„Mein liebes Stiefvaterland“

In den 1990er-Jahren kamen etwa 345.000 Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina nach Deutschland. Der Großteil verließ die BRD wieder. Auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens trifft man daher heute häufig auf junge Menschen, die fließend Deutsch sprechen und  sich mit dem Land ihrer Kindheit weitaus verbundener fühlen, als es vielen Deutschen vielleicht bewusst ist. So auch Ivan Babić, der einige seiner Erinnerungen und Gedanken für uns zu Papier gebracht hat.

Welche Sprachen sprichst du?

Neben meiner Muttersprache spreche ich Englisch, ein bisschen Italienisch und meine zweite sozusagen Muttersprache – Deutsch.

Wann warst Du das erste Mal in Deutschland?

Das erste und bisher leider einzige Mal, dass ich in Deutschland war, war 1991. Kriegsbedingt ist meine Familie, wie auch viele andere Familien, nach Deutschland hingepilgert um sich dort wieder aufzubauen, auf die Beine zu kommen, neu anzufangen, irgendwas, hauptsache weg vom Balkan.

Welche Eindrücke hattest Du bei Deiner Ankunft?

Nun ja, wenn man aus dem zestörten Jugoslawien irgendwo anders hingeht, kommt es einem wie das Paradies vor, besonders das schicke und bunte Deutschland der 90er. Da ich relativ jung nach Deutschland kam habe ich sehr verschwommene Erinnerungen von beiden Ländern, trotzdem kann ich auch in diesen sehr unscharfen Gedächtnisfotos klare Unterschiede erkennen. Deutschland war ruhig. Nicht dass ich irgendwelche Kriegstraumata habe, aber auch als Kind spürt man den Kulturunterschied deutlich. Die Menschen an sich waren mir gleich wie zu Hause. Dass ich jetzt Immigrant war bekam ich nicht mit, konnte ich auch nicht, weil sich alle Deutschen, wie auch Kroaten, Türken oder Polen normal verhalten haben und die Nationalität nie erwähnt wurde. Es war auch nicht wichtig, wer woher kam, wir waren jetzt dort in Rüdesheim am Rhein und taten so, als ob wir Rüdesheimer wären; und den echten Rüdesheimern hat es offensichtlich nichts ausgemacht.

Wie sah Euer Leben in Rüdesheim aus?

Ich tat, was man als Kind eben so tut – ordentlich in den Kindergarten und dann zur Schule gehen. Am Anfang, als wir in Rüdesheim ankamen, lebten wir im Haus meiner Großeltern, mit zwei Onkeln,  das war ein bisschen eng. Ein paar Monate später zogen meine Eltern und ich in eine eigene Wohnung, danach noch einmal in eine größere. Wenn ich heute darauf zurückschaue bin ich sehr stolz auf meine Eltern, dass sie es so gut geschafft haben, sich wieder aufzurappeln und für sich gekämpft haben.

Wie war es aus Deutschland fortzugehen und in Kroatien neu anzufangen?

Ich war so ein Kind, das nicht viele Fragen stellte und sich lieber seine eigenen Gedanken machte, wieso und weshalb Dinge geschehen. Für mich kam die Abreise plötzlich aber meine Eltern hatten geplant aus Deutschland fortzugehen, sobald das Geld für einen Neuanfang reichen würde. Es war für sie auch nach fünf Jahren ein fremdes Land geblieben. Die Wahl fiel auf Kroatien, weil dort meine anderen Großeltern wohnten. Meinen Eltern war es nur wichtig, dass es ein Südslawischer Staat war, welcher, das war nicht von großer Bedeutung. Im Gegensatz zu meinen Eltern habe ich mich nicht richtig von Deutschland verabschiedet weil ich noch hoffte, dass wir ab und an dorthin in Urlaub fahren würden – so wie davor nach Kroatien, nur andersrum. Das kam mir damals logisch vor. In Benkovac wunderte ich mich erstmal, dass es keinen McDonald’s gab, die Straßen so leer und die wenigen Autos uralt waren.

Warst Du später noch einmal in Rüdesheim?

Später gab’s nicht – einmal hin und zurück, leider. Dennoch werde ich sicherlich eines Tages in ‚meinem‘ Rüdesheim vorbeischauen, sehen was es neues gibt. Um ehrlich zu sein glaube ich, dass wenn ich wieder nach Deutschland gehe eine Blase platzten wird, weil Deutschland für mich hauptsächlich Kindheitserinnerungen sind – und die sind meistens idealisiert. Aber trotzdem wird es kein bisschen schlechter, weil ich Deutschland dann neu kennenlernen werde. Wir beide haben uns schließlich sehr verändert, da gibt es Vieles nachzuholen.

