Die Frau mit der Mappe

Außendienstmitarbeiter der GEZ sind ungebetene Gäste und ihr Image als Abzocker ist berüchtigt. Ich begleitete eine Mitarbeiterin für einen Tag bei ihrem alltäglichen Rundgang auf der Suche nach Gebührensündern.

von LuGr

Dieser warme Juninachmittag ist wechselhaft. Petra Wagner* sitzt in ihrem VW Polo und nimmt sich während eines kurzen Schauers die Zeit, die Grundzüge ihrer Arbeit zu erklären. „Ich mache nichts, womit ich kein Geld verdiene!“ wiederholt sie mehrmals, während sie das komplexe Provisionssystem der Gebühreneinzugszentrale (GEZ) erläutert. Sie ist seit nunmehr sechs Jahren als Gebührenbeauftragte des MDR unterwegs, heute wird sie mehrere Straßenzüge im verfallenen Leipziger Stadtteil Wahren ablaufen.
Frau Wagner sucht die „schwarzen Schafe“, die bisher weder Radio noch Fernseher oder ein „neuartiges Rundfunkgerät“ angemeldet haben, und aktualisiert die Datenbestände der GEZ. 60 Cent bekommt sie dafür, das fehlende Geburtsdatum eines Gebührenzahlers zu ergänzen oder dessen Umzug innerhalb des Sendegebiets festzustellen. Rundfunkanmeldungen bei einsichtigen „Sündern“ sind ungleich lukrativer: 10,80 Euro für die Anmeldung eines Radios, 22,80 Euro für einen Fernseher. Ein Grundgehalt bekommen die freiberuflich arbeitenden Gebührenbeauftragten im Außendienst nicht. Gibt es keine Auskünfte, gibt es auch kein Geld. „Man muss sich schon aufraffen können, regelmäßig loszulaufen“, fasst Petra Wagner eine Grundvoraussetzung für den Job zusammen, während sie eifrig allerlei Formulare in ihrer schwarzen Ledermappe verstaut. Regelmäßig arbeitet sie meistens von 15 Uhr bis zum frühen Abend und verdient in dieser Zeit nach eigenen Angaben täglich etwa 200 Euro, wenn alle rückständigen Gebühren, die sie bei einem neuen Rundfunkteilnehmer ermittelt, bezahlt werden. Erst dann erhält sie auch ihre Provision. Im Schnitt kommt sie auf 5.000 Euro im Monat – brutto, versteht sich. Es gibt jedoch Kollegen im Dienste des MDR, die schon einmal 7.000 Euro verdient hätten. Das sind aber eher Ausnahmen.
Frau Wagner passt nicht so recht zum verrufenen Image vom aufdringlichen Widerling, der potenziellen Gebührensündern nachspioniert. Das liegt auch daran, dass sie eine der wenigen Frauen in dem von männlichen Kollegen dominierten Beruf ist. Eine unscheinbare Mittvierzigerin mit einem Faible für Hunde, der man genauso gut eine Tätigkeit im sozialen Bereich zutrauen würde. Tatsächlich hat sie jahrelang in der Pflege von psychisch Kranken gearbeitet, bis sie nach einem Burn-Out und mehreren Jobwechseln beim MDR in der Abteilung für Rundfunkgebühren gelandet ist. Ihre lockere Art, große Klappe und Schlagfertigkeit, so sagt sie, kämen ihr bei diesem Beruf sehr zugute.

