5 Fragen an… Frank-Walter Steinmeier

Frank-Walter Steinmeier im Interview über die Zukunft deutscher Außenpolitik und das Ziel der „Vereinigten Staaten von Europa“.

von Frank

„Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“ steht über dem Eingang zur Stadtkirche von Greiz, und die Worte boten ein passendes Motto für den Abend mit Frank-Walter Steinmeier: Der ehemalige Außenminister war eingeladen worden, über außenpolitische Herausforderungen der deutschen Außenpolitik zu sprechen – eine Einladung, die freilich lange vor den aktuellen Spannungen auf der koreanischen Halbinsel ausgesprochen worden war.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende mahnte seine Zuhörer in der vollbesetzten Stadtkirche dazu, den Ernst der Lage nicht zu unterschätzen, doch von Schwarzmalerei war sein Vortrag keineswegs geprägt; vielmehr von der nüchternen Erläuterung aktueller Konflikte der internationalen Politik. Die „zynische Nüchternheit des Kalten Krieges“ sei mit dem Ende der Blockkonfrontation 1989/90 verschwunden – und mit ihr manche Gewissheiten einer alten Ordnung. Die Suche nach einer neuen Ordnung sei es nun, die viele der bekannten Konflikte verursacht.
Vor der Veranstaltungen trafen wir ihn zum unique-Interview:

unique: Herr Steinmeier, ärgert man sich als Außenminister a.D. mit Blick auf die brisante internationale Lage – Stichwort Nordkorea, Syrien – eigentlich darüber, keinen Einfluss nehmen zu können? Oder ist man sogar ein bisschen erleichtert, gerade nicht in der Verantwortung zu stehen?
Steinmeier: Mit Blick auf die wachsende Zahl internationaler Konflikte kann man nicht erleichtert sein. Deutschland hat sein ganzes Gewicht einzubringen, um zur Lösung von solchen Konflikten beizutragen. Leider – und das bedauere ich dann in der Tat – hat Deutschland in der Außenpolitik an Gewicht verloren. Das zeigt sich zur Zeit im Nahen Osten und in Nordafrika; wir spielen auch keine entscheidende Rolle mehr in den Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem Iran. Ich finde, mehr Engagement täte nicht nur Deutschland gut und würde der Verantwortung des größten und bevölkerungsstärksten Landes in Europa entsprechen, sondern die Welt braucht auch ein außenpolitisch interessiertes und engagiertes Deutschland.

Stichwort Engagement: Sehen Sie die Zukunft der deutschen Außenpolitik in einer aktiven Rolle, wie seinerzeit auf dem Balkan oder in Afghanistan, oder eher in einem zurückhaltenden „Leading from Behind“?
Die zweite Alternative kann es nicht geben, wenn die erste Alternative ausgeschlossen wird! Ein Land, das sich aus den schwierigen außenpolitischen Engagements völlig ausschließt, wird auch nie in Betracht kommen, „von hinten zu führen“. Mit anderen Worten: Es gibt leider nicht die Möglichkeit für Deutschland zu sagen „Wir halten uns aus allem heraus“. Das kann ein Land wie Deutschland auch nicht tun, denn die internationalen Beziehungen leben davon, dass große und wichtige Länder sich einbringen. Die Vereinten Nationen werden nie das notwendige Maß an Autorität haben, wenn Länder wie Deutschland sich aus ihrer Verantwortung zurückziehen.
Was dann im Einzelfall zu tun ist, muss jeweils entschieden werden. Wenn man an den Irak-Krieg zurückdenkt: Dort haben wir aus guten Gründen entschieden, uns nicht zu beteiligen. Wer das gut und richtig findet – und das tue ich – muss eben auch sehen, dass wir kurz zuvor entschieden hatten, uns in Afghanistan zu beteiligen.

