpft werden sollte. Dafür sprach auch die Verwendung der polnischen Nationalfarben Weiß und Rot. „Stolz“ sollten die angesprochenen Bewohner Warschaus auf den polnischen König Stefan Batory sein. Diesen benannte das Plakat als „Bezwinger“ des russischen Zaren Ivan IV. (bekannt als „der Schreckliche“) und verwies in diesem Zusammenhang auf den Ort Psków und das Jahr 1581. Die Orts- und Zeitangabe machten deutlich, dass sich das Plakat auf den Livländischen Krieg (1558-1583) bezog. Nachdem Stefan Batory während des Kriegs im Jahre 1576 zum polnischen König und litauischen Großfürsten gewählt worden war, unternahm er im Bündnis mit Schweden Feldzüge gegen Ivan IV. Er verdrängte die Russen aus dem besetzten Livland und konnte seinerseits in die Gebiete des Russischen Reiches vorstoßen. Dabei belagerten die polnisch-litauischen Truppen in besagtem Jahr 1581 die Stadt Psków – brachen die Belagerung aber nach mehreren Monaten ab. In diesem Sinne ist es verwunderlich, dass das Plakat Stefan Batory als „Bezwinger“ von Ivan IV. bezeichnet, war doch die Belagerung der Stadt eben kein Erfolg.
Geschichte im Dienste der Werbung
Wie sich erst im Nachhinein herausstellte, ging es bei dem Plakat nur mittelbar um die Vergangenheit und schon gar nicht um die Vermittlung historischen Wissens: Es war Teil einer Kampagne, mit der die Wirkung von Werbung getestet wurde. Im Vergleich waren zwei verschiedene Medienformate: Während das Plakat mit Stefan Batory auf Werbetafeln prangte, liefen im Fernsehen Werbespots, die Bezug auf Kasimir den Großen nahmen (polnisch: Kazimierz Wielki), einem mittelalterlichen polnischen König.
Bedenklich an der Plakat-Aktion ist, dass sie unmittelbar auf in Polen weit verbreitete anti-russische Haltungen zurückgriff, um zu messen, wie sehr Menschen auf Werbung reagieren. Allerdings ging die Werbefirma dann doch nicht so weit, Aspekte der Zeitgeschichte anzusprechen, sondern nahm lediglich Bezug auf die weiter entfernte Vergangenheit. Auch wenn das Plakat bewusst provozieren sollte, ist eine solche Instrumentalisierung von Geschichte äußerst fragwürdig. Dass dabei historische Fakten falsch oder zumindest verzerrt wiedergegeben wurden, erscheint noch als das kleinste Übel. Das Bild jedenfalls, welches das Plakat von Stefan Batory zeichnet, ist eindimensional: Letztlich wird er in den polnisch-nationalen Rahmen gepresst bzw. darauf reduziert.
Ein ungarischer Adliger aus Siebenbürgen
Ein anderes Bild von Stefan Batory ergibt sich, wenn man seinen Geburtsort Şimleul Silvaniei im heute zu Rumänien gehörenden Siebenbürgen besucht. Neben der offizielle nBezeichnung auf Rumänisch hat der Ort auch einen ungarischen (Szilágysomlyó) und deutschen Namen (Schomlenmarkt), was den multikulturellen und multiethnischen Charakter der Stadt deutlich macht.
Bis heute zeugen die Burg-Ruinen im Zentrum der Stadt davon, wie eng ihre Geschichte mit dem ungarischen Adelsgeschlecht der Batorys verknüpft war und ist. An Stefan Batory (ungarisch: Báthory István) erinnern in Şimleul Silvaniei eine Büste sowie zwei Gedenktafeln, die an der katholischen Kirche des Ortes angebracht sind. Wenngleich die Büste und die Gedenktafeln nur wenige Informationen zu Stefan Batory liefern, so machen sie doch deutlich, dass es verkürzt wäre, ihn auf einen polnisch-nationalen Rahmen zu reduzieren. Ausweis dessen sind bereits die Sprachen, in denen die Gedenktafeln verfasst sind: Die erste Tafel auf Ungarisch und Rumänisch beschränkt sich – unter dem bezeichnenderweise auf Latein gehaltenen Motto „in memoriam” – darauf, neben den Lebensdaten die politischen Ämter Stefan Batorys zu benennen, der unter anderem auch Fürst von Siebenbürgen (1571 bis 1576) war.
Die direkt daneben angebrachte Gedenktafel auf Polnisch wiederum betont gleich zu Beginn, dass Stefan Batory in genau dieser Kirche „die heilige Taufe erhielt” – ein Ausweis der hohen Bedeutung, die der Katholizismus in Polen hat und die der Kirche den Status eines Pilgerortes verleiht. Nach den Angaben der polnischen Gedenktafel war Stefan Batory nicht nur ein „herausragender König Polens”, sondern auch ein „siegreicher Führer, Reformer des Staates und Gründer der Universität in Vilnius”, der heutigen Hauptstadt Litauens.
Na zdrowie, Stefan!
Vor diesem Hintergrund steht Stefan Batory stellvertretend für die weitreichenden Verzweigungen, Verbindungen und Verflechtungen des Adels im östlichen Europa. Die vor allem seit dem 19. Jahrhundert gezogenen und auf die Vergangenheit rückprojezierten nationalen Grenzen und Vorstellungen von Nation können dem kaum gerecht werden. Ausgehend von Batory ließe sich auch die Förderung des geistig-kulturellen Lebens im östlichen Europa des ausgehenden 16. Jahrhunderts thematisieren. Und natürlich kann seine Person auch ein Anknüpfungspunkt sein, um einen Blick auf ein besonderes Staatengebilde im damaligen Europa zu werfen: die polnisch-litauische Adelsrepublik mit ihrem Wahlkönigtum.Dass Stefan Batory keineswegs nur – wie auf dem Plakat – durch die „nationale Brille” gesehen bzw. präsentiert oder auf seine kriegerischen Handlungen gegen Russland reduziert wird, macht die 1988 gegründete Stiftung deutlich, die seinen Namen trägt. Neben der Förderung von Demokratie und Zivilgesellschaft besteht eines ihrer zentralen Anliegen darin, auf ein solidarisches Zusammenwirken von Polen, der Europäischen Union und den östlichen Nachbarn Belarus und Ukraine hinzuwirken.
Die tendenziöse Plakatkampagne blendete jedoch gerade diese auf Kooperation und Versöhnung ausgerichtete Dimension aus, die mit dem Namen Stefan Batorys verbunden ist. Ob eine solche Sicht auf den polnischen König den Ausschlag dafür gab, eine Wodka-Marke nach ihm zu benennen, kann hier nur vermutet werden – vielleicht ist es angesichts des Leids und der Katastrophen, die Nationalismus und Ethnozentrismus hervorgerufen haben, auch nur Wunschdenken, das zu diesem Schluss verleitet.
Martin Jung (35) hat nach Freiwilligendiensten in Polen und Rumänien Osteuropäische Geschichte, Romanistik und Westslawistik in Jena, Warschau und Poznań studiert. Von 2007 bis 2009 war er über das Institut für Auslandsbeziehungen e.V. als Kulturmanager beim „Demokratischen Forum der Deutschen in Bukarest“ tätig. Seit 2009 ist er Promotionsstipendiat am Jenaer Graduiertenkolleg 1412.
martin.jung[ät]uni-jena[punkt]de
(Fotos: Martin Jung)
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