Mentaler Schnupfen

von Emma Jörges


Ich habe mir Ausreden zurechtgelegt für die Tage, an denen es mir nicht gut geht.

Meine Selbstzweifel nenne ich Bauchweh, wahrscheinlich habe ich was Schlechtes gegessen, bei allgemeinem Weltschmerz sage ich, ich hatte Kontakt zu einer Corona-positiven Person, tut mir voll leid, aber wäre echt unvernünftig jetzt trotzdem zu kommen und wenn mir einfach alles irgendwie zu viel wird, sage ich, ich habe Migräne.

Über die Jahre habe ich mir für meine Psyche körperliche Namen ausgedacht.

Denn wenn ich sage, hey, mir geht’s psychisch nicht so gut, heute ist einer dieser Tage, an denen ich irgendwie nur im Bett bleiben will, heute ist einer dieser Tage, an denen ich will, dass einfach niemand irgendetwas von mir erwartet, wenn ich das sage, muss ich besorgten Blicken begegnen und mir verständnislose Fragen anhören, auf die ich mit einer philosophischen Abhandlung über die menschliche Sinnsuche oder einer ausführlichen Familienanamnese antworten könnte, aber nicht in zwei einfachen Sätzen.

Wenn ich von Bauchweh, Kontaktperson oder Migräne spreche, wird verstehend genickt, es werden keine Fragen gestellt, nur gesagt, ich soll mir mal einen Tee machen, einen Tag im Bett bleiben und mich gut auskurieren und das ist genau das, was ich hören will, an diesen Tagen.

Das Psychische wird erst dann ernst genommen, wenn es so richtig schlimm ist.

Ich bin psychisch gesund oder zumindest so gesund, wie ich auch körperlich bin.

Das heißt, wenn ich mich nicht warm genug angezogen habe, bin ich ein paar Tage später erkältet. Darüber wundert sich niemand. Niemand macht sich Sorgen im Übermaß, denn zweimal im Jahr Grippe zu haben ist auch noch keine chronische Krankheit.

Es gibt Menschen mit einem starken Immunsystem und andere mit einem schwachen. Es gibt die Personen, die mit der größten Vorsicht durchs Leben gehen und sich nie auch nur den Knöchel verstauchen und es gibt die, die Extremsportarten machen, für die ein gebrochener Arm fast Routine ist.

Und dann würde niemand sagen, du bist beim Bergsteigen abgestürzt? Find ich schwach von dir. Die Prüfung nächste Woche kannst du trotzdem mitschreiben, oder? Niemand würde sagen, mit dem Keuchhusten willst du zum Arzt? Damit kommst du doch wohl selber klar.

Wir sollten unsere mentale Erkältung ernst nehmen und psychischen Husten normalisieren. Erst wenn wir unseren Husten ernst nehmen, können wir erkennen, wenn daraus eine Lungenentzündung wird.

Es muss nicht immer alles erst richtig schlimm werden, bevor man im Bett bleiben darf. Denn was man nicht auskuriert, verschleppt man.


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