Jenaer Klostergeschichte(n), Teil 1

von Max Pellny

Sie sind ein kleiner Konvent, vielleicht sieben bis zehn Personen, die sich die „brudere von dem Berge Carmeli“ – die Ordensbrüder vom Berge Karmel – nennen, einem Gebirge in Judäa. Die Quellen sprechen: Seit den 1380er Jahren kommen sie zu Fuß aus Pößneck nach Jena, um zu terminieren (betteln). Die rund 25 Kilometer schaffen sie an einem Tag. Die erhaltenen Almosen in ihren kleinen Ledersäckchen latschen sie zurück nach Pößneck in ihr Kloster. Dieser Vorgang wiederholt sich einige Jahrzehnte und scheint erfolgversprechend, denn um das Jahr 1414 erhalten sie vom Jenaer Stadtrat ein ansehnliches Grundstück im Vorort Zweifelbach, vor dem südlichen Löbdertor, dem heutigen Platz vor dem Theaterhaus. Der Klosterneubau in Jena ist ihre zweite Niederlassung im thüringischen Raum, die in den Quellen als „nuwen closter zcu dem heiligen crucze“ – das neue Kloster beim Heiligen Kreuz – bezeichnet wird, nach der benachbarten Heilig-Kreuz-Kapelle, an der Straße Richtung Winzerla und Lobeda, die damals nicht an der Saale, sondern auf Höhe des heutigen Beutenberg-Campus verlief. Kurz nach Beginn des Klosterbaus werden Steine und Kirchenglocke von der Stadt enteignet, um die Stadtmauer zu verstärken und ein neues Geschütz zu gießen. Die geplanten Bauarbeiten stehen still. Seinerzeit, in den 1430er Jahren, versetzten die Hussiten weite Landstriche in Angst und Schrecken (Hussitenkriege). Möglicherweise ist Jena damals von einer hussitischen Heimsuchung verschont geblieben, die Bemühungen zur Verstärkung der Stadtbefestigung lassen eine reale Gefährdungslage zumindest plausibel erscheinen. Inwieweit diese tatsächlich benötigt wurde, bleibt unklar, da knapp 200 Jahre später in den 1630er Jahren Rathaus und Ratsarchiv der Stadt Jena von der kaiserlichen Armee abgefackelt wurden. So sprechen die Quellen häufig weniger als sie manchmal mehr stottern, unverständlich nuscheln oder schlimmer: schweigen.

Einzigartige Einlassung im Boden der Sakristei. Über den Sinn und Zweck dieses Beckens mit Auslaufrinne kann die Geschichtsforschung nur rätseln. Möglicherweise handelt es sich um eine Vorrichtung zur rituellen Hand- und/oder Fußwaschung. Auch zum Auswaschen geheiligter Liturgiegefäße nach der Messe könnte sie gedient haben.

Schwere Zeiten gehen vorüber – Zuwendungen erreichen die Bettelmönche, die ihnen Hoffnung schenken müssen. Eine gewisse Jutta Rummpennige bedenkt den kleinen Jenaer Mönchskonvent mit 62 Schock Groschen und verbindet mit ihrer Wohltat die Bitte, nach ihrem Tod täglich eine Seelenmesse für sie zu lesen. Für so eine Menge Geld wird auch die größte Sünderin erlöst und in den Himmel verfrachtet. Wenn Jutta ihr Seelenheil nicht erreicht hat, wer dann? Auch der Stadtrat zeigt sich 30 Jahre nach der besagten Enteignung im November 1459 generös und sichert dem Konvent schriftlich zu „einen Haufen Steine und die Glockenspeise zum Guss einer neuen Glocke“ abzutreten. Der Jenaer Bürger Cuntz Sommerlatte bekennt, dass er dem Kloster „eine Wiese unter dem Dorfe Welnitz [Wöllnitz] erblich und zinsfrei geliehen habe unter der Bedingung, dass das Kloster ihm und seinen Geschlechtsgenossen vierteljährlich mit Virgilien [nächtliche Gebete] und Seelenmessen ein Gedächtnis begehen solle.“ Moment mal, dachte ich beim Studium der Urkunden. Eine Wiese bei Wöllnitz? Das verstößt doch gegen Recht und Ordnung! Warum? Blicken wir auf die 1418 geschlossene Vereinbarung zwischen Stadtrat und Karmelitenkloster, in der die Mönche bekennen, dem „Rate keine schossbaren Güter zu entziehen“: „[…] Ouch zo sullin noch enwullin wir icheynerlei gut, daz der stad schosbar ist, kouffe noch zcu uns brenge […]“ Als „Schoss“ bezeichnete man im Spätmittelalter eine Art „Vermögenssteuer“. Die Eigentumsverhältnisse wurden in sogenannten „Geschossbüchern“ festgehalten. Für jeden Weinberg, Weidendickicht, Siedelhof, Garten und eben auch jede Wiese waren bestimmte Abgaben an den Stadtrat zu entrichten. Für Jena sind zwei Geschossbücher aus den Jahren 1406/07 erhalten – unschätzbar wertvolle Quellen zur Erschließung der spätmittelalterlichen Topographie Jenas. Leider liegen diese zeitlich vor der Errichtung des Karmelitenklosters. Auch spätere Einfügungen enthalten m.E. keine Informationen zu ihrem Eigentum. Aber zurück zum Vertraglichen. Der Hinweis auf Klosterbesitz außerhalb der Klosteranlage lässt die Vermutung zu, dass in der alltäglichen Praxis, damals wie heute, schriftlich fixierte Regeln anders gehandhabt wurden als vereinbart. Wer schon einmal einen Arbeitsvertrag unterschrieben hat, weiß wovon ich rede. Des Weiteren wissen wir von einem in der Saale mit Pferd und Pflug ertrunkenen Knecht, dessen Beerdigung der Konvent bezahlte, da er in seinen Diensten stand. Auch erhielten die Mönche für die Durchführung der Messe in Lichtenhain regelmäßig zwei Groschen, waren also selbst für Geld tätig. Diese Beobachtungen lassen uns die Vorstellung bettelarmer Bettelmönche gehörig überdenken.

Wer sie bezahlte, welchen Sinn und Zweck die Mönche in der Stadt erfüllten, warum sie so plötzlich verschwanden und was mit der Klosteranlage nach ihrem Verschwinden passierte, erfahrt ihr in Teil II der Jenaer Klostergeschichte(n).


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