Schwarze Kapuzen über bunten Köpfen
Hausbesetzerkultur in Jena und Erfurt

von Fabian

Es war ein recht gewöhnlicher Sams-tagnachmittag in Jena. Verliebte trafen sich vorm Eiscafé Riva, ein jugendlicher Skater versuchte erfolglos eine Betonmauer empor zu springen, während zwei Mütter mit Kind, das Geschrei ihrer neugeborenen ignorierend, lethargisch in der Sonne baden. Nur die Gruppe schwarz gekleideter junger Menschen, die sich konspirativ langsam auf dem Jenaer Holzmarkt versammelte, trübte etwas den Eindruck einer familiären kleinstädtischen Idylle.
Etwas mehr als ein Jahr ist es nun her, als das ehemalige Jenaer Kaufhaus „Horten“ für wenige Stunden einen neuen Besitzer fand. Junge, mit Transparenten, Grillkohle und einigen Sixpacks Bier bewaffnete Männer und Frauen krabbelten durch ein kleines Loch an der Eingangstür, um für einige Stunden ihrem Drang nach autonomen „freien Räumen“ Ausdruck zu verleihen. Doch als wenige Stunden später ein paar Sixpacks Bereitschafts-polizisten in Kampfmontur eintrafen, ist die Party schon wieder vorbei.

Die Erfurter Enklave
Hausbesetzungen sind selten geworden, in Jena sind sie so gut wie ausgestorben. Die hehren Ziele, die auf Bettlaken gemalt, sich einst mit Grafities um die Gestaltungsdominaz der Aussenfassade stritten, scheinen in Vergessenheit geraten zu sein. Mal war es der Ausdruck der fehlenden Bereitschaft, für etwas Geld bezahlen zu müssen, was man zum Leben braucht (Obdach), bzw. ungenutzten Raum sinnvoll verwenden zu wollen. Meistens sind Hausbesetzungen jedoch Ausdruck des Wunsches, frei von kommunalen und rechtlichen Zwängen einen Freiraum für seine Ideen, Projekte und Lebensauffassungen finden zu wollen.
Eine Ausnahme im Niedergang dieser bunthaarigen Subkultur stellt ein recht heruntergekommenes Gelände nahe der Weimarer Straße im Osten Erfurt dar. Seit April 2001 halten Erfurt Autonome dort einen Teil der ehemaligen Fabrikhallen des Erfurter Ofenherstellers Topf & Söhne besetzt und versuchen damit auch auf das geschichtliche Erbe des Geländes aufmerksam zu machen, welches die Stadt Erfurt bis heute ignoriert.

Ska-Konzerte statt Krematorien
Während der Zeit des Nationalsozialismus stellte die Firma Krematorien und Teile der Gaskammern für Konzentrationslager her. 1948 wurden führende Mitarbeiter von der sowjetischen Besatzungsmacht verhaftet und die Firma enteignet. Die Stadt ließ das geschichtsträchtige Gelände verwahrlosen. Heute ist der besetzte Teil des Geländes ein lebendiger Ort für Workshops, Konzerte, Partys und Filmabende sowie für Rundgänge und Vorträge über die Geschichte des Geländes.
Doch auch dieses Kleinod alternativer Lebensweise und geschichtlicher Erinnerung ist vom Abriss bedroht. Im Oktober diesen Jahres kündigte der aktuelle Besitzer den Abriss an, um Platz für ein modernes Gewerbe- und Wohngebiet zu schaffen. Die Bewohner des Hauses rufen deshalb auf, mit ihnen in Erfurt auf die Straße zu gehen, um für den Erhalt des besetzten Hauses und einer der letzten Inseln selbstverwalteter autonomer Jugendkultur in Thüringen zu kämpfen und so vielleicht der Hausbesetzerszene neuen Auftrieb zu verschaffen.

Die Rückkehr der Kapuzenmenschen
Wer genau hinschaut, kann die Vorboten dieses Auftriebes schon heute erahnen. Denn auch wenn es in Jena kein einziges besetztes Haus mehr gibt (die Besetzung des Hauses unter dem Kassa wurde mittlerweile legalisiert), lassen sich auch in unserer Stadt einige wiedererstarkte Überbleibsel der Hausbesetzerkultur finden. Immer mal wieder finden sich ein paar Leute zusammen, die sich Bettlaken und Spraydose schnappen und zu später Stunde verlassene Häuser mit selbst gemachten Transparenten und Forderungen wie „Offene Räume ohne Konsumzwang“ verschönern.
Das ehemalige Afro-Center, das zur Zeit im Umbau befindliche „Haus zur Sonne“ oder ein mittlerweile abgerissenes Haus in der Bachstraße konnten neben anderen für einige Tage an die ausgestorben geglaubte Kultur erinnern. Vielleicht wird man nun in Zukunft doch wieder die ein oder andere Gruppe schwarz vermummter junger Menschen sehen können, die sich konspirativ neben Kinogängern und Eisschleckern nachmittags auf dem Holzmarkt versammelt.


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