In der Diskussion um adäquate Maßnahmen des Klimaschutzes positioniert sich die Divestmentkampagne mit einem klaren Statement gegen die Macht unkontrollierter Riesenkonzerne. Wir haben mit Sarah Lange von Fossil Free Münster darüber gesprochen, wie sie als Teil einer demokratischen Basisbewegung die Welt gemeinsam ein Stück klimagerechter machen will.
unique: Wie funktioniert Divestment und wie setzt ihr das bei euch um? Welche Ziele priorisiert ihr für Divestment?
Sarah Lange: Divestment ist das Gegenteil von Investment. Es geht uns darum, gewisse Anlagen oder Aktien aus bestimmten, beispielsweise ethischen Gründen, auszuschließen, um gesamtgesellschaftliche Veränderungen zu bewirken. Wir als Fossil Free möchten erreichen, dass fossile Energieträger keine profitablen Investitionsquellen mehr darstellen. Wir wollen, dass die Städte, Unternehmen, Bundesländer und Versicherungsunternehmen sagen: Wir wollen damit nichts zu tun haben. Gerade bei öffentlichen Institutionen ist es widersprüchlich, wenn sie den Kohleausstieg gesetzlich vorschreiben, aber mit Aktien am Profit mit fossilen Energieträgern beteiligt sind.Der große Gedanke bei Divestment ist: Wenn es falsch ist, das Klima zu zerstören, ist es auch falsch, von dieser Zerstörung zu profitieren.
Grundsätzlich hoffen wir, dass allgemein sowohl bei öffentlichen Einrichtungen und Staaten, als auch bei Privatpersonen das Bewusstsein dafür gestärkt wird, dass Aktien nicht einfach Geldanlagen sind, sondern dahinter Unternehmen stecken, die durchaus einen großen Einfluss auf unsere Umwelt und unsere Gesellschaft haben. Und dass sie sich dementsprechend gut überlegen, welchen dieser Unternehmen sie ihr Geld zur Verfügung stellen und damit Verantwortung übernehmen.
Was sind regional die aktuellen Ziele von Fossil Free Münster und wie hängt eure Kampagne mit dem Energieversorgungskonzern Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk (RWE) zusammen?
Viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen haben RWE-Aktien, daher haben sich einige Gruppen zusammengeschlossen, die unter der Kampagne “Raus aus RWE” gegen den Besitz von RWE-Aktien in ihren Kommunen arbeiten. RWE ist der größte CO₂-Emittent Europas, wodurch allein dieser Konzern einen großen Anteil an der globalen Klimaerhitzung verantwortet. Über Wissensaustausch und gegenseitige Unterstützung hinaus beschließen wir aber auch gemeinsame Aktionen. Unser Ziel ist es, Investition in fossile Energien zu beenden. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hat bereits 25 Prozent seiner RWE-Aktien verkauft. Wir werden nicht aufgeben, bis auch die anderen Aktien folgen. In einem nächsten Schritt hoffen wir, dass Anlagerichtlinien für Kommunen festgelegt werden, die sämtliche Anlagen in klimaschädliche Industrien ausschließen.
Inwiefern arbeitet ihr dabei mit den Ortsgruppen aus anderen Städten zusammen?
Die Ortsgruppe in Berlin erstellt Tools, die auch wir für unsere Arbeit gut gebrauchen können, wie z.B. sogenannte Whitelists, also Listen von Unternehmen, die nicht mit fossilen Energien arbeiten. Grundsätzlich gibt es regelmäßig Community-Calls, wo sich alle Fossil-Free-Gruppen in Deutschland austauschen, gegenseitig inspirieren und informieren können. Auch zwischen Gruppen, die mit ähnlichen Themen wie z.B. Sparkassen arbeiten, erfolgt ein Austausch. Zum Beispiel hat Fossil Free Freiburg vor einigen Jahren nach dem Divestment unserer Universität ihre Hochschule zu einem Ausstieg aus fossilen Energien bewegen können.
Ist es wirtschaftlich überhaupt noch sinnvoll, in fossile Energien zu investieren, wenn Solar- und Windenergien angeblich heute die günstigsten Energieressourcen sind?
Überhaupt nicht. Wir berufen uns auch auf das Argument, dass fossile Energien nicht wirtschaftlich sind und mittlerweile eine Spekulationsblase entstanden ist, weil mehr Geld in fossile Energien fließt als nach dem Pariser Klimaabkommen zugelassen ist. Dieser Eindruck bestätigt sich auch in der Stadt Münster: Tatsächlich hat diese nach ihrem Divestment mehr Rendite erzielt als vorher. Dennoch ist es unser Ziel, mithilfe der Ethik zu argumentieren – denn sogar, wenn es weniger Erträge bringen würde: Divestment bleibt gesamtgesellschaftlich richtig und notwendig.
Denkt man den Ansatz von Divestment konsequent zu Ende, müssten wir doch auch das Geld aus Unternehmen abziehen, die gegen Menschenrechte verstoßen oder Güter aus unethischer Produktion weiterverarbeiten?
