Hundstage im nordfriesischen Wald – ein Widerspruch?

Wenn wir an Waldsterben denken, assoziieren wir damit meist Hitze und Trockenheit. Doch auch in der eigentlich eher kühleren Region Nordfriesland tritt diese Naturkatastrophe nun auf. Ein nordfriesischer Förster hat sich mit den verschiedenen Faktoren für die Verringerung und Veränderung des Waldbestandes und dessen Bedeutung auseinandergesetzt.von Dietmar Steenbuck

Hundstage im Wald? Mir fällt gleich eine Begegnung mit einer Waldbesucherin und ihren fünf freilaufenden großen Hunden ein. Höflich von mir darauf angesprochen, reagierte sie super aggressiv, ein Hund versucht an mir hochzuspringen: mir wird heiß. Ich denke an eine kürzlich veröffentlichte belgische Studie, die die Überdüngung von Wegrändern in Naturschutzgebieten durch Hundehinterlassenschaften thematisierte. Aber nein – Thema verfehlt. Es sind ja die heißen Spätsommertage gemeint. Schlagartig wird mir klar, dass ich als nordfriesischer Förster eigentlich völlig ungeeignet bin, um über dieses Thema zu schreiben. Die Klimaverhältnisse in Nordfriesland sorgen bei meiner Kollegin, die in Thüringen studiert hat, in regelmäßigen Abständen für Unmut und statt der heißen Hundstage gibt es ihrer Meinung nach eher jene, an denen man keinen Hund vor die Tür jagen möchte. Sprich im meerumschlungenen nördlichen Schleswig-Holstein, wo man meist noch im heißesten Sommer durch eine leichte Brise von Nord- und Ostsee etwas Kühlung erfährt, wird es selten so richtig heiß und wer in den Wald geht sucht nicht den Schatten sondern allenfalls den Schutz vor dem Wind.

Im Sommer 2018 war es dann aber doch mal wieder so weit und selbst in Nordfriesland schmerzte es in den Wald zu gehen, weil man förmlich spürte, wie die Bäume nach Wasser schrien. Trotzdem waren wiederum Trockenheit und Hitze weniger extrem als im Süden und Osten der Republik.

Dort kam es, wie es kommen musste, wenn ein Grundbestand an Fichtenborkenkäfern (Ips typographus), dessen Bestand sich bereits an vielen vom Wind geworfenen Bäumen aufbauen konnte, durch zwei warme Sommer mehrfach zur Eiablage kommen konnte, und die durch die Trockenheit geschwächte Rotfichte nicht mehr in der Lage ist, sich durch Absonderung von Harz gegen den Käfer zu wehren. In Millionen von Rammelkammern fanden Fichtenborkenkäfer (auch Buchdrucker genannt) ihr Liebesglück und die Weibchen legten entlang von 2-3 Muttergängen ihre Eier ab. Die sich daraus entwickelnden Larven fraßen sich von dort im rechten Winkel bis zu ihrer Verpuppung durch die Rinde, was zum Absterben von Rotfichtenwäldern auf einer Fläche von über 300.000 ha führte.

Das blieb uns in Nordfriesland zum Glück erspart. Erstens gibt es hier gar nicht so viel Wald wie anderswo abstarb und zweitens kommt die Rotfichte ohnehin kaum noch vor. Das haben wir sozusagen schon hinter uns. Bereits nach den ersten Anbauversuchen im 19. Jahrhundert mussten viele Kollegen erkennen, dass die hiesigen Bedingungen der Rotfichte nicht so zuträglich sind und entschieden sich eher für andere Baumarten, wie zum Beispiel der nordwestpazifikerprobten Sitkafichte. Die leidet zwar auch unter der Trockenheit und die Sitkafichtenröhrenlaus machte ihr kürzlich arg zu schaffen, aber ihr ‚persönlicher‘ Borkenkäfer, der Riesenbastkäfer, klingt zwar gefährlich, neigt aber nicht so stark zu Massenvermehrungen wie der erwähnte Buchdrucker.

In Nordfriesland ist für die hiesigen Wälder normalerweise die steife Brise, ihre stürmischen Auswüchse und wie man sich davor schützt bedeutsamer. Die Bäume selbst passen sich durch ein vermindertes Höhenwachstum an die jeweiligen Verhältnisse an. Während zum Beispiel ein Kiefernwald nördlich von Kampen mit seinen über 100 Jahre alten Kiefern (P. sylvestris) noch immer nicht über 2,5 m hoch gewachsen ist, gibt es in größeren Waldbeständen auf dem nordfriesischen Festland einzelne Sitkafichten, die im gleichen Zeitraum über 35 m hoch erwachsen sind. Die Friesen haben ähnlich reagiert und ihre Häuser traditionell eher niedrig gebaut. Außerdem haben sie irgendwann angefangen ihre Höfe von einem Gehölz zu umgeben, damit sich um Hof und Garten ein windgeschützter warmer Bereich bildet (Sehnsucht nach Hundstagen?). Dieser ist allerdings bedroht, denn nachdem zuerst die dort ehemals häufigen Ulmen abgestorben sind (Ulmensterben), trifft es derzeit die Eschen (Eschentriebsterben), sodass die Auswahl an heimischen Bäumen, die ein Förster hat, wenn er überlegt, welche Bäume er pflanzen lassen soll, langsam knapp wird, zumal ja jede Baumart mehr oder weniger spezifische Ansprüche an ihren Standort hat. Ohnehin gibt es in nördlich der Alpen vergleichsweise wenige heimische Baumarten, denn diverse Eiszeiten haben in den letzten 2 Millionen Jahren für ein ziemliches Hin- und Her-‚Wandern‘ der Bäume zwischen ihren eiszeitlichen Refugien und den Verbreitungsgebieten während der Warmzeiten gesorgt. Viele Baumarten sind dabei auf dem Weg über die von Ost nach West streifenden Gebirge auf der Strecke geblieben.

