Zwei Studentinnen der Al-Azhar-Universität Kairo berichten über ihre Eindrücke aus Deutschland, nachdem sie hier einen Monat mit einem DAAD-Stipendium verbrachten.
Was ist der Unterschied zwischen dem Studium in Deutschland und dem in Ägypten?
Somaya: Es gibt da natürlich große Unterschiede. In Deutschland setzt man auf die Beteiligung der Studenten. Ganz im Gegenteil zu uns hier in Ägypten, wo man sich auf Indoktrination verlässt. Das System dort ist am Anfang schwer, aber es ist aufregender und einfach nützlicher!
Amina: Es ist ein enormer Unterschied! Das Studium ist gut organisiert, man weiß vorher, was genau man studiert. Auch die Uni-Verwaltung ist sehr kooperativ und gut organisiert. Die Dozenten dort gehen mit den Studenten locker um. Wir haben unseren Dozenten z.B. mit seinem Vornamen angeredet! Aber in Ägypten weiß man oft nicht, wo der Unterricht stattfindet. Und man respektiert uns Studenten nicht.
Wie habt ihr eure Freizeit verbracht?
Somaya: Es war ein wenig langweilig. Jeden Tag hatten wir Unterricht von 9 bis 17 Uhr und wir hatten kaum Zeit einzukaufen, da die Geschäfte schon um 20 Uhr geschlossen haben. Am Wochenende sind wir in die umliegenden Städte in Deutschland gefahren. Das Beste war, als wir an der Nordsee waren.
Amina: Wir haben einen Ausflug nach Amsterdam gemacht. Einen zum Karneval nach Belgien. Und eine Fahrradtour. Wir waren im Kino und die Universität hat auch Filmabende veranstaltet
Welchen Stellenwert hat Religion im deutschen Alltag?
Somaya: Ich hatte nicht das Gefühl, dass Religion einen großen Platz im Leben der Deutschen einnimmt! Ich habe nie jemand getroffen, der sagte „Ich muss jetzt gehen, weil ich in der Kirche beten muss.“ Vor dem Supermarkt aber stand jeden Tag ein Missionar, der Informationen über das Christentum verteilte. Aber jemand sagte mir, dass der von der Kirche bezahlt wird.
Amina: Oh ja, der Mann! Der hat mir einmal ein Buch über das Christentum gegeben und als ich ihm angeboten habe, ihm auch ein Buch über den Islam zu geben, sagte er: „Nein, den Kram will ich nicht.“ Ich hab dann gesagt „Dann will ich Ihren Kram auch nicht.“ Dann hat er es mit abschätzigem Blick angenommen und gesagt: „Das ist alles Quatsch! Ihr seid alle Teufel und ihr seid…“ was weiß ich und so weiter. Da hab ich sein Buch in zwei Hälften gerissen, es ihm wiedergegeben, mein Buch genommen und bin gegangen.
Was denken die Deutschen vom Islam?
Somaya: Die meisten haben uns gar nicht nach dem Islam gefragt. Nur zwei Mädchen wollten wissen, ob wir das Kopftuch auch zu Hause tragen und denen hab ich das dann erklärt. Und eine Kommilitonin hat mich mal über das Fasten ausgefragt.
Amina: Sie haben keine negativen Vorstellungen vom Islam! Ich hatte das Gefühl, dass sie ihn akzeptieren. Und am Ende von meinem Kurs erzählten mir meine Kommilitonen, dass sie den Islam verstehen wollen und ich habe es ihnen erklärt.
Gab es Moscheen in euren Städten?
Somaya: In Vechta gab es eine türkische Moschee. Es ist ein normales Haus, das sie als Moschee benutzen. Die Jungen gingen dort freitags zum Beten hin, aber dort war nichts geregelt. Einer hielt eine Predigt in Türkisch und andere übersetzten. Einen Platz für Frauen gab es nicht.
Amina: Aachen ist bekannt für sein islamisches Zentrum. Es gibt zwei Gebetsplätze und einen kleinen Bereich für Männer! Es gibt Vorlesungen und Veranstaltungen z.B. zur Koranrezitation, Ausflüge und Nähkurse für Mädchen.
Hattet ihr Probleme mit den Gebetszeiten wegen den Vorlesungen?
Somaya: Ja, ich musste das Gebet oft verschieben. Und zu Hause wusste ich dann nicht, wo die Gebetsrichtung war und niemand konnte mir helfen.
Amina: Nein, gar nicht. Ich hatte sogar ein Programm auf meinem Handy mit Gebetszeiten und der Gebetsrichtung!
Wie habt ihr euch gefühlt, als ihr zurück gefahren seid?
Amina: Ich war sehr traurig! Ich war froh meine Familie wieder zu sehen, aber nicht, wieder in Ägypten zu sein. Ich liebe die Ägypter, aber ich mag das Land nicht allzu sehr. Und in Deutschland wird viel getan.
Somaya: Ich war sehr froh, meine Familie wiederzusehen, aber ich war besorgt, dass mein Tag nicht mehr so ausgefüllt sein würde wie in Deutschland.
Das Interview führte Hend Taher Refky.
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Die Erstveröffentlichung erfolgte in der ägyptischen Studentenzeitung „Einen Moment Mal“ im Sommer 2011. Die an der Al-Azhar-Universität in Kairo erscheinende Studentenzeitung wird von einer Hand voll Deutsch-Studenten herausgegeben. Die größtenteils auf Deutsch verfasste Zeitung erscheint einmal im Semester und befasst sich mit den Geschehnissen aus Politik und Kultur in Ägypten, der arabischen Welt und Deutschland. Die Redaktion finanziert den Druck der Ausgabe aus eigenen Mitteln.
Übersetzung: Christoph Borgans & Hend Taher Refky
(Vorschaufoto: Claus Moser; Portraitfotos: privat)
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