Der stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen Ilja Rabinowitsch im Gespräch.
Wenige Wochen nur ist es her, dass die israelische Armee den Großteil ihrer Truppen aus dem Gazastreifen abzog. Erneut haben die Folgen des ungelösten Nahost-Konfliktes mehr als 1.300 Menschen unter die Erde gebracht, Zehntausende obdachlos und Millionen Menschen hoffnungslos gemacht. Doch während das mediale Interesse mit den sinkenden Opferzahlen wieder abnimmt, besteht das Problem weiter. Jeden Tag aufs Neue wachen Menschen mit der Hoffnung auf wirtschaftlichen Wohlstand, Rückkehr in ihre Heimat oder ein Leben in Frieden und Sicherheit auf.
Doch obwohl sich amerikanische Neokons und israelische Friedensaktivisten, Kämpfer des palästinensischen Islamischen Jihad und israelische Siedler in ihrem Ruf nach Frieden einig zu sein scheinen, sind bei keinem anderen Konflikt in der Welt die Fronten so verhärtet und die ideologischen Gräben so tief. Kein internationales Problem zieht dauerhaft so viel politisches Engagement und gesellschaftliche Anteilnahme auf sich – und scheint trotzdem so unlösbar.
In den nächsten Ausgaben wollen wir unkommentiert und unbefangen Opfer und Täter zu Wort kommen lassen; sowohl Menschen, die vom Konflikt beeinflusst wurden als auch jene, die ihn beeinflusst haben; Menschen, die sich aus unterschiedlichsten Motivationen für die Region interessieren und Menschen, die jegliche Hoffnung längst verloren haben.
Für diese Ausgabe trafen wir uns mit Ilja Rabinowitsch, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde Thüringens, und fragten ihn nach seiner Wahrnehmung des Nahost-Konflikts.
Das Interview führte Jura.
Herr Rabinowitsch, welche Verbindung haben Sie und Ihre Gemeinde zu Israel?
Zuerst muss gesagt werden, dass jede jüdische Gemeinde, ob nun in Deutschland oder der Welt, immer eigenständig ist. Das gilt demzufolge auch für unsere. Es bestehen keine regulären Verbindungen zu Israel, zu anderen Gemeinden oder Ländern. Persönliche Verbindungen sind natürlich eine andere Sache. Viele meiner Verwandten, Bekannten und Freunde leben in Israel – das ich auch schon mehrere Male besucht habe.
Palästinenser in Israel fühlen sich als Bürger zweiter Klasse. Zu recht?
Das kann ich absolut nicht bestätigen. Erstens hat die arabische Bevölkerung in Israel eigene Parteien, die ihre Interessen vertritt. Sie sind regulärer Teil des israelischen Parteiensystems mit 32 verschiedenen Parteien. Sie stellen sich zur Wahl wie jede andere Partei auch. Jeder Bürger Israels kann bei der Wahl dann die Partei wählen, die er möchte. Eine arabische Stimme zählt genau so viel wie eine jüdische. Es gibt also keine Unterschiede.
Wenn nicht in der Möglichkeit der politischen Partizipation, wo sehen Sie dann sie Ursachen des Palästina-Konflikts?
Er ist hauptsächlich ein politisches Problem, die Frage ist aber nicht einfach zu beantworten. Als in der UNO-Entscheidung vom 15. Mai 1948 vereinbart wurde, zwei co-existierende Staaten zu gründen, einen israelischen und einen palästinensischen, wurde das von den umliegenden arabischen Staaten leider so interpretiert, dass den israelischen Staat im Endeffekt vernichten müssten. Beireits am 16. Mai 1948 begann dann der erste israelisch-arabische Krieg. Das heißt, dass Israel in seiner Geschichte gerade einmal vierundzwanzig Stunden ohne Krieg erlebt hat. Zum Zeitpunkt des Kriegsausbruches hatte Israel keine Armee und kaum Waffen – es gab nur den Willen, das Land zu verteidigen. Seit diesem Krieg hegt ein bestimmter, extremistischer Teil der arabischen Bevölkerung Gefühle des Hasses für uns. Sie organisieren den Kampf gegen uns, immer verbunden mit Argument, Israel besitze kein Existenzrecht. Das ist meiner Meinung nach der Hintergrund.
