Nach über 25 Jahren Bürgerkrieg befindet sich der Inselstaat in einer Reformphase. Was könnte das heterogene Land in Vielseitigkeit vereinen? Unser Autor hat mit der Gesellschaft für die Vereinten Nationen Sri Lanka besucht.
von Stefan Wünsche
Wenn man den internationalen Flughafen Sri Lankas nahe Colombo verlässt und mit den Taxifahrern den Preis verhandelt, gestaltet sich bereits das „Guten Tag“ in der Landesprache problematisch: Es ist nicht klar, ob man „Ayubowan“ auf Singhalesisch oder „Vanakkan“ auf Tamilisch sagen sollte. Ein Land mit zwei Amtssprachen und Englisch als inoffizieller Verkehrs- und Verwaltungssprache ist weltweit betrachtet keine Seltenheit. Allerdings ist die Zweisprachigkeit stellvertretend für den Hauptkonflikt des Inselstaats: die Rivalität zwischen der singalesischen Bevölkerungsmehrheit und der größten Minderheit, den Tamilen. Diese mündete letztendlich in einen Bürgerkrieg.
Nach der Unabhängigkeit Ceylons im Jahre 1948, wie Sri Lanka im britischen Kolonialreich hieß, entwickelte sich Colombo nicht nur zum politischen Zentrum der Insel, sondern in Richtung eines Schmelztiegels der unterschiedlichen Ethnien und Religionen. Hier treffen buddhistische Singalesen auf hinduistische oder muslimische Tamilen, auf in der Kolonialzeit eingewanderte indische Tamilen oder Malaien. Einzig christliche Minoritäten finden sich in fast jeder Ethnie. Die Vermischung der Bevölkerungsgruppen in der Hauptstadt ist jedoch eher eine Ausnahme im Inselstaat, da ein verpasster Interessenausgleich zwischen den heterogenen Ethnien gegenseitiges Misstrauen und geographische Teilung fortwährend begünstigte. Diese gesellschaftliche Spaltung mündete Anfang der 80er Jahre in einen 25-jährigen Bürgerkrieg zwischen Singalesen und Tamilen im Norden und Osten des Landes. Die Sri-Lanka-Tamilen forderten mehr Autonomie und wirtschaftliche Beteiligung gegenüber der singhalesischen Mehrheitsbevölkerung. Aber auch religiöse Streitpunkte, wie die Sonderstellung des Buddhismus, oder die selbstgewählte Abgrenzung muslimischer Tamilen, verstärkte die Verbitterung auf allen Seiten. Die bewaffneten Auseinandersetzungen forderten 100.000 zivile Opfer, um die 40.000 alleine in den letzten drei Kriegsjahren. Laut Regierungstruppen wurde die gesamte Führungselite der Unabhängigkeitsbewegung Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) 2009 erschossen und durch die militärische Besetzung der Regionen der Krieg einseitig für beendet erklärt. Dieses Ergebnis bildete die denkbar schlechteste Ausgangssituation für eine nachhaltige Aufarbeitung des Konfliktes. Mit der Wahl des weniger autoritär auftretenden Präsidenten Sirisena im Jahr 2015 und dem Amtsantritt einer sogenannten Einheitsregierung im darauffolgenden Jahr gingen zahlreiche Hoffnungen einher, unter anderem auf nationale Versöhnung, Verfolgung von Kriegsverbrechen und einer Verfassungsreform hin zu einem föderativen Staatscharakter. Jedoch können die Reformen nicht schnell genug umgesetzt werden. Vereinzelt reißen durch radikale Gruppen ausgelöste religiöse und ethische Spannungen alte Wunden wieder auf.
Die Kontraste im Inselstaat
Das Zentrum der tamilischen Unabhängigkeitsbewegung lag in der Nordprovinz. Die Züge in die Provinzhauptstadt Jaffna sind über Wochen hinaus ausgebucht und der durch das Militär organsierte Flugverkehr aufgrund von Sicherheitsmängeln eingestellt. Ein über die UN organisierter Kleinbus ist der einzige Weg zum Ziel: etwa 400 Kilometer in neun Stunden. TukTuks eröffnen auf den gebirgigen Landstraßen eine dritte und vierte Fahrspur. Immer mehr teilnahmslos blickende Kühe werden elementarer Bestandteil des Straßenverkehrs. In der Nordprovinz herrscht vergleichsweise hohe Militärpräsenz; die improvisierten Verkehrskontrollpunkte und die Zutrittsbeschränkungen in einigen Landesteilen – aufgrund von Minen und gesperrten Gebieten – erschweren das Vorankommen. Der Kontrast zwischen der de-facto Hauptstadt Colombo und der ökonomisch schwächsten Region Sri Lankas könnte kaum größer sein. Auch die Provinzhauptstadt Jaffna ist eine pulsierende Stadt, jedoch sind die Spuren des Bürgerkriegs noch deutlich sichtbar. Einschusslöcher an den Hauswänden und die Ruinen von kulturhistorischen Stätten sind Abbilder der fehlenden Aufarbeitung des Konflikts. Das durch Kriegshandlungen zerstörte portugiesische Fort wird für potentielle Touristen renoviert. Die ehemalige öffentliche Bibliothek, bei deren Verwüstung durch einen singalesischen Mob nicht nur Menschen starben, sondern auch altertümliche Manuskripte verloren gingen, ist jedoch weder touristisch noch erinnerungspolitisch nutzbar. Lediglich ein Schild weist die Ruine als „Archäologische Stätte“ aus. Die Bibliothek ist eines der Beispiele dafür, dass kein Vorankommen möglich ist, wenn ehemalige Konfliktparteien um die Deutungshoheit kämpfen.
