Der Konflikt im Nahen Osten ist seit jeher auch ein Kampf um Ressourcen. Die wichtigste davon ist Wasser. Trotz Einübungsbemühungen wischen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten bleibt die Lage kritisch.
von Marie Welling
“The next war in the Middle East will be fought over water, not politics,” prophezeite 1985 der ehemalige UN Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali. Auch wenn die Krisenherde im Nahen Osten auch über 30 Jahre später noch hauptsächlich durch andere Beweggründe gerechtfertigt werden, lässt sich der Kern von Ghalis Aussage nicht vollends bestreiten: Das Thema Wasser spielt im Nahostkonflikt zwischen Israel und den Palästinensischen Autonomiegebieten seit jeher eine wichtige Rolle. Es ist extrem heiß, extrem trocken, es fällt wenig bis gar kein Regen und die Wasservorräte sind chronisch knapp. Als problematisch erweist sich die Geographie der Region bzw. ihre hydrographischen Bedingungen: Der Regen fällt zwar im Westjordanland, die unterirdischen Wasserspeicher liegen jedoch sowohl im Westjordanland, als auch in Israel. Daher ist es schwierig festzulegen, welche Konfliktpartei „mehr Recht“ auf die wertvolle Ressource hat.
Israel hatte es in den Jahren zwischen seiner Staatsgründung im Jahr 1949 auf palästinensischem Gebiet und dem Ende des Sechs-Tage-Krieges 1967 geschafft, fast alle Wasserressourcen, die für die eigene Versorgung relevant und von strategischem Vorteil waren, unter seine Kontrolle zu bringen. Insbesondere die Eroberung der Golan-Höhen im selben Jahr gilt als stark wasserstrategisch geprägt.
Um eine gute Wasserversorgung nicht nur für die israelische, sondern auch für die palästinensische Bevölkerung zu gewähren, wurden in den 90er Jahren erste sichtbare Maßnahmen ergriffen. Nachdem das Thema Wasser lange Zeit eine untergeordnete Rolle gespielt hatte, schlossen Israel und die Palästinensischen Autonomiegebiete das „Oslo II“ Abkommen, das die Verteilung der Wasserressourcen zwischen den beiden Parteien regeln sollte. Was jedoch auf dem Papier schön aussah, stellte sich schnell als wenig hilfreich für die Lage Palästinas heraus. Zwar sollte die Zusammenarbeit in der Wasserversorgung zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) durch das „Joint Water Committee“ (JWC), gestärkt werden, allerdings fand diese unter ungleichen Voraussetzungen statt: Israel besitzt im Gegensatz zur PA innerhalb des Komitees ein Vetorecht. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte das JWC für seine Machtasymmetrie und warf Israel vor, mit dem Komitee einen Weg gefunden zu haben, die Kontrolle über die palästinensischen Ressourcen zu institutionalisieren. Im Jahr 2010 erhob die PA den Vorwurf, dass Israel seine Macht innerhalb des Komitees ausnutzte und seine Zustimmung für Projekte an die Anerkennung der israelischen Siedlungen auf palästinensischem Gebiet knüpfte. Die PA sahen darin einen Versuch, die israelischen Siedlungen im Westjordanland zu legitimieren und unterbrachen die Arbeit des JWC. Erst im Mai 2017 entschlossen sich beide Seiten dazu, die Arbeit des Komitees wieder aufzunehmen, da zu viele Projekte in der Luft hingen und nicht fertig gebracht werden konnten. Das Komitee wurde gleichzeitig einer Reform unterzogen, die es den Palästinensern ermöglicht, in bestimmten Projekten, die die Trinkwasserversorgung oder Abwasserentsorgung betreffen, ohne die Zustimmung Israels zu handeln.
