„Das kitschige Deutschland“

von Roman Gherman

Ich mag Kunst. Malerei, Bildhauerei, Architektur haben mich schon immer begeistert. Aber auch Sprachen mit ihren Redewendungen und Sprichwörtern finde ich spannend. Man kann ja herzhaft lachen, wenn man beispielsweise versucht die Redewendung „Ich verstehe nur Bahnhof“ in eine andere Sprache zu übersetzen. Das Ergebnis kommt vielen dann nur noch „Spanisch vor“. Ähnlich ist es mit einzelnen Wörtern, deren Bedeutung(en) durchaus sehr interessant sein können.Nachdem ich nun schon einige Zeit in Deutschland lebe und sich mein Kopf, Geist und Körper einigermaßen in die deutsche Gesellschaft integriert haben, muss ich feststellen, dass das Wort „kitschig“ fast so häufig zu hören ist wie „Hallo!“ oder „Wie geht es dir?“. „Kitschig“ – ich wusste nicht, was das bedeutet, also schlug ich es in meinem deutsch-russischen Wörterbuch nach und fand die Bedeutungen „geschmackslos, minderwertig“. Nachdem ich nun endlich wusste, was „kitschig“ bedeutet, redete ich mit einem jungen Mann über Kunst und irgendwie kamen wir auf das Schloss Neuschwanstein zu sprechen, das – so dessen zusammenfassende Analyse – schon recht kitschig sei. Auf meine erstaunte Frage nach dem Warum folgte ein ernüchterndes „Weil es so ist – es ist kitschig!“ Diese Feststellung schien Argument genug, denn es folgte keine weitere Erklärung. Kann aber Architektur geschmackslos oder gar minderwertig, also kitschig, sein? Zweifelsohne lässt sich in Sachen Architektur oder Kunst schon gelegentlich der künstlerische Wert bzw. das ästhetische Empfinden des Künstlers in Frage stellen, sodass das Attribut „kitschig“ nicht immer und unbedingt unangebracht ist.Vor ein paar Tagen dann hörte ich jemanden sagen: „Hey, deine Katze ist ja kitschig!“ Da expandierte mein Verständnis von „kitschig“ quasi explosionsartig. Wow! Ich dachte schnell an meine Geschmacklos-Hypothese und an den „Künstler“, der da bei der „Gestaltung“ der Katze offensichtlich keinen sonderlichen Geschmack bewiesen hatte. Aber irgendwie schien das nicht ganz stimmig zu sein und ich suchte nach neuen Erklärungen. Da sind mir zwei eingefallen:

– Erstens: Dass es vielleicht etwas mit Ostdeutschland und seiner DDR-Vergangenheit zu tun hat. Man begründet doch im schönen Thüringen gerne so vieles mit der DDR-Vergangenheit. Jedoch scheint es mit der DDR wenig zu tun zu haben, da Studierende aus den alten Bundesländern das Wort mindestens genauso oft verwenden.
– Zweitens: Meine Deutschkenntnisse. Ich schlug diesmal den Duden auf und dort fand ich kitschig mit „geschmacklos, rührselig-sentimental, auf unechte Weise gefühlvoll“ umschrieben. Gefühlvoll und sentimental können sowohl meine Katze als auch Architektur und Kunst nicht sein. Aber auch auf so manchen Deutschen trifft das nicht immer zu, wie mir scheint – fällt es doch vielen oft schwer gefühlvollund sentimental zu sein bzw. Emotionen zu zeigen. Vielleicht ist das ja auch der Grund, warum in Deutschland vieles so „kitschig“ ist. Da das aber sehr subjektiv ist und jeder Mensch unterschiedliche Empfindungen hat, belasse ich es lieber dabei. Schließlich ist das Thema „Gefühle in Deutschland“ ein weites Feld, das ich lieber erst einmal brach liegen lassen möchte. Immerhin weiß ich jetzt, was „kitschig“ sein kann – ALLES! Ich sitze mit einer Kommilitonin am Tisch und wir bereiten einen Vortrag  vor. Als sie meint, dass mein Terminkalender im altfranzösischen Stil super-kitschig sei, wandert mein Blick den Tisch entlang und heftet sich schließlich auf ihren Taschenkalender: Er ist pink mit „Sailor Moon“- und „Pokémon“-Stickern drauf. Kitschig!? Nein, keinesfalls. Gefällt mir einfach nicht…


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