Die Versorgung mit Konsumgütern und Baustoffen ist aufgrund fehlender Transportwege und niedriger Kaufkraft der Einwohner in den ehemaligen Rebellenprovinzen beschränkt, da auch der florierende Tourismus des Inselstaates nicht bis in den Norden vordringt. Die Bauern befinden sich in einem ungleichen Wettbewerb mit den durch das Militär verwalteten Unternehmen und Farmen. Sowohl private als auch öffentliche Investitionen fehlen in den ländlichen Regionen. Finanzielle Unterstützung kommt vor allem aus der Diaspora, welche je nach Quelle ein bis zwei Millionen Menschen umfassen soll. Die lokale Administration kann wenig für die Region erreichen, da die Kompetenzen beim Zentralstaat liegen. Dabei würden stärkere föderale Strukturen einerseits weniger Bürokratie und damit einhergehende Korruption bedeuten, was zu mehr wirtschaftlicher Prosperität führen sollte. Andererseits haben Föderalismus- und Autonomiereglungen in anderen Staaten zur Eindämmung von Unabhängigkeitsbestrebungen geführt.
Verfassungsreform als politisches Minenfeld
Die momentane Verwaltungsstruktur des Landes besteht aus neun Provinzen, die wiederum in Distrikte und Sekretariatsbereiche unterteilt sind. Dabei finden sich nur auf Provinzebene eigenständige gewählte Strukturen, die beiden untergeordneten Verwaltungsebenen unterstehen wieder der Zentralregierung in Colombo. Obwohl seit 2013 auch in der Nordprovinz wieder Wahlen für den Provinzrat stattfinden, wird die Exekutive in den Provinzen jedoch durch den Gouverneur verkörpert – ernannt für fünf Jahre durch den Präsidenten und ohne Amtszeitbeschränkung. Der direkt gewählte Chief Minister (ähnlich einem Ministerpräsidenten), als Vorsitzender des Provinzrates, hat nur eine beratende Funktion. Diese Konstellation führt zu einer starken Abhängigkeit von dem Präsidenten auf allen Ebenen. Deshalb sind föderale Reformen – auch durch potentielle Profiteure – schlecht einzufordern, da damit jeder direkt abhängige Entscheidungsträger seine politische Karriere aufs Spiel setzt. Die Loyalität aller Exekutivebenen, bis auf den Chief Minister, gilt somit der Zentralregierung und nicht den Provinzen.
Durch diese Abhängigkeit von der Zentralregierung, entsteht ein weiteres Problem: Ohne Zustimmung aus Colombo können selbst kleinere Projekte aufgrund von mangelndem Budget nicht durchgeführt werden, weshalb über Priorisierung oder Genehmigungsverfahren zusätzlich Druck auf die lokale Administration ausgeübt werden kann. Einziger Trumpf der Provinzregierung gegenüber den vom Präsidenten ernannten Provinz-Gouverneuren ist ihre Legitimation durch direkte Wahl. Jedoch folgt daraus in der Praxis keine Durchsetzung der ohnehin geringen Kompetenzen und selbst die Provinzwahlen sind in mehreren Gebieten überfällig. Angesprochen auf eine mögliche Verfassungsreform äußerte der 2018 noch amtierende Chief Minister der Nordprovinz Vigneshwaran, dass eine Stärkung föderaler Strukturen nutzlos sei, weil ja nicht einmal bereits geltende Rechte und Kompetenzen respektiert werden.
Die Rolle des Militärs – Ein Staat im Staat?
