Wenn Touristen am Ende sind

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Feuerland beherbergt nicht nur unberührte Wildnis für Naturliebhaber, sondern auch eine Trophäe der Superlative für jeden Pauschaltouristen: das Ende der Welt!

von paqui

„Fin del Mundo“ steht unübersehbar auf ihren eben erstandenen Stirnbändern. Auf der Rua San Martín, der Hauptschlagader der argentinischen Stadt Ushuaia in Feuerland, tummeln sich dicke Kreuzfahrttouristen in roten Steppjacken. Dank der Stirnbänder, die irgendwie gleichsam den Frontallappen ihrer Träger als Grenze der eigenen Welt zu determinieren scheinen, ist man als Tourist leicht zu erkennen. Von Radiergummis über Aschenbecher bis hin zu grinsenden Plüschpinguinen – überall ist „Fin del Mundo“ drauf gemalt, gestickt, genäht, gemeißelt. Irgendwann hat auch der letzte Fremdsprachenlegastheniker verstanden, dass dies „das Ende der Welt“ bedeutet.
Hier zeigt sich Argentiniens Hang zum Größenwahn und zu Superlativen: Der beste Fußballer, das zarteste Rinderhüftsteak, die besten Liebhaber und mit Ushuaia auch die südlichste Stadt – und somit auch das bewohnte Ende – der Welt. Das kleine chilenische Städtchen Puerto Williams noch südlicher auf der anderen Seite des Beaglekanals wird sowohl von den Argentiniern als auch von den Touristen gern ignoriert. Die Lieben zu Hause dürfen dann später das von der Touristeninfo ausgestellte Zertifikat, das beweist, dass man am Ende war, bewundern. Die ahnen ja gar nicht, wie relativ so ein Ende ist.

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Oberhalb der roten Steppjacken
Ein paar Kilometer oberhalb der mit den dicken Kreuzfahrttouristen in roten Steppjacken gespickten Rua San Martín befindet sich der Gletscher Marcial. Und tatsächlich überkommt jenen ambitionierten Wanderer, der einen Aufstieg dorthin wagt das Gefühl nicht nur den blauen Nebel des Beaglekanals im Südosten verschwinden zu sehen, sondern auch die Welt. Wenn der Blick über die spartanische und lieblose Architektur Ushuaias schweift, die eisige Zunge des „martialischen Gletschers“ im Nacken und den eiskalten Wind direkt an den Nieren, drängt sich unweigerlich der Gedanke auf, dass die Welt in Blickrichtung allmählich austrudelt.
Auch der an Ushuaia angrenzende Nationalpark heißt niemanden willkommen. Selten verirren sich die Träger roter Steppjacken dorthin zu uralten Gletschern und kargen Bergen. Nach dem Stirnbandkauf bleibt meist nur wenig Zeit Feuerland zu  Fuß zu erkunden. Oft warten die Pinguine vergebens auf die ihnen wohlbekannten Scharen von Touristen, deren sorgfältig geplante Tour wegen schlechten Wetters abgesagt wurde. So wird als einziger Eindruck von Feuerland die Rua San Martín und ihre überteuerten Läden bleiben. Ushuaia ist eine der teuersten Städte Südamerikas – was zum einen an den langen Transportwegen und zum anderen an den gut zahlenden Touristen liegt.

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„Sie müssen das schaffen!“
Der Nationalpark Tierra del Fuego ist vor allem im Winter nur mit einer Art Privat-Taxi zu erreichen. So ist während der Wanderung die bange Hoffnung, es rechtzeitig zum verabredeten Punkt zu schaffen und vom Abholenden nicht vergessen worden zu sein, steter Begleiter. Auf die Frage, was denn geschehe, wenn man nicht rechtzeitig ankommt, spürt man nur den festen Blick des Fahrers und hört die Worte: „Sie müssen das schaffen!“ Niemand wartet dort länger als nötig zwischen moosbewachsenen Krüppelbäumen, peitschendem Wind und knöcheltiefem Schlamm. Eines der ersten Gebäude, das von den Argentiniern dort errichtet wurde, war bezeichnenderweise ein Strafgefangenenlager.
Dennoch zieht das Land des Feuers jährlich Scharen von Kreuzfahrttouristen an, die während der Gruppentour endlich einmal die Einsamkeit und Verlassenheit spüren wollen – am Ende der Welt.

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