Eine Kolumne zur englischen Sprachgeschichte von Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena
Es ist noch nicht die Jahreszeit um an Bade-, Strand- und andere ‚viel-Haut-zeigende’ Mode zu denken, doch der kluge Leser (bzw. Leserin) macht sich nach den kulinarischen Ausschweifungen der Feiertage bereits jetzt Gedanken, wie man die gewünschte ästhetische Form pünktlich zum Saisonbeginn erreichen kann.
Engländerinnen, wie man beim Besuch der Insel feststellen kann, kennen solche Probleme nicht. Die Kleidermode dort scheint unabhängig von Jahreszeiten und losgelöst von jeglichen kontinentaleuropäischen Normen der Ästhetik. So trifft man auch im tiefsten Winter auf Gruppen leicht bekleideter junger (und nicht so junger) Frauen, die von einem Pub zum anderen ziehen. Welche Körperteile bei der Zurschaustellung nackter Haut im Vordergrund stehen, wechselt mit der Mode, doch die Gesamtfläche bleibt konstant hoch. In den letzten Jahren erfreute sich bauchfreie Mode in England großer Beliebtheit – und mit ihr erfolgte auch die Wiederbelebung eines Wortes, das lange Zeit ein Schattendasein gefristet hat: midriff. Ursprünglich im engeren Sinne für das Diaphragma (Zwerchfell) benutzt, so wird es nun für die ganze bauchfreie Zone verwendet. Jemand, der es sich leisten kann, bauchfreie Mode zu tragen, ist demnach fähig to pull off a midriff – was anscheinend beinahe jedermann/-frau ist. Sprachwissenschaftlich interessant ist das Wort allemal. Es besteht aus den Teilen mid und hrif (altenglisch: Bauch) und gehört zur Gruppe der Komposita, die ansonsten aus dem Sprachgebrauch verschwundene Elemente bewahren. Um bei der Anatomie zu bleiben: nostril ist ein geläufigeres Beispiel aus dieser Kategorie. Im Deutschen sind die beiden Elemente (Nase & Loch) noch klar erkennbar; im Englischen muss man zu einem Herkunftswörterbuch greifen, um zu sehen, dass nostril eine kontrahierte, d.h. zusammengezogene Form aus altenglisch nosu (Nase) und thyrel (Loch) ist – letzteres wurde als selbständiges Element durch das ebenfalls bereits im Altenglischen vorhandene holu (hole = Loch) verdrängt und hat nur in diesem zusammengesetzten Wort überlebt. Nicht auszudenken, wenn es umgekehrt gewesen wäre – dann würde eines der bekanntesten Kinderbücher des 20. Jahrhunderts so beginnen: „In a thyrel in the ground there lived a hobbit.”
Die britische Mode rund um das Zwerchfell begutachtete Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena.
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