Das Bild des älteren westeuropäischen Mannes mit einer blutjungen Asiatin an seiner Seite ist schon ein gängiges Klischee. Viele sehen darin einen postkolonialen, lüsternen Macho mit einem ausgebeuteten, hilflosen Opfer. Dieser Diskurs verschleiert jedoch mehr, als man auf den ersten Blick denkt.
von Stephan Strunz
Ein lauer Sommerabend in Südostasien. Ein paar Freunde und ich suchen ein Café auf. Während die anderen schon hineingehen, setze ich mich für einen Moment auf einen Randstein vor dem Lokal. Mir gegenüber, vor der Eingangstür, essen ein paar der Einheimischen Chicken Wings. Eine prägnante Stimme erhebt sich unter ihnen: Sie gehört zu einem hübschen, jungen Mädchen in einem wallenden Sommerkleid. Sie fragt mich, ob ich etwas von den Hühnchen probieren will, ich verneine. Das Mädchen blickt immer wieder zu mir hinüber. Ein Tourist kommt zum Café und streicht ihr beim Hineingehen sanft über Kinn und Haar. Danach komme ich mit Sajeera, so ihr Name, ins Gespräch. Ich frage sie, ob sie den Mann kenne. Nur flüchtig, meint sie. Schließlich frage ich sie, was sie hier genau mache. “I want to meet a rich man, who wants to marry me.” “You already found one?”, frage ich. “No. You want to come with me?” Ich verneine und geselle mich zu meinen Freunden im Café. Als ich gehe, brechen Sajeeras Bekannte in dreckiges Gelächter aus.
Alter Fettsack sucht weibliches Opfer
Sex- und Heiratstourismus sind in Südostasien unübersehbare Phänomene. Man begegnet dort dem Stereotyp des „alten, fetten, weißen Sextouristen“ an allen Ecken und Enden. Diese nehmen unverbindliche lokale „Prostitutionsdienstleistungen“ in Anspruch, verbinden ihre Südostasien-Reise aber manchmal auch mit Heiratsabsichten. Weibliche Bekanntschaften können entweder durch Agenturen vermittelt werden oder sich aber auch spontan selbst ergeben. Sex- und Heiratstourismus genau voneinander zu unterscheiden ist schwierig: Einerseits fungieren „Prostitutionsdienstleister“ oft auch als Heiratsvermittler, andererseits entwickeln sich viele Sexbekanntschaften zu längeren Beziehungen und Ehen. An dieser Stelle soll aber ein Blick auf die informellen und ineinander übergehenden Formen von Sex- und Heiratstourismus geworfen werden – und auf die Art und Weise, wie darüber im Westen sinniert wird.
Der alte, fette, weiße Sextourist: Man neigt schnell dazu, ihn als alleinigen Schuldigen zu brandmarken. Als ich Sajeeras Geschichte zum ersten Mal aufschrieb, leistete ich vor Ort gerade einen Freiwilligendienst ab und war relativ oft mit Situationen wie der geschilderten konfrontiert. Auch ich habe von Kategorien wie „Ausbeutung“, „Sklaverei“ und „Neokolonialismus“ geschrieben. Für mich war es klar, dass die Frauen Opfer männlicher Gewalt und einer westlich-kapitalistischen Weltordnung waren. Auch zahlreiche Publikationen bestätigen zunächst das Bild der armen, ausgebeuteten Asiatin. Die Zahlen, etwa am Beispiel der Philippinen, sind beachtlich: Hier seien allein 1998 etwa 20.000 junge Frauen an Kunden weltweit „exportiert“ worden. In den letzten drei Jahrzehnten habe die ungeheure Zahl von 131.000 Frauen das Land verlassen, um ihren neuen Partnern in die Heimat zu folgen, bilanziert Kathryn Lloyd in ihrem Beitrag „Wives for Sale“ im Northwestern Journal of International Law & Business. Auf den Philippinen selbst würden etwa 900.000 Frauen im Prostitutionsgewerbe arbeiten. Ihre Zahl, so liest man in Reiseführern, sei größer als die aller Fabrikarbeiter. Frauen werden hier als Waren betrachtet, die Teil eines globalen, neokolonialen Warenstroms seien, eine Fortsetzung des Sklavenhandels vergangener Jahrhunderte. Tatsächlich ist das auch das Bild, auf das man sich hierzulande medial eingeschossen hat: Wenn von den Philippinen einmal die Rede ist, dann meist im Zusammenhang mit Kinderhandel, Naturkatastrophen – und eben Sextourismus. Dieser Sachverhalt ist für uns nichts neues, in unserem Unterbewusstsein ist er als Teil des populären Südostasien-Images gespeichert.
