Das Rudolstadt-Festival wird von zwei antisemitistischen Fällen getrübt. Warum es möglich sein sollte, ein solches Festival ohne einschlägig antisemitische Konnotation stattfinden zu lassen – aber nicht ist.
anonym
Einmal im Jahr bricht die Kleinstadt Rudolstadt aus ihrer für Kleinstädte gewöhnlichen Ereignislosigkeit aus, um für vier Tage zum Festivalgelände zu mutieren. Nun findet nach zwei Jahren des schwer zu ertragenden Ausfalls das ehemals als Tanz- und Folkfest bezeichnete – und nun ins weniger universalistisch aber dafür um einiges unpopulärerer klingende Rudolstadt-Festival umbenannte Ereignis zum 30. Mal statt. Mit jedem neuen Fest wird auch ein neuer Regionenschwerpunkt gesetzt, diesmal waren es die Staaten Ex-Jugoslawiens.
Von Liedermachern über Blues bis zum ehemals namensgebendem Folk ist alles in unterschiedlichsten Variationen gegeben. Die Entscheidung fällt schwer zwischen Straßenmusikern, die überall in der Stadt verteilt auf Kleinbühnen oder am Wegesrand musizieren und den Künstlern, die auf den insgesamt 13 größeren Bühnen spielen. Glücklicherweise treten die Straßenmusiker mehrfach über das Wochenende verteilt auf, sodass mit intensiver Vorbereitung, einschließlich des Anhörens der angekündigten Künstler und des Erstellens eines individuellen Plans mithilfe des Programmhefts auch fast allen Interessen nachgegangen werden kann. Natürlich kann diese Art des Festivalbesuchs – bei dem ein Alleingang dringend empfohlen wird – in unterschiedlichen Intensitätsgraden bestritten werden. Die andere Alternative ist das konsequente Treibenlassen, das darin besteht, einfach den durch die Straßen schallenden, gefälligen Klängen bis zum Künstler zu folgen und dort zu verweilen. Hier läuft man natürlich Gefahr, in eine Spirale des Zuspätkommens hineinzugeraten, also nur die letzten Töne einer Band
zu erhaschen, von der man eigentlich gern ein ganzes Konzert miterlebt hätte. Das Nahrungsangebot bietet für mitunter stolze Preise die üblichen Verdächtigen wie Crêpe, Lángos und Kartoffeln in allen Variationen, hin und wieder findet sich auch ein ayurvedischer Stand. Für Getränke ist ebenfalls gesorgt und die ein oder andere Geruchsnote, die durch den leichten Wind an einen herangetragen wird, lässt auch auf Genussmittel anderer Art schließen. Dennoch trübten zwei Fälle das Wochenende: Es muss doch möglich sein, ein solches Festival ohne einschlägig antisemitische Konnotation stattfinden zu lassen. Zum Ersten geht es um die Band 47 Soul, deren Antizionismus mindestens genauso beißend, wie ihre Musik mitreißend ist. Nicht nur ihr Name stellt eine bewusste Glorifizierung der Jahre vor
der Gründung Israels dar, in einem Interview mit der taz aus dem Jahre 2018 zieht die Band Vergleiche zwischen Israel und dem NS-Regime, verunglimpfen Israel als Aparthheitsstaat und kolonialistisches Projekt und sprechen ihm die Existenzberechtigung ab. Die Band wünscht sich hingegen ein Großsyrien, in dem sie endlich vor der – man lasse sich das Wort und seine Bedeutung auf der Zunge zergehen – autochthonen Bevölkerung ungestört auftreten kann (https://taz.de/Muessen-Sie-das-wissen/!5491800/). Im Programm des Festivals werden diese israelfeindlichen Positionen so verhandelt: „Gesungen wird auf Arabisch und Englisch, und das über durchaus relevante Themen: Flucht und Vertreibung, die Freiheit Palästinas, die bittere Realität nach dem „Arabischen Frühling“: Zu der Musik von 47Soul soll das Publikum ausgelassen tanzen, sich aber auch daran erinnern, was in der Welt passiert“ (https://www.rudolstadt-festival.de/programm/konzert/artist/id-47-soul.html). Aha, Israeldämonisierung zu gut tanzbaren Beats. Im Vorhinein gab es Protest von mehreren Seiten, einmal von der Sprecherin für Antifaschismus und Antirassismus der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag Katharina König-Preuß und dem Rudolstädter Mario Möller, der einen offenen
Brief an die Veranstalter schickte. Beides blieb ohne Konsequenzen, der Auftritt fand wie geplant statt und die israelfeindliche Positionierung wurde auch in der An- und Abmoderation effektiv beschwiegen.
Der andere Fall ist die Auszeichnung des Journalisten Christoph Dieckmann mit dem RUTH-Musikpreis; ein Preis, den das Rudolstadt-Festival für besonderen Einsatz für Welt- und Folkmusik vergibt. Hier war es offenbar kein Hindernis, dass Dieckmann im Jahre 2001 in der Zeit zum Anlass des 9. Novembers und nach einem Besuch in Auschwitz die Juden selbst für den antisemitischen Wahn, von dem sie bedroht sind, verantwortlich macht, die vermeintliche Exklusivität des Judentums anprangert und davon gleich auf die mörderische Politik Israels schließt, um dann festzuhalten, dass ‚blinde Parteigängerei für Israel‘ unvertretbar ist (https://www.zeit.de/2001/46/Gottesvolk_und_Kriegstrompeten).
Gerade ein Musikfestival mit dem Schwerpunkt Weltmusik ist mal wieder eine gute Gelegenheit, sich ein ganzes Wochenende westlicher Zivilisationsmüdigkeit und damit einhergehender antisemitisch aufgeladener Modernitätsfeindlichkeit hinzugeben, umso aufmerksamer hätte die Auswahl der Musiker und Preisträger vorgenommen werden müssen. Die Ignoranz (oder schlimmstenfalls sogar Befürwortung) der Veranstalter gegenüber isrealbezogenem Antisemitismus ist gerade wenige Wochen nach dem Eklat um eben dieser Ideologie zuzurechnenden Kunstwerke auf der Documenta 15 nicht zu entschuldigen und wirft einen Schatten über die gesamte Veranstaltung.
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