Was würden Sie in der Rückschau als das prägendste Ereignis Ihrer Amtszeit als Außenminister bezeichnen?
Ich kann es nicht auf die vier Jahre Außenminister-Zeitbeschränken. Vorher war ich als Chef des Bundeskanzleramtes natürlich auch mit außenpolitischen Fragestellungen beschäftigt. Die Beteiligung an den Auseinandersetzungen auf dem Balkan ist mir ebenso nahe gegangen wie die Entscheidungen über das Nein zum Irakkrieg und die Beteiligung am Afghanistan-Einsatz. All das sind Entscheidungen, die man nicht nebenbei fällt, wenn man weiß, dass dort junge Menschen in einen Einsatz geschickt werden, in dem Gefahr für Leib und Leben besteht. Deshalb bleibt es für mich dabei, unabhängig vom Ort: Die vielleicht kritischste Entscheidung, die man in der Außenpolitik treffen muss, ist, sich an einem Einsatz außerhalb des eigenen Landes zu beteiligen, mit den Gefahren und Risiken, die damit verbunden sind, Ich selbst blicke zurück auf eine Zeit als Außenminister, in der wir einige Male vor möglichen Lösungen im Nahostkonflikt standen und rückblickend ist zu bedauern, dass wir die in einer Zeit, in der eine Verständigung über die Zweistaatenlösung greifbar nahe war, nicht erreicht haben. Ich befürchte, heute sind wir eher wieder weiter entfernt davon.

Ihr Amtsvorgänger Joschka Fischer hat im Interview mit uns seinerzeit die „Vereinigten Staaten von Europa“ gefordert; Sie selbst haben sich 2009 für einen europäischen Finanzminister ausgesprochen. Wie soll man solche weiterführenden Integrationsmaßnahmen der Bevölkerung vermitteln? Von Begeisterung kann ja zurzeit keine Rede sein…
Nein, darum hilft es auch nichts, jetzt ad hoc die „Vereinigten Staaten von Europa“ als Nahziel auszurufen. Politik hat ihre Aufgabe zu erledigen und das wird sein: die europäische Krise zu überwinden, Europa wirtschaftlich wieder zu stabilisieren und zum Abbau der immens gestiegenen Arbeitslosigkeit in den südeuropäischen Ländern beizutragen. Und damit am Ende auch: Stabilität in Europa gewährleisten. Denn die größte Befürchtung, die wir haben müssen, ist, dass aus der ökonomischen Krise auch eine politische Krise wird, wenn nicht gar eine Krise der Demokratie. Das kann man leider nicht ausschließen, wenn nicht nach fünf Krisenjahren endlich Licht am Ende des Tunnels sichtbar werden wird.
Ich mache mir keine Illusionen: Die Menschen sind jetzt nicht zu überzeugen von Integrationsschritten hin zu dem Fernziel der „Vereinigten Staaten von Europa“, wenn wir an den Alltagsaufgaben, die jetzt zum Management der Krise gehören, scheitern.

Gibt es nicht sogar schon Rückschritte vom Erreichten? Die Reisefreiheit für Bewohner einiger Balkanländer etwa soll jetzt wieder mit einer Visumspflicht „zurückgeschraubt“ werden…
Solche Versuche hat es zwischendurch immer wieder gegeben, aber es muss nicht sein, dass diese erfolgreich sind. Dass solche Diskussionen im Augenblick geführt werden, hängt v.a. mit der Roma-Zuwanderung aus vielen ost- und südosteuropäischen Staaten zusammen. Ich glaube nur, dass wir die für die Kommunen ohne Zweifel großen Probleme, die damit verbunden sind, nicht durch Wiedereinführung einer Visapflicht in den Griff kriegen. Sondern hier bedarf es einer gemeinsamen europäischen Anstrengung, um für die Roma bessere Lebensbedingungen in ihren Herkunftsländern zu schaffen. Daran fehlt es bisher.

Herr Steinmeier, vielen Dank für das Gespräch!

 

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert