von Max Pellny
Es riecht bedrohlich nach Katastrophen. Wir brauchen Planungssicherheit! Die Angst vor zivilisatorischer Selbstzerstörung vermischt sich unheilvoll mit der Unfähigkeit, die eigene Vergänglichkeit zu akzeptieren. Wir sind ohnmächtig, bedeutungslos und können am Weltgeschehen nichts ändern. Wir sind Nichts. Schlechte Nachricht für alle, die über ein krankhaftes Harmoniebedürfnis verfügen – so wie ich. Noch schlechtere Nachricht für alle Kantianer und Philosophenkönige – oder gibt es mehr als nur eine Form der Vernunft? Wenn das Leben sowieso irgendwann endet, dann ist es vollkommen sinnlos, sich gegenseitig das Leben zu nehmen. Ist es vernünftiger das Leben der anderen vorzeitig zu beenden, bevor sie es tun? „Du sollst nicht töten.“, sagen die Kreuzritter und schlachten die Einwohner Jerusalems ab. „Amerika bringt die Freiheit!“, ruft der Präsident und lässt Atombomben auf Japan hinunter sausen. „Das ist kein Krieg. Das ist eine militärische Spezialoperation.“, schimpft der aufgedunsene Zar. Egal, ob ich nach Osten oder Westen schaue – immer bin ich der Mittelpunkt, auf den die Bedrohungen von allen Seiten drängen: So etwas nennt man Standortgebundenheit. Menschen brauchen Gewissheit und suchen sie im Glauben. Doch was ist sicher in der Welt? Verstehen und Verständnis sind zwei verschiedene Schuhe. Ich habe zwei Beine und brauche zwei Schuhe, um spielen zu können. Tausendprozentig sicher ist: Jeden Dienstag um 18 Uhr stehe ich mit beiden Beinen fest auf dem Kunstrasenboden des Universitätssportvereins. Der immergrüne Kunstrasen empfängt den rollenden Ball. Auf der linken Seite des Spielfeldes fühle ich mich wohl. Ich bin flinker Linksaußen-Verteidiger. Gallig und beinhart verderbe ich meinen Gegenspielern die Freude am Spiel. Mein Spitzname ist Berti Vogts. Wie ein Terrier vorm Dachsbau beiße ich mich in der Wade meines Gegners fest. Ich lasse mein Herz auf dem Platz. Die Grätsche sitzt, der Stürmer verliert den Boden unter den Füßen, stolpert, fällt hin, bleibt liegen und beginnt zu jammern. Der Kunstrasen reißt mein Knie auf. Das Blut fließt in Strömen über die Stulpen und in die Schienbeinschoner. Aber ich habe den Ball gespielt und jetzt gehört er mir. Das war kein Foul, keine gelbe, keine rote Karte und erst recht kein Freistoß! Im Gegenteil: im Bruchteil einer Sekunde leite ich die Gegenbewegung ein, laufe bis zum letzten Atemzug zur Grundlinie und beende den Spielzug mit einem traumhaften Pass in den Rückraum. Unser Knipser hält den Fuß hin und schon klingelt es im Tor der Gegner. Die Zeit ist rum. Das Training ist vorbei und nun folgt das feste Ritual. Während die tiefe Abendsonne die Kernberge in karminrotes Licht taucht, sitzen wir neben dem Kunstrasenplatz im Kreis um unser Heiligtum: einem Kasten Bier. Prost! Ich bin Verteidiger. Meine Aufgabe: den Gegenspieler vom Ball trennen, das Bier gewinnen und den Gegenangriff einleiten, das ist sicher und wird immer so bleiben. Es ist nicht wichtig, wie viele Tore ich schieße, sondern wie viele ich verhindere. Doch alles kann ich nicht verteidigen. Auch mir misslingt der ein oder andere Pass. Aber ich bin nicht allein auf dem Feld. Wir sind ein Team, in dem jeder für den anderen einsteht und jeder jedem hilft. Manchmal fangen wir uns ein Tor. Trotzdem, Kopf hoch! Niemals aufgeben! Wir werden uns nicht verstecken! Wir sind nicht Nichts! Da ist das erste Bier geleert. Ich nehme mir ein zweites, denn auf einem Bein steht es sich schlecht. Die Sonne ist untergegangen. Die blaue Stunde bricht an. Die Amseln beginnen ihr Abendlied. In der Ferne rauscht leise die Saale. Der kühle Gerstensaft betört unsere Gemüter, denn er hat Sonnenenergie gespeichert. Zum Wohl! Wer kommt mit duschen?