Tatsächlich beobachten wir dieses Phänomen sehr häufig. Wenn sich Investoren Gedanken machen, worin sie bedenkenlos investieren möchten, hinterfragen sie automatisch auch, was sie ausschließen sollten. Die Stadt Münster hat vor einigen Jahren nicht nur in fossile Energien deinvestiert, sondern auch in Waffenexporte, Atomenergie, Kinderarbeit und korrupte Akteure. Wir als Fossil Free Münster konzentrieren uns auf dieses Thema, weil es wesentlich effektiver ist, als mit verschiedenen Motiven und Forderungen aufzutreten. Wir wissen, dass es Möglichkeiten gibt, zum Beispiel durch die Whitelist. In dieser sind Firmen aufgelistet, in die bedenkenlos investiert werden kann. Aber wir sehen uns nicht in der Position, dass wir den Institutionen vorschreiben, worin sie ihr Geld investieren. Wir führen grundsätzlich viele Gespräche mit allen EntscheidungsträgerInnen, um zu erklären, warum Divestment so wichtig ist. Aber vor allem geben wir nicht so schnell auf. Wir haben viele Kampagnen, die über Jahre andauern und in denen wir öffentlichen Druck erzeugen. Zum Beispiel sollten Universitäten (mehr) daran interessiert sein, langfristig nachhaltig zu wirtschaften. Aber grundsätzlich möchten wir nur, dass Investitionen in fossile Energien ausgeschlossen werden.
Warum spielt Divestment aus eurer Perspektive insbesondere im universitären Kontext eine große Rolle?
Universitäten sollten unserer Meinung nach an einem Divestment interessiert sein, da sie den Anspruch haben, zukunftsorientiert und wissenschaftsnah zu agieren. Deswegen sollten ihnen die Zusammenhänge zwischen fossilen Brennstoffen und der Klimaerwärmung bewusst sein. Im Gegensatz zu Vermögensverwaltungen und Unternehmen verfolgen sie nicht in erster Linie finanzielle Ziele, sondern orientieren sich am Fortschritt. Laut deutschem Hochschulgesetz dürfen Universitäten – im Gegensatz zu den Universitäten in vielen anderen Ländern – eigentlich auch keine Geldanlagen haben, allerdings umgehen fast alle Hochschulen dieses Gesetz durch unselbstständig verwaltete Stiftungen.
Ein zentrales Argument von Divestment-AktivistInnen ist, dass wir alle in irgendeiner Form von der Investition in fossile Energien profitieren, weil die Gelder unserer Kommunen, Städte und Universitäten daraus stammen. Gibt es für jeden Einzelnen Ansatzpunkte, aus diesem Kreislauf auszusteigen?
Es gibt einige Fossil-Free-Gruppen, z. B. in Lüneburg und Freiburg, die Kampagnen bei verschiedenen Banken führen. Sie versuchen zu erreichen, dass jene mehr nachhaltige Produkte anbieten. Als Einzelner kann man zu Banken wechseln, die nur ökologisch wirtschaften, wie zum Beispiel die GLS Gemeinschaftsbank oder die Umweltbank. Dafür stehen wir mit der Nichtregierungsorganisation „Urgewalt“ für unsere Bankenkampagne in engem Austausch, die Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen aufdeckt.
Die Nachfrage nach fossilen Energien ist so hoch, dass bis jetzt noch keine spürbaren Effekte der Desinvestition sichtbar waren. Du hast oft betont, dass in eurer Kampagne der moralische Aspekt im Vordergrund steht. Wie setzt ihr das durch?
Das hängt von den einzelnen Kampagnen und Städten ab. Wir in Münster haben Das hängt von den einzelnen Kampagnen und Städten ab. Wir in Münster haben RWE als Ziel gehabt. RWE zerstört hier in der Region, genauer gesagt im Rheinland,ganze Wälder und sogar Dörfer zum Abbau von Braunkohle. Daher haben wir unter anderem den Abgeordneten Bilder mit Botschaften aus den riesigen Tagebauen geschickt, die im Rahmen einer Massenaktion der Bewegung „Ende Gelände“ entstanden. Für den Januar zur ersten Sitzung der neuen LWL-Regierung planen wir gemeinsam mit Greenpeace eine Ausstellung zur Dokumentation der bedrohten und inzwischen teils zerstörten Dörfer vor 20 Jahren und aktuell. Es gibt darüber hinaus auch Veranstaltungen, wo Menschen aus dem globalen Süden, die direkt betroffen sind, zu Wort kommen.
Wie eigenständig sind eure lokalen Gruppen und wie viel passiert auf Bundes-, Europa- oder sogar globaler Ebene?
Wir sind sehr graswurzelmäßig organisiert, das heißt die einzelnen Gruppen haben ein hohes Maß an Eigenständigkeit. In Deutschland sind wir inzwischen in mehr als 25 Ortsgruppen vernetzt.Auf Bundesebene arbeiten wir als Fossil Free Deutschland zusammen, welches zur amerikanischen Klimaschutz-Organisation „350.org“ gehört. Letztere unterstützt uns mit Leitfäden und finanziellen Ressourcen. Es gibt Strukturen, die uns helfen, und Supportteams, aber keine konkreten Bestimmungen. Wir als Fossil Free Münster sind sehr selbstständig, da wir vor zwei Jahren den Umweltpreis der Stadt Münster gewonnen haben und uns dadurch finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.
Die Städte Berlin und Münster haben mittlerweile ihre Investitionen von fossilen Energien abgezogen. Was waren bis jetzt die größten Erfolge?
In Münster war unser größter Erfolg die Stadt mit ihrem nachhaltig ausgerichteten Investitionsfond, der Mindeststandards für die Beteiligung an Unternehmen vorschreibt. Auch an der Universität haben wir jahrelang gekämpft und tausende Unterschriften gesammelt, die leider später rechtlich nicht mehr wirksam waren. Wir konnten aber die neue Rektorin von unseren Ideen überzeugen und später auch das Studierendenwerk mit einbeziehen.
Das Interview führte Pauline.
Sarah Lange ist Studentin der Sozialen Arbeit in Halle und engagiert sich seit acht Jahren umweltpolitisch. Aktivisten bei Fossil Free ist sie seit fünf Jahren und hat in diesem Rahmen bereits an zahlreichen Demonstrationen, Bildungsveranstaltungen und Aktionen teilgenommen.
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