Gastautorin Aida arbeitet als Sozialpädagogin in der ambulanten Hilfe zur Erziehung und Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter. Ein Bericht über ihre Erfahrungen mit zwei verschiedenen Asylpolitiken.
von Aida Dzvakeryan
In den Jahren 2015 und 2016 füllten fast täglich Schlagzeilen über die Flüchtlingskrise die Zeitungen und Nachrichten in Deutschland. Nun, sechseinhalb Jahre später, erleben wir eine erneute Krise, jedoch mit Geflüchteten aus Europa. Bei meiner Arbeit im Jahr 2016 in der ambulanten Flüchtlingshilfe und der Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten ist seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine ein überwältigender Unterschied im Umgang mit Geflüchteten zu sehen. Zu Beginn möchte ich darauf hinweisen, dass die Benennung unterschiedlicher Umgangsweisen nicht bedeutet, Gruppen gegeneinander auszuspielen. Es geht mir vielmehr um die Benennung von Doppelmoral, um diese aufzubrechen. Meine Arbeit in der ambulanten Betreuung von Geflüchteten bestand vor allem darin, sie bei der Integration in Deutschland
zu unterstützen. Meine Klient:innen sind vor Terror, Verfolgung und Krieg geflohen. Sie lebten in ihrer Heimat unter äußerst menschenunwürdigen Bedingungen. Sie sind nach Deutschland gekommen, da sie sich ein friedliches und besseres Leben erhofft haben. Sie alle verbindet eins: Sie glaubten an ein Europa, das die Menschenrechte und Menschenwürde achtet und schützt. Von Anfang an konnte ich beobachten, dass für meine Klient:innen das Asylverfahren, jeder Gang zur Ausländerbehörde und die Duldungsanträge traumatische Eindrücke hinterlassen haben. Durch die behördliche Willkür, die den Menschen jedes Mal aufs Neue entgegengebracht wurde, das Kopfschütteln der Mitarbeiter:innen, die herablassenden Blicke, haben sich meine Klient:innen sowie viele andere Geflüchtete Schutzmechanismen angeeignet – Gewohnheiten, um nicht aufzufallen, um brav und ordentlich zu erscheinen. Die Methoden, mit welchen sie unter Druck gesetzt wurden, Unterlagen und Identifikationspapiere zu beschaffen, welche nahezu unmöglich zu besorgen waren, empfand ich als ablehnend und beängstigend. Lagen keine Unterlagen vor, gab es keine Arbeitserlaubnis. Würden sie jedoch alle Dokumente offenbaren, wäre das Risiko einer unvorhersehbaren Abschiebung immens – ein Zwiespalt. Abschiebungen geschahen häufig nachts mit großem Polizeieinsatz, ohne Verabschiedung, ohne Gepäck, ohne Rechte. Das ist weit entfernt von dem erhofften und sicheren Leben
unter Menschenrechten und Menschenwürde. Anstatt mit der Chance auf ein besseres Leben aufgenommen zu werden, lässt der Geduldeten-Status einen mit der Angst leben, täglich abgeschoben zu werden. Ukrainische Geflüchtete erhalten dagegen nach ihrer Ankunft in Deutschland Asyl, ohne ein formales Asylverfahren durchlaufen zu müssen. Das garantiert einen freien Zugang zu allen Institutionen des selbstständigen Lebens. Beispielsweise habe ich erlebt, dass die gesamten bürokratischen Anforderungen an die von mir begleiteten Geflüchteten innerhalb von drei Tagen erledigt werden konnten. Auffallend war für mich, wie herzlich und offen sie in der Ausländerbehörde empfangen wurden von zuvorkommenden (fast übertrieben freundlichen) Mitarbeiter:innen. Nachdem sie den Antrag auf Sozialleistungen unterschrieben hatten, konnten sie unmittelbar danach den Scheck dafür abholen. Die ukrainischen Geflüchteten mussten sich auch um keine Dolmetscher:innen kümmern. Im Gegensatz zu Geflüchteten anderer Erdteile steht es den ukrainischen Geflüchteten frei zu entscheiden, wo sie leben möchten. Sie unterliegen keiner sogenannten ‚Residenzpflicht‘, was bedeutet, dass sie sich ausschließlich in dem von der zuständigen Behörde festgelegten Bereich aufhalten dürfen. Auf meine Nachfrage in der Ausländerbehörde antwortete man mir: „Die sind was anderes“. Es wird für mich deutlich, dass bei den ukrainischen Geflüchteten die Integration gefördert, während sie Asylsuchenden anderer Länder erschwert wird, indem sie lediglich eine ‚Duldung‘ erhalten und auf einen Aufenthaltstitel jahrelang warten müssen. In dieser langen Zeit haben sie eingeschränkten Zugang zu Bildung und dem Arbeitsmarkt. Der Begriff ‚Duldung“‚impliziert meines Erachtens einen minderwertigen Status. Bedeutet das, dass diese Menschen ‚minderwertige‘ Geflüchtete sind? Das Ganze ist eindeutig rassistisch und entspringt einem patriarchalischen Verständnis davon, was ein:e Geflüchtete:r ist. Wo will man hinsehen beim Thema Gerechtigkeit und wo eben nicht? Mit wem will man solidarisch sein? Was will man in dieser Welt verändern und für wen – nur für sich selbst? Oder für alle, die einem möglichst ähnlich sind? Oder für möglichst viele, egal, wie ähnlich sie einem sind? An einer Grenze nehmen wir Geflüchtete, die vor dem Krieg fliehen, mit offenem Herzen auf. An der anderen drängen wir sie hinter die Drähte, was Leid und zu oft den Tod verursacht.
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