von Thomas Honegger
Not macht bekanntlich erfinderisch. Aber nicht nur die Not, sondern auch die Ästhetik, der menschliche Spieltrieb, die Neugier – und die Bequemlichkeit. Letztere ist wahrscheinlich verantwortlich für das Massenphänomen der Initialwörter. Viele entstanden als Reaktion auf die Einschränkungen und Zwänge, die die SMS-Kommunikation mit den Handys der ersten Generation so mühsam machten. Für die Leser*innen, die nicht mehr mit Nokia, Motorola und Co. vertraut sind: das Eintippen auf der alten Tastatur eines Handys erforderte oftmals ein wiederholtes Drücken der Taste, da die Buchstaben des Alphabets auf acht Tasten verteilt waren. Wollte man z.B. ein ‚o‘ erzeugen, so musste man die ‚mno‘ Taste dreimal drücken. Dies, verbunden mit der ursprünglichen Begrenzung auf 160 Zeichen für eine SMS-Mitteilung, sorgte sehr schnell dafür, dass Abkürzungen erfunden bzw. wiederbelebt wurden. LOL (Laughing Out Loud), IMO/IMHO (In My Opinion/In My Humble Opinion), FYI (For Your Information) – die meisten dieser heute noch üblichen Initialwörter entstanden bzw. verbreiteten sich parallel mit der wachsenden Popularität der schriftlichen Kommunikation über SMS, Chatgruppen und ähnlichen Phänomenen. Meist wurden und werden die Initialwörter wie Fremdwörter behandelt und ohne Übersetzung in den Sprachgebrauch integriert, so dass man LOL auch in deutschen Texten verwendet und niemand käme auf die Idee, LAL (Laut Auf-Lachen) zu schreiben ; – )
Nebst den Initialwörtern begannen auch die sogenannten Emoticons ihren Siegeszug. Obwohl sie bereits im 19. Jahrhundert als typographische Spielereien existierten, bot nun das neue Umfeld der digitalen Kommunikation ideale Bedingungen, um mit Hilfe dieser ursprünglich aus ASCII Zeichen gebildeten Zeichenfolgen die eigenen Stimmungs- und Gefühlszustände anzuzeigen. Die bekanntesten dürften wohl das lächelnde : – ) bzw. das traurige : – ( Gesicht sein – wobei der Kreativität keine Grenzen gesetzt sind und es eine Vielzahl von mehr oder weniger bekannten Varianten gibt: : – p / : – o / : – D. Interessanterweise fand bei den Emoticons zumindest im asiatischen Raum keine unreflektierte Übernahme statt, so dass wir für viele Emoticons asiatische Formen besitzen. Das asiatische ‚lächelnde Gesicht‘ sieht dann eher so aus (^_^) – und auch hier finden wir Varianten für unterschiedliche Gemütsverfassungen: (^_˜) / (+_°)
Mit dem Siegeszug der ‚echten‘ Smartphones sind die meisten der ursprünglichen Gründe für die Verwendung von Abkürzungen verschwunden und die Produktivität in Sachen Initialwörter hat deutlich nachgelassen. Auch die ‚primitiven‘ Emoticons sind immer mehr auf dem Rückzug, seit die Benutzer*innen zwischen unzähligen Smiley-Typen bzw. Kaomojis und Emojis zu allen möglichen und unmöglichen Themen wählen können. Nicht zuletzt sterben die alten Emoticons vielleicht auch deshalb aus, weil man aktiv gegen die Schreibhilfen der Textverarbeitungsprogramme ankämpfen muss, wenn man ein gutes altes ASCII Emoticon schreiben möchte: selbst mein Word-Programm wandelt meinen Smiley : – ) automatisch in 🙂 um – was mich 🙁 macht.
Über die Entwicklung von Initialwörtern und Emoticons in der elektronischen Kommunikation schreibt Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena.
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