GEZ-Gebühren wie Hundesteuer: Jeder muss zahlen
Es hat aufgeklart, wir laufen los. Beim ersten Altbau-Block treffen wir schnell einen netten jungen Mann an, der frisch eingezogen und dessen Name nicht auf der Laufliste zu finden ist. Frau Wagner schaut mittels ihres Smartphones in die Datenbank der GEZ, entdeckt kein Teilnehmerkonto, füllt das Anmeldeformular aus, da er auf Nachfrage freimütig zugibt, ein Autoradio zu besitzen. Nur die Anmeldung, keine Nachzahlung: Frau Wagner gibt sich damit zufrieden. Eine freischaffende Fotografin, die von zu Hause aus arbeitet, hat da weniger Glück. Neben der Anmeldung ihres Computers kommt eine Nachzahlung für die letzten zwei Jahre auf sie zu. Da ein „neuartiges Rundfunkgerät“ nicht vergütet wird, meldet Frau Wagner ein Radio an, das kostet dasselbe: 5,76 Euro im Monat. Insgesamt sind ca. 150 Euro fällig. Die junge Frau ist sichtlich verärgert und beginnt, die GEZ und die Höhe der Gebühren zu verfluchen. Frau Wagner kümmert das jedoch nicht. Die gebürtige Rheinländerin hat das schon häufiger gehört und kontert mit einem Verweis auf den Rundfunkgebührenstaatsvertrag und die Hundesteuer, die ja auch jeder zahlen muss, der einen Vierbeiner hält. Das entschärft die Situation kaum, die angespannte Stimmung ist von unterschwelliger Wut und Sarkasmus geprägt. Frau Wagner, die aufgrund einer Beteiligung an den Nachberechnungen mit diesem Fall etwa 30 Euro verdient hat, erklärt sich später gelassen: „So etwas prallt an mir ab, da muss man ein dickes Fell haben.“ Für die Arbeit wechselt sie von ihrem ursprünglichen in einen Berliner Akzent. So käme sie besser an, wirke autoritärer und authentischer, weniger schnöselig. Ihre Haare trägt sie mal offen, mal im Zopf zusammengefasst. Das verspricht mehr Erfolg beim Arbeiten, weil sie die Leute auf der Straße nicht gleich wiedererkennen. Die auffällige schwarze Ledermappe unter ihrem Arm kann sie jedoch nicht verstecken.
Nach Mehrfamilienhäusern sind nun Einfamilienhäuser an der Reihe. Traditionell gibt es hier nicht viel zu holen, auch weil Frau Wagner dieses Areal schon zum dritten Mal abläuft. „Allenfalls im Haushalt wohnende Kinder in Ausbildung, die bisher nicht angemeldet sind.“ Heute ist das aber nicht der Fall, auch weil nur wenige zuhause sind.

Böse Briefe und lose Blätter
Dann machen wir noch Bekanntschaft mit hartnäckigen Verweigerern, die versuchen, uns nach einem kurzen Gespräch an der Gegensprechanlage abzuwimmeln. Die Gebührenbeauftragte kennt jedoch kein Pardon, argumentiert erst nachdrücklich, dann aufbrausend mit Paragraphen und Pflichten. Selbst Handys seien aufgrund eingebauter Radioempfänger anmeldepflichtig – und zumindest die seien doch in jedem Haushalt vorhanden. Nach dem verärgerten Klacken des Hörers von der Gegenseite vermerkt Frau Wagner den Namen und wirft einen scharf formulierten Auskunftsbogen mit einer Standardformulierung des MDR in den Briefkasten. Sollte auch dann und nach zwei Mahnungen keine Rundfunkanmeldung erfolgen, gilt der Problemfall als abgeschlossen. Inkasso-Büros oder juristische Schritte sind dem MDR zu aufwändig, weswegen der Sender dabei Nachsicht walten lässt.
Es ist 19.30 Uhr, Frau Wagners Rundgang durch Leipzig/Wahren neigt sich dem Ende. Sie ordnet sorgfältig die ausgefüllten Anmeldeformulare in ihrer schwarzen Ledermappe, in der sie auch Informationsblätter über Details der Gebührenpflichten und Befreiungsanträge bereithält. Heute abend muss sie noch ein Fax schreiben mit den Adressänderungen und den eingeworfenen Auskunftsbögen. Dann ist der Tag auch für sie vorbei. Doch trotz ihres Arbeitseifers herrscht bei ihr ein gemischter Eindruck vor: „Spaß habe ich an diesem Job nicht, aber ich mache ihn, um Geld zu verdienen.“ Viel Geld oder wenig: Darüber entscheidet letztendlich der Kunde mit seiner Unterschrift an der Haustür.

* Name geändert

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