Eine Begriffsverirrung in drei Akten
von Alex, FrancoFon, bergi
„Die Medien“: Sie begleiten uns im Alltag und bieten ein Totschlagen von Zeit auf angenehme Weise. Sie informieren und schaffen Orientierungspunkte, wo größte Verstrickung herrscht, reichen die helfende Hand voll Wissenschaft und Fakten – wenn man sie annimmt. Mal sind sie „wertfrei-objektiv“ bemäntelt, mal schön deutlich eingefärbt mit Meinung, zuweilen mehr subtil, fast subversiv, mit einer Konnotation, einem verstecktem Interesse versehen, einer Richtung für Gedanken und Meinung.
Nicht nur der Intellekt, auch die soziale Seite des Menschen wird angesprochen oder eben beleidigt. Doch woher stammt dieses fast schon peinliche Interesse an Sexualität, Erfolg, Lust und Leid anderer? Geben uns „die Medien“ diese Themen vor und lenken unsere Neigung? Oder entspricht nicht vielmehr das Angebot in diesem Fall der Nachfrage?
Vielleicht ist die Sache komplexer: Die Freunde großer Gefühle zeigen, was ihr Publikum sehen will; die Leute wollen dann sehen, was ihnen gezeigt wurde – nur diesmal extremer. Befinden sich die Boulevardmedien somit in einem Teufelskreis der gegenseitigen Erniedrigung? Demnach würde sich der Anspruch von Konsument und Medium in einem wechselseitigen Prozess weiter absenken. Aber warum scheint diese Entwicklung mehrheitlich in diese eine fatale Richtung zu gehen, warum können nicht umgekehrt bessere Medien ein immer anspruchsvolleres Publikum schaffen, welches geistreichere Beiträge nachfragt? Richten sich Medien nur nach ihrem jeweiligen Konsumentenkreis, demokratisch-devot wie „das Volk“ es sich wünscht, und wandeln dabei nur deshalb permanent auf der Affektschiene, weil es einfacher und kostengünstiger ist, durch solche Reize die Massen an die Tröge zu bewegen?
Steigern prominente Sex-Eskapaden die Lust?
Relevant ist, was neugierig macht. So wird das Interesse am Mitmenschen von vielen Medienproduzenten im weitesten Sinne miteinbezogen. Der Klatsch, Tratsch und das Blablabla der Regenbogenpresse und deren Entsprechungen in den anderen Kanälen findet man mittlerweile sogar vermehrt in den seriösesten Medien. Das ist sicherlich auch gut so im Sinne der Lebensqualität der nachfragenden Konsumenten. Bestimmt steigern prominente Sex-Eskapaden die Lust oder zumindest die kurzfristige Aufmerksamkeit des Rezipienten.
Sicherlich können mediale Angebote die Freuden des Umgangs mit Menschen zunächst nicht vollständig ersetzen, aber eine Entfremdung von den Mitmenschen kann, insbesondere in Zusammenhang mit einem immer stärker gemachten Ich-Begriff und einem selbstbewusst vorgetragenen „Individualismus“, durch ein teilweises Ersetzen von Beziehungen durch Medienkonsum, befördert werden. Das Zugehen auf die Umwelt und die direkte, interaktive Echtzeit-4D-Auseinandersetzung mit ihr wird dem zugeneigten Nutzer scheinbar abgenommen. Vielleicht hat das schädliche Nebenwirkungen, die die Verhältnisse und Relevanzen außerhalb der Realitätsflucht nicht mehr recht erkennen lassen. Aber bis zu diesem Punkt sehe ich nur Vorteile – für die Industrie.
Medien sind in den Mechanismus/Organismus/Netzwerk „Kapitalismus“ ebenso eingebunden wie wir selbst. Die subjektive Forderung nach Qualität spielt hier keine Rolle, insofern sie sich nicht in Verkaufszahlen und User-Umfragen ausdrückt. Es ist somit beispielsweise fragwürdig, ob ein Medium, das sich über Werbung (mit)finanziert seine Anzeigekunden verprellen wird, indem es deren Produkte und deren Gebrauch kritisch betrachtet. Ein Medium das sein Geld selbst nicht erwirtschaften muss, sondern auf Spenden oder den Staat angewiesen ist, muss sich ebenso dem Verdacht der Käuflichkeit erwehren, wie Medien im Dienst der Märkte. Somit können nun auch populäre Ansichten – unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt oder ihrer Relevanz – größere Verbreitung und somit doch Relevanz erlangen. Reißerisch aufbereitete News und Olds sind ebenso preiswert wie unaufwändig in ihrer Erstellung, die ständigen Richtigstellungen stören dabei anscheinend kaum. Ebenso zeitsparend ist es, Pressemitteilungen von Firmen, Interessenverbänden oder eben REUTERS zu übernehmen und als Nachricht zu verkaufen.
Viele Medien dienen fast oder sogar überhaupt nicht (mehr)
Die Grenze zwischen Information und Unterhaltung, Karikatur und Wirklichkeit wird gern verwischt. Angenehm. Das man aber durch das Herunterbrechen komplizierter Sachverhalte zugunsten des Unterhaltungswertes einen Informationsverlust in Kauf nehmen muss, führt in der Folge meist zu einer weiteren Abflachung der Inhalte. Schade. Viele Medien dienen fast oder sogar überhaupt nicht (mehr) der Wissensvermittlung oder einer „demokratischen Aufgabe“. Die Vermittlung von Zusammenhängen, die Klärung komplizierter Sachverhalte oder die Aufdeckung verborgener Strukturen scheint der Sache nicht wert. Informationen, die helfen könnten, dem Menschen politische und wirtschaftliche Entscheidungsprozesse transparent zu machen, sind selten. Stattdessen werden Nachrichten so präsentiert, als seien sie am Strand angespült worden.
Und nicht nur das. Häufig verbreiten gewisse Medien, versteckt und manchmal völlig unkaschiert, Lügen, zeichnen verwischte Bilder der Gesellschaft und versuchen alles Denkbare, um erwünschte Leitideen in Köpfen zu etablieren.
Die weite Medienlandschaft ermöglicht es zwar, sich täglich zu informieren, aber doch nie etwas „Neues“ zu erfahren, was die eigenen Ansichten über den Haufen wirft. Dieser Umstand trägt nicht zur Reflexion über die eigenen Ansichten bei, was vom idealistischen Standpunkt aus einer menschheitsevolutionären Dauerkatastrophe gleichkommt. Wenn jeder zwar meint, im Besitz der Wahrheit zu sein, sie aber über die Infos der letzten Sendung hinaus nicht begründen kann, mag das irgendwie bedauerlich sein. Wenn sich allerdings immer größere Kreise aufgrund geschilderter Mechanismen immer einiger werden, wird es wirklich problematisch. Also reicht eine kritische Betrachtung kaum aus, um einen adäquaten Schutz vor dieser Art von medialem Einfluss zu bieten – wenn sie nicht über eine gewohnheitsmäßige, zahnlose Skepsis hinausgeht. Zu oft wird gelogen, zu oft Plausibilität als Wahrheit getarnt, zu oft wird Nicht- oder Falschwissen weitergegeben. Zu oft sind, von psychologisch-individuellen bis hin zu ideologisch-globalen, viele Interessen im Spiel, die sich keinem Betrachter jemals alle anzeigen werden. Vielmehr braucht Skepsis Konsequenz und Schweigen – vor allem, wenn ich etwas nicht weiß. Und will ich es wissen, ziehe ich alle Mittel zu Rate, die uns Gott Media zur Verfügung stellt.
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