Das politische Vakuum wird vielfach durch die Militärs ausgefüllt, welche den übergeordneten Zielen Wiederaufbau, Wiederansiedlung, Rehabilitierung, Integration und Aussöhnung nachgehen. Die Abwesenheit von NGOs sieht die Armee nicht als Problem, da soziale Vorzeigeprojekte wie die Verteilung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Unterstützung von Bauern, die Wiederansiedlung Vertriebener, der Wohnungsbau und medizinische Versorgung die Lücken bei zivilen Strukturen und internationaler Unterstützung schließen würden. Dabei scheinen viele Maßnahmen symbolisch oder sogar unfreiwillig grotesk, wie beispielweise eine Lotterie für Stipendien oder andere erweiterte Sozialleistungen. Kritik am Militär als Betreiber von Agrarbetrieben, Restaurants und Hotels auf im Bürgerkrieg beschlagnahmten Besitztümern wird mit Verweis auf eine gemeinnützige Verwendung der Gewinne abgetan. Ein weiteres Prestigeobjekt ist die Integration von lokalen Tamilen in die Armee, obwohl es sich auf Nachfrage bei der lokalen Militäradministration um weniger als 200 der in den Nord-Ost-Provinzen stationierten circa 10.000 Soldaten handelt. Das geht mit Aussagen lokaler Geschäftsleute und des Chief Minister einher, dass der Konflikt zwar militärisch beigelegt, aber keine Gleichberechtigung in administrativer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht erreicht sei. Der Konflikt ist in den Köpfen vieler Menschen noch nicht beendet und eine Zusammenarbeit funktioniert bisher nur in der Theorie.
Neue Konflikte und die Rolle der UN
Die fehlende Aufarbeitung des Bürgerkriegs wird zudem durch eine weitere Konfliktline ergänzt. Die mehrheitlich buddhistischen Singhalesen und die hinduistischen Tamilen eint oft die Ablehnung der muslimischen Tamilen, auch Moors genannt, welche sich als eigenständige Ethnie begreifen. Seit Ende des Bürgerkriegs vor zehn Jahren haben radikale buddhistische Organisationen begonnen, antimuslimische Einstellungen und Vorurteile zu fördern. Im Südwesten der Insel kam es im Jahr 2014 zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Buddhisten und Muslimen, ebenso 2018 im Zentrum des Landes. Gleichzeitig radikalisierte sich ein Teil der Muslime zusehends. An Ostern diesen Jahres verübten ortsansässige Islamisten Bombenanschläge auf mehrere christliche Gotteshäuser und Luxushotels, weshalb sich die Anspannungen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen zuspitzen. Die Fokussierung auf Reformen sowie die Etablierung einer gemeinsamen Erinnerungskultur rücken in weite Ferne, während die mit der Sicherheitslage begründeten Ausnahmereglungen zunehmen.
Die internationale Gemeinschaft kann bei dem zentralen Konfliktpunkt einer föderalen Verfassung wenig bewirken und fordert selbst in einer diesbezüglichen Resolution des UN-Menschenrechtsrates im Jahr 2015 nur eine Stärkung der zivilen Verwaltung in den Nord- und Ostprovinzen und die Einhaltung von Presse- und Religionsfreiheit. Eine UN-Friedenstruppe wie in der Westsahara oder dem Sudan existierte während des Bürgerkrieges nicht. Die alltägliche Arbeit der UN beschränkt sich hauptsächlich auf eine Reihe von Sonderorganisationen wie der Food and Agriculture Organization und International Labour Organisation, die teils seit mehr als 60 Jahren im Land präsent sind. Dabei liegt der Fokus auf Maßnahmen, die zur Selbsthilfe durch Bildung oder wirtschaftliche Unabhängigkeit anregen. Dies ist umso wichtiger, da den Minderheiten in dem sehr großen öffentlichen Arbeitssektor (20%) oft Spitzenpositionen verwehrt bleiben. Somit beugt die Bildungsförderung der Nachkriegsgeneration einer Radikalisierung vor, welche durch ökonomische Marginalisierung gefördert wird.
Mehrfach wird von unterschiedlichen Akteuren Kritik an den bereits umgesetzten Versöhnungsmaßnahmen seitens der Regierung geäußert. Viele Anordnungen, zum Beispiel die Zweisprachigkeit der Nationalhymne, seien oft symbolisch und griffen zu wenig in den Lebensalltag der Menschen ein. Demzufolge sei es auch nachvollziehbar, dass die Menschen weiter nach ethnischen, nicht politischen Kriterien wählen. Jedem Vertreter der UN, Regierung oder Zivilgesellschaft wurde am Ende der Konsultationen die gleiche Frage gestellt: Bei der Betonung aller Konfliktlinien, was sind die verbindenden Elemente innerhalb der sri-lankischen Gesellschaft? Von der amerikanischen oder indischen Botschaft über die UN bis zum Lokalpolitiker oder Firmenchef lautete die Antwort: Cricket! Dies sei in allen Bevölkerungsschichten, ethnien- und religionsübergreifend der beliebteste Sport. Wenigstens in dieser Bewertung scheint man sich einig zu sein, ist doch Volleyball eigentlich per Gesetzesdekret offiziell verankerter Nationalsport.
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