Malerei aus der Satteltasche

Interview von Paula Jänig


unique: Wann hast du angefangen zu sprayen?

Jakob Nickels: Ich habe in meiner frühen Jugend, so mit 13 Jahren angefangen zu sprayen. Ich war von Anfang an komplett begeistert. Ich wusste am Anfang gar nicht so richtig, was das alles bedeutet, ich habe einfach mit Freunden Graffiti gemalt. So mit 16 also etwa ab 2008 wurden die Wandprojekte dann größer und mit der Zeit auch zunehmend anspruchsvoller.

Mit welchen Themen setzt du dich in deiner Kunst auseinander? Deine Bilder wirken alle sehr dynamisch. Welche Rolle spielt für dich Bewegung?

Für mich hat der Begriff Ästhetik immer sehr viel bedeutet. Darunter verstehe ich einen visuellen Ausdruck, der von den Formen und Farben ausgeht. Graffiti ist wie eine persönliche Suche, nach einer bestimmten Art von Ästhetik, die ich für mich entdecke, die im Prozess entsteht, sich Stück für Stück findet und sich immer weiterentwickelt. Ich bewege mich viel, hab früher Akrobatik gemacht und tanze gerne. Das ist auch so ein Prozess, bei dem sich eine ganz eigene Ästhetik entwickelt. Das klingt alles vielleicht expressiv, aber es gibt häufig keinen der es „von außen betrachtet“. Wenn ich Graffiti male, bin ich oft allein. Es ist sehr direkt mit mir verbunden, aber trotzdem abstrakt und ich denke die Verbindung zu meiner Person und viele Bilder bleiben unsichtbar.

Weshalb bleiben sie „unsichtbar“?

Ich habe in der Vergangenheit viel an verlassenen Orten gemalt, bin in leere Gebäude gegangen, habe mir dort Wände gesucht und dabei kaum Leute gesehen. Viele dieser Orte gibt es heute nicht mehr und ich weiß nicht wer meine Bilder gesehen hat, wahrscheinlich wenige Menschen. Ich habe meine Arbeit immer dokumentiert, damit die Bilder zumindest fotografisch erhalten bleiben. In Leipzig, wo ich früher gewohnt habe, gibt es mehr Leerstand als in Weimar und ich war immer auf der Suche nach neuen Orten. Besonders war auch das Jahr 2020, als wir wegen Corona nicht in die Arbeitsräume konnten, da habe ich hier in Weimar und im Umland viel draußen gemalt, während ich mich die letzten Jahre auf die Arbeit im Atelier konzentriert habe. Ich bin dann meistens mit dem Fahrrad los, mit großen Satteltaschen, denn es braucht schon viel Zeug, um eine große Wand zu bemalen.

Welche Rolle spielt für dich Musik beim Malen?

Generell höre ich beim Malen gern Musik. Im Atelier fast immer, besonders wenn ich ankomme, mag ich direkt laut aufdrehen. Draußen höre ich über Kopfhörer, aber manchmal ist es ohne Musik besser. Wenn der Ort mir suspekt ist, bin ich empfindlich für Geräusche und kann keine Musik gebrauchen. Aber es gibt auch Orte, die mich entspannen. Es gab in der Nähe von Weimar einen Platz, der ganz ruhig war, und ich habe immer wieder ganze Tage dort verbracht. Etwas weiter weg haben Leute an Autos herumgeflext, aber ich wusste irgendwie, das keiner kommt. Es gab dort zwei riesige Wände, die sich direkt gegenüberstanden. Ich war oft dort und habe es sehr genossen. Manchmal kam auch eine Maus aus dem Gebüsch, das war richtig süß. Es war am Ende wie meine eigene Galerie. Ich hatte überall große Bilder gemalt, die ich bewusst verteilt, sozusagen kuratiert habe, damit sie zusammen gut wirken. Und dann als ich vor einem Jahr dort vorbei gefahren bin habe ich gesehen, dass alles zugeschüttet ist und die Wände weg sind.

Erst sieht es niemand und dann ist es auch so schnell wieder verschwunden. Das ist doch speziell oder?