Warum ist ein politischer Austausch zwischen der israelischen Regierung und der Hamas, der ja ursprünglich für die gesamten palästinensischen Autonomiegebiete gewählten Regierung, derzeit nicht möglich? Vertieft es nicht die politischen Gräben, wenn beide Seiten auf gewaltsame Lösungen setzen?
Ob die Hamas wirklich demokratisch ist, mag ich nicht beurteilen. Zunächst muss man verstehen, dass nicht nur Staaten wie die USA oder Deutschland die Hamas als terroristische Organisation bezeichnnen. Die Hamas propagierte von Anfang an, Israel besäße kein Existenzrecht. Das ist der Grund, warum es mit ihr keine Gespräche gab und geben kann. Es existieren zudem zwei völlig unterschiedliche Positionen. Der Staat Israel sagt: Wir müssen und wollen hier leben und diskutieren, unter welchen Bedingungen. Auf der Seite steht die Hamas mit ihrer Einstellung, man müsse die Isrealis töten, weil sie kein Recht hätten in Palästina zu leben.
Sie stehen den jüngsten militärischen Angriffen Israels auf die Hamas also positiv gegenüber?
Sie haben es ganz richtig erkannt: Es ist ein Konflikt zwischen Israel und der Hamas, nicht zwischen der palästinensischen Bevölkerung und Israel. Hätten Sie das nicht so gesagt, hätte ich die Frage nämlich verneint. Israel verfügt über gute Beziehungen zu den meisten arabischen Ländern und Bürgern – nicht jedoch zu der Hamas. Persönlich stehe ich zu diesem Krieg wie neunzig Prozent der israelischen Bürger, die diese Militäraktion begrüßen. Die Israelis konnten so nicht einfach weiter leben. Mehr als eine Million Menschen sind der ständigen Bedrohung von Raketenangriffen ausgesetzt. Es gibt sogar eine Bauverordnung, die vorschreibt, in neu errichteten Häusern einen Schutzraum einzurichten. Es kann doch nicht sein, dass so viele Menschen seit acht Jahren fast permanent darin leben müssen, um sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringen. Das ist doch kein Leben.
Vielmehr als der Krieg selbst wurde die Form, in der er geführt wurde, international kritisiert. Es ist problematisch, Tote gegeneinander aufzuwiegen, aber stehen 17 tote Israelis in einem vertretbaren Verhältnis zu mehr als 1500 toten Palästinensern?
Ich war nie Angehöriger des Militärs, kann also nur die Dinge beurteilen, von denen ich auch etwas verstehe. Aus diesem Grunde kann ich mit Ihnen nicht über militärische Vorgehensweisen diskutieren. Wir leben in Deutschland, einem zivilisierten Land in Europa, glücklicherweise in Frieden. Wir können ohne Angst gehen, wohin wir wollen. Und jetzt versuchen Sie mal, sich in die Menschen eines Landes, in dem Krieg herrscht, in dem es Menschen gibt, denen das eigene und das Leben anderer nichts bedeutet, hinein zu versetzen. Glauben Sie wirklich, dass man diese mit gutem demokratischen Zureden davon überzeugen kann, in Frieden mit ihren Mitmenschen zu leben? Es ist immer eine schreckliche Tragödie, wenn Unschuldige zu Tode kommen, mir tun diese Menschen unglaublich leid. Aber wer trägt daran die Schuld? Die Hamas, sie wusste, welche hohe Opferzahlen es geben würde, sie hat Menschen als lebende Schutzschilde missbraucht.
Ist das nicht vielmehr dem Umstand geschuldet, dass Israel den eng besiedelten Gazastreifen mit Stacheldrahtbarrieren und Betonmauern inzwischen so hermetisch abgeriegelt hat, dass der eingeschlossenen Bevölkerung jede Fluchtmöglichkeit fehlt? Davon abgesehen, was halten Sie von der Sperranlage?
Ich bin zwar Jude, habe jedoch keine israelische Staatsbürgerschaft. Als deutscher Staatsbürger verstehe ich trotzdem, dass es nur eine Möglichkeit gab, den immer zahlreicheren terroristischen Anschläge auf israelische Diskotheken, Busse und Restaurants zu begegnen: Israel muss den Zugang zum Gazastreifen mit Hilfe einer Sperrmauer kontrollieren. Sie richtet sich nicht gegen die normalen Bewohner des Gazastreifens. Diese können weiter in Israel arbeiten und die Kontrollpunkte jederzeit passieren. Sie richtet sich gegen die Selbstmordattentäter und seit es sie gibt, hat die Zahl der Attentate in Israel spürbar abgenommen. Die Mauer war die einzige Möglichkeit, die Bürger Israels effektiv zu schützen.