Aber was ist eigentlich ‚geeignet‘? Das gewichtet naturgemäß jeder aus seiner Sicht. Ich denke an eine Vorlesung aus meiner Unizeit: Die Funktionen des Waldes – Lebensraum für tausende Tier-, Pflanzen- und Pilzarten, Versorgung mit hoffentlich nachwachsendem Holz für unglaublich viele Zwecke, Erholungsort, Arbeitsstätte, CO2 Senke, Windschutz, Trinkwasser, Luftqualität, Jagd… Eine eierlegenden Wollmilchsau erscheint vor meinem inneren Auge.

Und nun auch noch der Klimawandel! Werden unsere heimischen Bäume bald noch heimisch sein? Verschiebt sich alles nach Norden? Mein syrischer Nachbar hat auf seinem waldartig verwilderten Grundstück sämtlichen Unterbusch entfernt, sodass man jetzt, wenn es denn so heiß, wie in seiner Heimat würde, im Schatten der verbliebenen immergrünen Bäume lustwandeln und ruhen könnte, statt sich der prallen Sonne auszusetzen – eine Gewohnheit oder visionär? Müsste man bald Bäume pflanzen, die eigentlich eher in weiter südlich gelegenen Gefilden vorkommen und was ist mit den vielen Pflanzen, Tieren und Pilzen, die mit diesen heimischen Baumarten zusammenleben? Sollten wir in Deutschland bald Steineichen schützen, weil es diesen in Spanien zu trocken wird? Fragen über Fragen.

Wir müssen uns bemühen auf Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen, das Beste für den Wald zu tun, auch wenn sich diese Erkenntnisse sowie die Erwartungshaltung an den Wald im steten Wandel befinden, gibt es dazu keine Alternative. Bäume stehen recht lange, nachdem sie gepflanzt wurden und die Kriterien nach denen ein früherer Kollege die zu pflanzende Baumart auswählte, haben sich nicht selten nach einiger Zeit überholt. Bei einer Waldführung letzten Sonntag zum Beispiel passierten wir einen Bestand mit über 200 jährigen Eichen, die im damals königlich dänischen Wald angesät wurden. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Forstbeamte damals dachte, dass diese Eichen einmal wertvolles Holz für den Flottenbau Dänemarks liefern könnten, denn diese war 1801 gerade durch die Engländer vernichtet worden.

Zu manchen Zeiten war es das vermeintlich Beste, jede Menge Rotfichten weit über ihr natürliches Verbreitungsgebiet hinaus zu pflanzen. Gründe dafür waren, dass man überhaupt erstmal wieder Wald anlegen musste, kein anderes Pflanzmaterial zur Verfügung stand und jede Menge Bauholz benötigt wurde.

Auch wenn man sich vielleicht manchmal eine Art ‚Walddiktator‘ wünscht, der allen ignoranten Waldeigentümern befiehlt, was jetzt am besten ist, kann es auch eine gewisse Vielfalt bringen, wenn einige nicht so am Puls der Zeit sind und vermeintliche Fehler bei ihrer Waldbewirtschaftung begehen oder andere Ziele in den Vordergrund stellen, die sich später vielleicht als günstig erweisen.

Während also an den riesigen Schadflächen der Fichte auch vermeintliche Fehlentscheidungen des Menschen beteiligt sind, kann man dies für die Probleme, die derzeit auch für die ‚Mutter des Waldes‘, der Rotbuche, bestehen, nicht so sagen. Die extreme Trockenheit und Hitze 2018/19 führten, wenn auch nicht in solchen großen Ausmaßen, regional zu gravierenden Schäden. In Nordfriesland mit seinem bereits beschriebenen Klima gab es diese Probleme nicht. Aber Vorsicht: wenn es richtig dumm läuft und der Meeresspiegel irgendwann höher als die Deiche steigt, wird es in Nordfriesland allenfalls noch See-Hundstage‘ geben.

 

Dietmar Steenbuck
ist Forstdiplom-Ingenieur. Nachdem er in der Waldpädagogik und der Entwicklungszusammenarbeit (Chile) gearbeitet hat, vertritt er heute die Forstbehörde für die Landkreise Nordfriesland und Dithmarschen.


Beitrag veröffentlicht

in

,

von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert