von Luth
Ein Staat ohne Armee, dessen Nationalhymne mit „Wir, wir, wir sind glücklich!“ beginnt. Eine Bevölkerung, die Bungee-Jumping („Naghol“) als eine Art Nationalsport betreibt und sich mit Rauschpfeffer-Sud („Kava-Kava“) rituell entspannt – in Vanuatu im Südpazifik leben die glücklichsten Menschen der Welt! Das zumindest behauptet eine 2006 von der Londonder „New Economics Foundation“ veröffentlichte Studie, der „Happy Planet Index“ (HPI). Vanuatu landete dort auf Rang 1, Deutschland nur auf Platz 81.
Mehrfach versuchten Wissenschaftler zuletzt, das subjektive Glücksempfinden von Menschen verschiedener Staaten zu messen, um ihre Ergebnisse dann in die Form anschaulicher Ranglisten zu gießen. Etwa zeitgleich mit dem HPI, der neben Lebenserwartung und subjektiver Zufriedenheit erstmals den Pro-Kopf-Ressourcenverbrauch der jeweiligen Bevölkerung mitberücksichtigte, veröffentliche die britische University of Leicester den „Satisfaction with Life Index”, von dankbaren deutschen Medienvertretern sogleich in „Weltkarte des Glücks” umgetauft. Als Indikatoren flossen dort u.a. subjektive Zufriedenheit, Statistiken aus dem Gesundheitswesen, das Pro-Kopf-Einkommen und der Zugang zu elementarer Bildung in die Bewertung ein. Dänemark belegte den 1. Rang, Vanuatu landete relativ abgeschlagen auf Platz 24. Der „Human Development Index“ des UN-Entwicklungsprogramms von 2007/08 führt den Inselstaat sogar nur auf Rang 120 – dort machte Island das Rennen. Wer hat nun recht? Sind die Ni-Vanuatus tatsächlich die glücklichsten Menschen der Welt?
Um es kurz zu machen: Jein! Winston Churchill bemerkte einst spöttisch: „Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe!“ Lässt sich eine derart subjektive, individuelle Empfindung wie Glück überhaupt messen? Und entspringt es nicht der Tradition eines unkritischen Exotismus’ und der eurozentristischen Südseeromantik des späten 18. Jahrhunderts, wenn wir die Lebensumstände in Vanuatu gern in einem etwas milderen Licht betrachten? Wie immer lohnt sich ein Blick hinter die Kulissen …
Vanuatu taucht in den Medien meist nur im Zusammenhang mit exotischen oder kuriosen Nachrichten auf. Die Internet-Tauschbörse „KaZaA“ hatte ihren Sitz auf Vanuatu, bis sie 2006 zu vielen Millionen Dollar Strafe verurteilt wurde. Bekannt bei Internetusern sind auch die kostenlosen de.vu-Domains, mit deren Verkauf Vanuatu angeblich über 42 Millionen Euro verdiente. Bis 2003 galt die Hauptstadt Port Vila als einer der führenden Offshore-Finanzplätze im pazifischen Raum, man könnte auch sagen: als Geldwäscheparadies und Steueroase. Erst dann strich die OECD Vanuatu wieder von ihrer Schwarzen Liste. Zu den sonstigen Vanuatu-News-Klassikern gehören Vulkanausbrüche, Erd- und Seebeben, Wirbelstürme (allesamt sehr häufig), Haiangriffe, Atomwaffentests auf benachbarten Pazifikinseln und illegale Giftmüllentsorgung (alles eher selten). Das in Zukunft mit Abstand existenziellste Problem Vanuatus dürfte allerdings – trotz vieler Skeptiker dieser Theorie – der Klimawandel sein.
Kaum bekannt ist hierzulande, dass Vanuatus politische Klasse hoffnungslos korrupt ist, die Regierungen noch häufiger wechseln als in Italien, das Land seit Jahren am Tropf der Weltbank hängt, traditionelle Männerbünde bis heute den Alltag bestimmen und Frauen als „Besitz“ gelten. 77 Prozent aller Ni-Vanuatus leben auf dem Land, weitgehend von Subsistenzwirtschaft. Die Fischereierträge sinken aufgrund hochgerüsteter ausländischer Fangflotten seit Jahren dramatisch. Die Lebenserwartung in Vanuatu liegt bei etwa 64 Jahren, das ist weltweit der 170. Platz.
Nicht erst seit der Veröffentlichung des „Happy Planet Index“ berichten deutsche Medien trotzdem lieber über traumhafte Südseestrände, „edle Wilde“ und „authentischen“ Traditionen – letztere sind inzwischen längst zur kitschigen Touristenfolklore verkommen. Oder sie missbrauchen Vanuatu als Vehikel für dümmliche Anekdoten und stürzen sich bemüht verständnisvoll auf vanuatuische Olympiateilnehmerinnen (in Peking 2008 belegte Elis Lapenmal im 100-Meter-Lauf erwartungsgemäß den letzten Platz), die FIFA-Weltrangliste (Vanuatu: Rang 143), Sinnlosmeldungen über eine „Biskuitkrise“ zwischen den Fidschi-Inseln und Vanuatu oder – im Jahre 2001 – auf die angeblich Ängste der Ni-Vanuatus vor einem Absturz der sowjetischen Raumstation „Mir“ auf eines ihrer Eilande. An Schwachsinn und Arroganz ist das oft kaum noch zu überbieten.
Die simple Rechnung „arm und exotisch = glücklich und zufrieden“, die von wichtigtuerischen Indices und zu Simplifizierung neigenden Medien gern kolportiert wird, geht daher kaum auf. Vieles spricht dafür, dass die Ni-Vanuatus genauso glücklich und unglücklich sind wie wir – sie haben schlicht andere Probleme.
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