von Fabian
Ein paar Fischerboote tuckern langsam auf dem Lago Maggiore. Am Ufer reihen sich lange, frisch restaurierte aristokratische Villen aneinander, während eine kleine Tafel an den einstigen Besuch von Ernest Hemingway erinnert. Vor genau 50 Jahren trafen sich Vertreter der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in einem kleinen italienischen Kurort, um den Grundstein zu einer gemeinsamen europäischen Agrarpolitik zu legen. Die Schaffung eines Binnenmarktes, Ausweitung des Außenhandels und die Förderung der Kleinbauern
waren die Ziele. 50 Jahre später sind europäische Lebensmittel von den Wochenmärkten der Welt nicht mehr wegzudenken.
Von der Idee zur Supermacht
Die europäische Agrarindustrie ist heute eine durch 350-Milliarden Dollar Subventionen, Schutzzölle und Handelsverträge konstruierte Weltmacht, die für die Landwirte in Entwicklungsländern katastrophale Folgen hat. Europäisch-subventionierte Lebensmittel überschwemmen die afrikanischen Märkte zu Dumping-Preisen, mit denen kein lokaler Bauer mithalten kann. Liberalisierungsvorschriften und die
Freihandelspolitik des Internationalen Währungsfonds zwingen die Entwicklungsländer, sich dem Wettbewerb mit über-subventionierter europäischer Dumping-Nahrung zu öffnen, während sich die EU durch Schutzzölle und bürokratische Richtlinien abschottet.
Europäische Hühnerreste zerstören Existenzgrundlagen
In Ghana verdrängen billige Tomatenmark-Dosen, deren Preis 50 Prozent unter den Produktionskosten liegt, lokale Gemüsebauern von den Märkten, während der Export europäischer Rinder die einst weltmarktführenden Rindfleischmärkte in Lateinamerika ruiniert. Im Hafen von Kamerun landen täglich Tonnen tiefgefrorener europäischer Geflügelstücke, da Europäer nur Hähnchenbrust kaufen und die Überreste an afrikanische Importeure verscherbelt werden. 120.000 Arbeitsplätze gingen dadurch allein
im Jahr 2004 verloren, berichtet eine Hilfsorganisation, da lokales Geflügel in Kamerun fast einen Euro teurer ist als das europäische Dumping-Huhn.
Hilfsprojekte zur Förderung der heimischen Landwirtschaft auf Farmen in Mosambik, Sambia oder Kenia seien so vom Vornherein schon zum Scheitern verurteilt. Hilfsorganisationen und afrikanische Politiker fordern deshalb seit Jahren ergebnislos eine Verringerung der Subventionen – bis heute ohne Erfolg. Das fünffache der Devisen der weltweiten Entwicklungshilfe würde in die Entwicklungsländer fließen, wenn
europäische und amerikanische Agrarsubventionen abgebaut werden würden, sagt der Generaldirektor
der Welthandelsorganisation WTO Mike Moore.
Die Gewinner sind Nestlé und Unilever
Die europäische Seite argumentiert mit der drohenden Existenzvernichtung hunderttausender europäischer Kleinbauern, würde ihr Gewerbe nicht künstlich am Leben gehalten. Weltweit sind es 44 Prozent der arbeitenden Bevölkerung, die im Agrarsektor beschäftigt sind, in den Entwicklungsländern sogar mehr als jeder zweite und doch scheint die globalisierte Agrarpolitik ausschließlich auf den Nutzen europäischer Landwirte ausgerichtet zu sein, die kaum fünf Prozent der arbeitenden Bevölkerung ausmachen. Doch selbst bei denen kommt die Unterstützung, welche fast jeden zweiten Euro des EU-Haushalts ausmacht, selten an.
Kleinbauernverbänden zufolge landen vier Fünftel der Subventionen bei Agrarkonzernen und Großbetrieben,
die nur einen Bruchteil der Arbeitskräfte beschäftigen.
Durch diese einseitigen Begünstigungen seien so selbst sie in ihrer Existenz bedroht. 860 Millionen Menschen hungern dem Welternährungsprogramm zufolge, knapp neun Millionen Menschen von ihnen verhungern jedes Jahr. Neben Biosprit und Börsenspekulationen seien die Agrarexportsubventionen der EU der Grund dafür, „dass noch immer alle fünf Sekunden ein Kind auf dieser Welt verhungert“, sagt der UN-Sonderbeauftragte für das Recht auf Nahrung Jean Ziegler. Nur wenige Dutzend Kilometer sind es von
seinem Geburtsort zum idyllischen Lago Maggiore, wo vor 50 Jahren der stille Massenmord mit Nahrung
seinen Anfang nahm.
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