Wie beurteilen Sie die Berichterstattung der deutschen Medien über den Gaza-Krieg?
Ich bin weit davon entfernt, zu behaupten, dass sie sich generell gegen Israel richtet, falls Sie das meinen.
Sind sie trotzdem der Ansicht, dass hier auch anti-israelische Meinungen vertreten werden?
Das trifft in gewissem Maße zu, obwohl diese Tendenz im Vergleich zum Libanonkrieg 2006 deutlich abgenommen hat. Bestimmte Medienvertreter berichten auch nicht deswegen israelkritisch, weil sie das Land hassen, sondern eher weil sie, aus einem friedlichen Land kommend und von demokratischen Positionen ausgehend, den Alltag in Israel gar nicht begreifen können. Sie müssen erkennen, dass die israelische Regierung, wie übrigens alle anderen Regierungen auch, die Pflicht hat, ihr Volk zu schützen. Wenn ständig Raketen auf Istanbul, Berlin oder Paris abgeschossen werden würden – wie würden die türkische, deutsche oder französische Regierungen reagieren? Umgekehrt würde eine Regierung, die nicht in der Lage ist, ihre Bürger zu schützen, schnell abgewählt werden.
Trotz Militäraktion und anschließender Feuerpause feuert die Hamas nun wieder Raketen aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet und feiert sich als Sieger. Wer hat denn nun gewonnen?
Die Hamas bezeichnet sich, im Bunker sitzend, als Sieger – das ist doch ein Witz! Trotzdem stellt sich die Frage nach dem Vorgehen des israelischen Militärs. War es sich der gestellten Ziele wirklich sicher? Ich halte die Annahme, das Töten einiger ihrer Kämpfer in Gaza könne die Hamas zur Aufgabe bzw. zu einem Friedensschluß bewegen, für etwas unrealistisch. Mit Ende des Krieges sind allerdings auch einige Erfolge zu verzeichnen. So haben sich andere Länder dazu bereit erklärt, Israel bei der Unterbindung des Waffenschmuggels in den Gazastreifen zu helfen. Dafür gibt es nun ein Problembewusstsein und das ist sehr wichtig.
Angenommen, der Nahost-Konflikt ist gar nicht zu lösen; mit welchen Mitteln könnte er zumindest entschärft werden?
Sie verlangen von mir die Lösung eines Problem, an dem Politiker weltweit bereits seit Jahrzehnten arbeiten. Einen kleinen, persönlichen Vorschlag kann ich dennoch beisteuern: Langfristig müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Israelis und Palästinenser irgendwann in vergleichbaren sozialen und ökonomischen Verhältnissen leben können. Israel ist seit Jahren bereits, in Palästina eine Infrastruktur aufzubauen, die es der dortigen Bevölkerung erlauben würde, die angesprochenen Verhältnisse herzustellen. Dafür müßten seitens der Palästinenser allerdings die terroristischen Aktivitäten eingestellt und das Existenzrecht Israels anerkannt werden. Es sind wirklich nur Kleinigkeiten, die einem Frieden im Wege stehen.
Lassen Sie uns zum Schluß noch kurz das Thema wechseln. Als der deutsche Bundestag vor kurzem eine Resolution gegen Antisemitismus verabschiedete, verließen elf Abgeordnete der Linkspartei demonstrativ den Plenarsaal. Die Linke argumentierte, dass mit dieser Resolution fortan jede Israelkritik zu Antisemitismus erklärt werden könnte…
Das Problem an pauschaler Israelkritik ist, dass zwar der Staat mit Namen genannt, jedoch oft das Judentum an sich gemeint ist – und das ist Antisemitismus. Wenn ich eine Regierung für bestimmte Entscheidungen oder Handlungen kritisiere, dann ist das eine ganz andere Geschichte. Sie werden nirgendwo einen kritischeren Umgang mit der israelischen Regierung finden als in Israel selbst.
Vielen Dank für das Gespräch.
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