Ausgetragen wird der Konflikt auf dem Rücken der Bevölkerung. Die Wasserversorgung im Westjordanland und im Gazastreifen ist im Vergleich mit der Versorgung in Israel und den israelischen Siedlungen mehr als unzureichend. Zwar gehen die Angaben, was die Wasserversorgung in Israel und den Palästinensischen Autonomiegebiete betrifft, auf beiden Seiten stark auseinander; Organisationen wie die Weltbank gehen jedoch davon aus, dass die Palästinenser pro Person durchschnittlich nur 70 Liter Wasser am Tag zur Verfügung haben, was weniger ist, als die von der World Health Organisation (WHO) als optimal vorgegebenen 100 Liter. Masen Ghuneim, Leiter der palästinensischen Wasserbehörde, spricht von einem großen Leidensdruck innerhalb der Bevölkerung. Politiker der PA machen das Machtstreben der Israelis für die ungleiche Wasserverteilung verantwortlich. Israel kontert, dass die Unfähigkeit der palästinensischen Behörden Schuld an deren Wasserknappheit sei und die Regierung den Palästinensern seit Jahren schon mehr Wasser zukommen ließe, als eigentlich im Oslo-Abkommen festgehalten. Die Weltbank analysiert: Israels Einschränkungen und Auflagen machten es für die PA schwierig, Fortschritte in der Wasserversorgung zu machen. Aber auch die Ineffizienz in der Organisation des palästinensischen Regierungsapparates trüge dazu bei. Es gäbe außerdem wenig technisches Know-How, das es mit ausreichend finanzieller Unterstützung ermögliche, die Infrastruktur zu verbessern.
Trotzdem scheint es einen kleinen Funken der Hoffnung für die Palästinenser zu geben, die zurzeit kaum oder nur sehr schlechten Zugang zu Trinkwasser haben. Im Rahmen eines Entsalzungsprojektes wurde ein Abkommen ausgehandelt , das Israel dazu verpflichtet, der PA jährlich zusätzliche 33 Millionen Kubikmeter Wasser zu verkaufen. Medienplattformen wie Al Jazeera kritisieren den Umgang mit Trinkwasser in der Nahostregion und stehen dem geplanten Trinkwasser-Deal eher skeptisch gegenüber. „Der Deal sorgt dafür, dass die PA mehr Wasser von Israel kaufen kann, er sorgt aber nicht dafür, dass die Palästinenser besseren Zugang zu Trinkwasser bekommen“, schrieb Al Jazeera im August 2017. Bei vielen Palästinensern kommt die Sorge auf, dass durch den Wasser-Deal nur noch mehr die Wasserrechte der Palästinenser unterminiert werden. Ghuneim betont auf einer palästinensischen Pressekonferenz: „Die Krise wird nicht beendet sein, bis Israels Besetzung endet und wir unsere Wasserrechte durchsetzen können.“ Auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem israelischen Verantwortlichen und dem von den U.S.A. gesandten Vermittler, zeigt er sich hingegen weniger direkt in seinen Aussagen. Das Projekt stecke noch in den Kinderschuhen, es sei demnach noch nicht ganz absehbar, wie sich der Deal für die Palästinenser auswirken werde.
Die Brisanz des Themas Wasser im Nahostkonflikt ist allgegenwärtig – wenn auch nicht immer offensichtlich. Erst im Mai schossen iranische Einheiten Raketen auf die Militärposten Israels auf den Golanhöhen. Damit wurde nicht nur eine militärstrategisch vorteilhafte Position auf den Golanhöhen, sondern auch die Wasserversorgung des Staates potentiell gefährdet. Mit der Kontrolle über die Golanhöhen verlöre Israel auch die Kontrolle über die wichtigsten Quell- und Zuflüsse des Jordan, die es im Sechs-Tage-Krieg annektiert hatte, was Einschränkung der israelischen Wasserversorgung zur Folge hätte. Bei der territorialen Frage im Nahen Osten geht es somit nicht nur um Souveränität zweier Staaten. Vielmehr ist der Konflikt um Land eng verknüpft mit der Macht über Ressourcen, die das Überleben einer Bevölkerung sichern.
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