Seit Jahren formieren sich Bewegungen, die gegen diese vermeintliche und tatsächliche Ausbeutung angehen. Einrichtungen wie die Preda-Foundation wollen junge Frauen aus den Fängen des Prostitutionsgewerbes retten und ihnen gute Bildung für eine geregelte Zukunft zukommen lassen. Obwohl die Arbeit solcher Einrichtungen grundsätzlich zu befürworten ist, sollte man die dahinterliegende Ideologie kritisch hinterfragen: Die fixe Vorstellung ist, dass es sich bei den Frauen zwangsläufig immer um Opfer handelt, die – ihrer Handlungsfreiheit beraubt – nur die Wahl zwischen Armut und Prostitution hätten. Dies entspricht einer Denkrichtung, die dem Kolonialismus näher steht als man meint. Die daraus abgeleitete Schlussfolgerung lautet nämlich, dass die Frauen befreit und in ein „besseres Leben“ gebracht werden müssten. Wer aber definiert Freiheit und den Begriff des „guten Lebens“? Es ist ein meist westliches Kollektiv hilfsbereiter Menschen. Sie maßen sich an, festzulegen, was moralisch gut und schlecht ist. Sie sprechen sich die Macht zu, in einer ganz bestimmten Weise über die philippinische Frau zu diskutieren, sie mit Opfermerkmalen zu charakterisieren. Dies tun sie jedoch, ohne die betroffenen philippinischen Frauen selbst zu fragen oder an dieser Debatte teilnehmen zu lassen. Diese haben daher keine Stimme im Diskurs über ihre eigene Identität. Das Sendungsbewusstsein, der Befreiungsdrang westlicher Helfer, kann deshalb durchaus kolonialistische Züge annehmen. Was soll das aber konkret heißen?
Sexarbeiterin sein – warum nicht?
Die Antwort liegt in gewisser Weise schon in der anfangs zitierten Geschichte: Was mir damals fast ausschließlich ins Auge fiel, war der Tourist, der Sajeera über das Kinn streichelte, ihr Wunsch nach einem reichen Mann, ihr Anbiedern bei mir. Was musste das für ein armes Mädchen sein, dachte ich mir, das sich nichts sehnlicher wünscht, als von einem reichen Fettsack aus ihrer unglücklichen Existenz gehoben zu werden? Sicherlich musste sie sich in furchtbaren Lebens-umständen befinden. Warum aber konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie das möglicherweise gern machte, und mit sich im Reinen war?
Man muss sich eingestehen, dass Heirats- und Sextourismus für manche Frauen etwas anderes als Ausbeutung und Sklaverei bedeuten kann. Manche empfinden diese Option zu besserem Einkommen oder zur Migration in ein reicheres Land weder als schlecht, noch als erniedrigend. In Untersuchungen über heiratsmigrierte Frauen ist oft die Rede von unterdrückten Haushaltssklavinnen, doch eine Befragung der Ethnologin Andrea Lauser zeigt ein anderes Bild. Selbst wenn die Frauen im Haushalt tätig sind, führten sie laut eigener Aussage kein unglückliches Leben. Zudem ist das Verhältnis zwischen beiden Partnern meist nicht einseitig: Auch in deutsch-philippinischen Ehen ist es notwendig, dass beide Seiten aufeinander zugehen und ihre jeweiligen Bedürfnisse austauschen. Nicht wenige philippinische Migrantinnen wählen im Zweifel auch den Weg der Scheidung und erkämpfen sich dadurch ihr Recht, wie Lauser in ihrer Studie „Ein guter Mann ist harte Arbeit“ aus dem Jahr 2004 darstellt.
Wie alle Menschen sollten auch südostasiatische Frauen ihr Leben selbstbestimmt führen dürfen. Gemäß westlicher Hilfsorganisationen beschneidet Heirats- und Sextourismus dieses Recht massiv, da die Frauen ihrer Auffassung nach nur diese eine, entmenschlichende Option haben, um der Armut zu entkommen. In diesem Diskurs mutet die Entscheidung zwischen dem Verbleib in Arbeitslosigkeit und Prostitution wie die Wahl zwischen Pest und Cholera an. Aus Sicht mancher Frauen bietet der Einsatz ihres Körpers immerhin eine gangbare Option.
Stephan Strunz (21) studiert Regionalwissenschaften Afrika und Asien an der Humboldt Universität in Berlin und ist Redakteur der dortigen Studierendenzeitung UnAufgefordert. 2009/2010 hat er im Rahmen des Programms weltwärts einen politischen Freiwilligendienst auf den Philippinen geleistet.
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