Eine leblos ausgeleuchtete Straßenbahn zieht an mir vorüber. Auf der Anzeigetafel verschwimmen die schwachen Schriftzeichen „Betriebsfahrt“ in der Entfernung zu gelbem Brei. Das ist es, das Zeichen, unter dem diese Wochen stehen. Eine Betriebsfahrt des Lebens. Ein Vorsichhinrattern der Menschen. Ein Arrangieren mit der Funktionalität.
von Stefan
Mir klebt noch der latente Biergeschmack des Abends am Gaumen, der sich vom vielen Gelaber etwas taub und gereizt anfühlt. Auch das entschlossene Einsaugen der kalten, schweren Oktoberluft kann daran nichts ändern. Das Echo meiner Schritte auf dem sterilen Bürgersteig hallt von den nackten Wänden der Stadtfassade wider, die die neutral-kalte Kulisse meines Heimwegs bildet. Die Stadt scheint sich genauso wenig für mich zu interessieren wie ich mich für sie. „Der Mensch lebt durch den Kopf“, heißt es. Der echteste Satz, der mir in dieser Nacht durch das Hirn kriecht. Die Realität meiner neuen Umgebung, meiner neuen Heimat, perlt in diesen Tagen so ungehindert und glatt von meiner Wahrnehmung ab wie die eisigen, unzähligen Regentropfen an den dunklen Fenstern, die schlafend an mir vorüberziehen.
Die Gedanken an die Studienjahre vor mir sind so vernebelt und ungenießbar wie der kalte Zigarettenrauch, der mir in den vergangenen Stunden so unachtsam ins Gesicht geblasen wurde. Kein Vergleich zu der beißend-klaren Vergangenheit, die sich immer wieder gnadenlos in mein Denken frisst, die meine Augen und meine Haut überzogen zu haben scheint. Sie vergiftet mich mit der Frage, wie ich alles hinter mir lassen konnte, alles weggeben konnte, um im Austausch nichts als eine muffige Kammer, die mich bei Sonnenaufgang erwartet und ein Getümmel anonymer Körper, die sich des Nachts auf der Suche nach Wohlgefühl zusammenrotten, zu erhalten.
Da werden Namen, Telefonnummern und Speichel ausgetauscht, in der Hoffnung, damit die kommenden Wochen und Monate auszuschmücken – wie man es soeben mit seiner neu bezogenen Wohnung getan hat. Das herbe Bier, das in diesen Nächten so willig die trockenden Studentenkehlen hinunterläuft, scheint die Einsamen aneinanderzukleben und die Angst und die Zweifel zu ertränken.
Eine leblos ausgeleuchtete Straßenbahn zieht an mir vorüber. Der unnachgiebig dahinrollende Koloss stößt gleichgültig verrottende Blätter beiseite, die kraftlos nicht mehr in der Lage waren, sich an den Bäumen, die mich hier so rar umgeben, festzukrallen. Die schwachen Schriftzeichen „Betriebsfahrt“ auf der Anzeigetafel verschwimmen in der Entfernung zu gelbem Brei.
Das ist es, das Zeichen, unter dem diese Wochen stehen. Eine Betriebsfahrt des Lebens. Ein Vorsichhinrattern der Menschen. Ein Arrangieren mit der Funktionalität. Ich füttere das schwere Anlaufen des Betriebsmotors mit meinem kostbaren seelischen Kraftstoff – in der Hoffnung, die Effizienz werde sich erhöhen, die Fahrt leichter, die Aussicht schöner.
Sitze ich am Steuer? Oder auf einem der verschlissenen Sitze, hilflos der Fahrt ausgeliefert, auf die ich mich leichtgläubig eingelassen habe?
Die Bahn ist verschwunden, mein Weg wird wieder von der Nacht gefressen, und ich beginne erneut, die altbekannten Bisse der Vergangenheit im Hirn zu spüren.
Bild: Marco Fieber / unblogbar.org
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