Nicht jede volle Tafel ist beschrieben… – aus einem Interview mit dem Vorstand des Tafelvereins in Jena, Jürgen Bromme

von Michael

Die Jenaer Tafel ist 1995 gegründet worden. Zu jener Zeit fand die Verteilung am Saalbahnhof statt, ein Wartburg-Kombi und ein Tapezierbrett dienten als Ausgabestelle. Ab 1997 wurde das Haus in der Seidelstraße gemietet und konnte später, im Jahre 2003, mit Hilfe privater Spendenaktionen (durch Klöster in und um München) gekauft werden. Die Idee der Tafel entstammt aus Amerika; die erste Tafel auf deutschem Boden entstand in Hamburg, dann folgte Berlin. In den neuen Bundesländern waren Dresden und Jena die Vorreiter, wobei die Jenaer Tafel das erste Tafelhaus Deut schlands mit Rundum-Versorgung an Speisen war.

Doch wurde in den folgenden Jahren das Abendbrot aufgrund mangelnder Nachfrage aus dem Angebot
gestrichen. Nach wie vor gehören Frühstück, Mittagessen und Kaffee am Nachmittag zum Angebot der Tafel. Das Mittagessen kostet einen Solidaritätsbeitrag von 1,80 Euro. Der Kuchen am Nachmittag ist kostenlos, ansonsten gilt dies nur für die original verpackte Ware, die direkt vom Spender kommt – nur abgepackte Ware darfausgegeben werden. Von der Tafel Zubereitetes wird meist frisch gekauft und deshalb auch verkauft, die Getränke ebenso. 450 Tafelpässe können vergeben werden, wobei zwischen einer und elf Personen hinter einem Pass stehen, was bedeutet, dass 950 auf Tageslisten eingeteilte Bedürftige einmal wöchentlich die Lebensmittelausgabe der Tafel nutzen. Die Voraussetzung, einen Tafelpass zu erhalten, ist der Hartz IV-Bescheid, ein Nachweis über die Kaltmiete als Vergleichskriterium für Rentner, und Glück. Denn die Entscheidung zur Verteilung der Tafelpässe ist schwierig, da die Umstände schwer zu vergleichen seien. Jedes Vierteljahr werden die Tafelpässe deshalb neu vergeben, um Verteilungsgerechtigkeit zu gewährleisten. Wer nicht regelmäßig kommt, um seine Ware abzuholen bzw. sich nicht abmeldet, wird aus der Verteilungsliste gestrichen und für ein Vierteljahr gesperrt.

Mehr Bedürftige zu versorgen, ist durch mangelnde Kapazität an Raum und Spenden nicht möglich, obwohl die Zahl der Bedürftigen zehnmal so groß ist. Man schätzt 11.000 Bedarfsgemeinschaften in Jena, wobei hinzukommt, dass manche von ihnen aus Scham das Angebot gar nicht nutzen wollen. Nachdem Hartz IV eingeführt wurde, stiegen die Anfragen nach einem Tafelpass um das Doppelte, von 450 Bedürftigen auf 450 Tafelpässe, der mehrere Personen abdeckt. Um die Kapazität zu erhöhen, ist ein Anbau geplant, der eine Vergrößerung der Ausgabestelle vorsieht, ebenso wie die Anschaffung einer Kühlanlage und die Vergrößerung der Kleiderkammer, denn auch sie gehört zum Angebot der Tafel. Die Kleidung stammt zu 80-90% aus Privathaushalten. Doch es gibt auch fehlerhafte Neuware. Die Lebensmittel kommen von 36 Sponsoren in und um Jena – vom kleinen Fleischer oder Bäcker, über die großen Kaufhallen, bis hin zum
Großhandel. Diese Lebensmittel sind solche, die nicht fristgerecht abgesetzt werden konnten, weil sie zwei oder vier Tage (abhängig vom jeweiligen Markt) vor dem Eintreten des Mindesthaltbarkeitsdatums nicht mehr verkauft werden dürfen. Jedoch kann die Tafel problemlos die Ware diese zwei oder vier Tage noch ausgeben. Zur Abholung der Ware bei den Händlern werden Tourenpläne abgestimmt – hierfür stehen zwei Fahrzeuge zur Verfügung.

Manchmal wird die Tafel jedoch auch als Entsorger missbraucht, wenn die Ware schon beinahe gänzlich verdorben ist. Überzeugungskraft ist gefragt in den Märkten gegenüber Marktleitern und Mitarbeitern, die ihre Ware nicht der Tafel geben wollen (z.B. ALDI) oder zu viel Ware gedankenlos wegwerfen. Größere Sensibilisierung sei nötig, Motivation zum Geben müsse aufgebaut werden. Betrieben wird die Tafel hauptsächlich durch 54 ehrenamtliche Mitarbeiter, von denen manche einmal, manche dreimal in der Woche tätig sind. Doch die Tafel schafft auch Arbeitsplätze. So z.B. einen Minijob (400,- Euro) und mehrere von Jenarbeit geförderte Beschäftigungen. Unterstützung von Seiten der Stadt erfolgt ausschließlich durch 30-70% Beteiligung an den Lohnzahlungen dieser Mitarbeiter.

Die Struktur der Bedürftigen änderte sich in den letzten Jahren. Während in den Anfangsjahren nur Deutsche
die Tafel nutzten und es damals z.B. noch Spieleabende gab, so sank mit wachsender Zahl an Migranten scheinbar das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Bedürftigen kommen heute oftmals nur noch, um die Waren abzuholen. „Wir können uns nicht beklagen, die Bedürftigen am allerwenigsten. Dass es keine Vollverpflegung ist, ist klar. Wenn die ein, zwei Tage der Woche unsere Waren haben, sind sie auch dankbar“, sagt Herr Bromme. Er selbst ist durch Bekannte dazu gekommen, denn „wenn Not am Mann ist, helfen wir.“ Oft fragen Studenten an, die freiwillig ehrenamtlich mithelfen wollen. „Es gibt immer mal Ausfälle. Wenn jemand krank wird, bräuchten wir kurzfristig Ersatz. Wir sind gern bereit, mit freiwilligen Studenten zu arbeiten und sind froh, wenn Außenstehende sich fragen: ‚Was passiert da eigentlich?‘“

Weitere Informationen findet ihr
unter: www.jenaertafel.de


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