Ich habe das Verschwinden als Anlass genommen ein Video von dem Ort und den Bildern zu posten und etwas dazu zu schreiben. Es ist ein Prozess und es gehört dazu, dass Bilder wieder verschwinden. Was macht der Ort für dich aus, an dem du arbeitest? Was unterscheidet das Draußen sein und sprayen von deiner Arbeit im Atelier? Das sind verschiedene Gleise. Die Atelier Arbeit ist ein Abzweig, der eigene Wege geht. Graffiti ist eine Leidenschaft, die ihre Wurzeln in meiner Jugend hat, die ich konstant verfolge und auch als Malerei bezeichne. Im Atelier beschäftige ich mich mehr mit Ideen, Konzepten und verschiedenen Materialien.

Und was ist deine Quelle für diese Ideen und Konzepte?

Ich habe bei meinen Graffitis mehr Wert auf die Form als auf die Buchstaben gelegt. Die Schrift war irgendwann nur noch ein Gerüst für abstraktere Formen. 2020 wollte ich noch einen Schritt gehen und gar keine Buchstaben mehr malen, sondern Bilder, die nur aus abstrakten Formen bestehen. Diese Praxis nutze ich heute als Ansatz, wenn ich auf Leinwänden male. Ich übernehme die Seitenverhältnisse und mache dann viele Skizzen bevor ich mich für eine entscheide, die ich übertrage. Die Formfindung hat viel mit meiner Erfahrung vom Graffiti Malen zu tun, die ich als Orientierung nutze.

Was geschieht während des intuitiven Arbeitens? Was entsteht im Ungeplanten?

Meine Bilder setzen sich eigentlich immer aus Flächen zusammen. Die Umrisse und Formen entstehen als Entwurf auf Papier, im Moment, soll heißen aus einem Gefühl, dass sich vielleicht als intuitiv beschreiben ließe. Eine wichtige Rolle spielt auch das Material. Unterschiedliche Untergründe und Farben erzeugen verschiedene Oberflächen. Womit ich arbeite, entscheide ich manchmal geplant, manchmal spontan.

Wie wird Graffitikunst in der freien Kunst, an der Universität wahrgenommen?

Meine Erfahrungen sind durchwachsen. Das Thema findet wenig Beachtung und es wird von den Lehrenden eher undifferenziert betrachtet. Ich denke, das hängt mit Lesarten und Codes zusammen, die in der Kunstwelt sehr verbreitet sind. Sobald du etwas machst, das als Graffiti gelesen werden kann, wird es einsortiert. Ich finde es schwierig, wenn kategorisiert und eine individuelle Auseinandersetzung vermieden wird, zumal Graffiti ein facettenreiches Feld ist.

Welche Bedeutung hat für deine Arbeit der Begriff „Realness“?

Graffiti steht auch für eine Untergrundkultur. Es geht dabei viel um Glaubwürdigkeit und um eine bestimmte Art von Leistung, um sich gegenseitig zu übertrumpfen oder aber um gemeinsam etwas Großes zu schaffen. Quantität spielt eine wichtige Rolle. An der Universität machst du eine Sache und dann schauen hundert Leute darauf und reden darüber. Diesen Raum braucht es und dadurch entsteht ein magischer Ort für Kunst. Der Begriff „Realness“ würde aber nicht dazu passen. Wenn Leute in Berlin U-Bahn malen und jeden Tag in den Schacht klettern, dann passt der Begriff deutlich besser. Aber es ist cool zu sehen, was der Raum und die Aufmerksamkeit schaffen, die Möglichkeit sich besser auszutauschen. Aus dem Graffiti kommt auch das Taggen. Das sprühen des Kürzels, also des selbst gewählten Pseudonyms. Dabei geht es um den eigenen Flow und es kann ein Ventil für überschüssige Energie sein. Das ist aber nicht, was ich mit Malerei verbinde, weil es mir um die Umsetzung des Entwurfs geht. Das meiste, was ich herausgebe ist sehr überlegt.

Hemmt dich das manchmal?

Ich bin überlegt, aber nicht gehemmt. Ich stelle mir selbst die Weichen. Die Form steht fest, aber die Farben nicht. Ich mag diese Art von Entscheidungen, weil ich damit das Resultat kontrolliert beeinflussen kann. Das ist so ein Prozess, der vom Graffiti kommt, eine Herangehensweise die mich stark geprägt hat und meine Kunst bis heute beeinflusst.

Vielen Dank, Jakob, für das interessante Gespräch!


Jakob Nickels ist 30 Jahre alt und studiert freie Kunst an der Bauhaus Universität in Weimar.


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