Nach dem Krieg habt Ihr Deinen Heimatort Teslić besucht. Was erwartete Euch dort?

Mit der Zeit stellte ich mir Bosnien als das mystische Land unserer Herkunft vor,  in dem alles in malerischen Ruinen liegt und wo nur alte, weise Menschen in den Bergen leben. Ach, wie abenteuerlich malte ich mir aus, dort zu leben. Als wir später hinfuhren war es genau so – nur nicht schön. Die Ruinen waren unsere Häuser und die alten Leute ein paar Omis und Opis, die nicht ausgewandert waren. Kein bisschen märchenhaft. Mit den Jahren kehrten Menschen zurück, aber nicht die, die früher dort gelebt hatten. Die Schilder waren irgendwann auf Kyrillisch und ich begriff, dass ich auch dort nicht richtig hingehörte.

„Denk ich an Deutschland …“

…dann denk ich an den wunderschönen dreckigen Rhein, die Weingärten, in denen ich mit meinen Eltern spazierte, dann denk ich noch an McDonald’s an jeder Ecke, an Saskia, Timo, Shonit und an Frau Nagel und Hausmeister Otto, die ich schon immer verkuppeln wollte. Deutschland kann nur schöne Erinnerungen herbeirufen, weil es mich als einen Teil von sich angenommen hat.

Erinnerst du Dich an deine ersten deutschen Wörter?

Sehr gut sogar. Die hat mir meine Oma beigebracht, etwa so: „Wenn dir jemand etwas gibt sagst du ‚dankeschön‘. Und wenn du jemandem was gibst sagst du ‚bitteschön’“ Das wichtigste war wohl, höflich zu sein. Danach kommt, was das Lernen der Sprache angeht, ein Filmriss, und dann komm‘ ich einfach so Deutsch sprechend um die Ecke. So ist das eben,  wenn man eine Sprache nicht in der Schule lernt: Man bemerkt nich, wie man sie lernt. Als ich hier in Kroatien im Deutschunterricht gesehen habe, wie schwer sich meine Mitschüler taten, war ich froh, das schon hinter mir zu haben. Das heißt aber nicht, dass ich mich zurücklehnen kann … Wenn man nicht in Deutschland lebt und die Sprache nicht regelmäßig nutzt, muss man sie pflegen.

Sprichst Du in Kroatien gelegentlich Deutsch?

Ich muss zugeben dass, seitdem ich aus dem Gymnasium raus bin und keinen Deutschuntericht mehr habe, mein gesprochenes Deutsch ein bisschen eingerostet ist. Beim Schreiben läuft es noch einigermaßen gut, da ich mir alles zurechtdenken kann. Aber beim Sprechen fällt mir manchmal ein Wort nicht ein. Neulich konnte ich mich an „Versicherung“ nicht erinnern! Das kommt daher, dass ich hier nicht wirklich Deutsch sprechen muss. Wenn, dann nur mit ein paar deutschen Freunden über das Internet oder wenn sich ein paar Touristen verirren – die mag ich ganz besonders; und die mich manchmal auch. Obwohl ich auch im Freundeskreis Leute habe die Deutsch sprechen, tun wir das nie, das käme mir irgendwie affig vor.

Hat deutschsprachige Literatur, Musik, Kunst … eine besondere Bedeutung für Dich?

So lala. Nein wirklich, noch heute gucke ich deutsches Fernsehen und lese Süddeutsche und Bild online. Bei vielen von uns jungen Menschen ist die deutsche Kultur sehr hängen geblieben. Mit Freunden guckte ich immer The Dome, und das erste Popstars-Casting als Halbwüchsiger. Das mag auch so sein, weil das Kulturmenü des Nachkriegskroatiens nicht mit dem von Deutschland mithalten konnte. Mit Satellitenfernsehen, Internet und dem einen oder anderen Buch lebe ich auf eine Art parallel in Deutschland weiter. In der Schule zum Beispiel waren mir deutsche Autoren viel zugänglicher als Russen oder Franzosen: Ich kann mir ihr Werk im Original nehmen und werde es vollständig verstehen, muss mich auf keine Übersetzung stützen. Dasselbe gilt für Musik: Klee und Stereo Total gehören zu meinen Lieblingsbands. Und Filme, die mag ich auch, besonders die stillen Dramen ohne viel Tatütata und bei denen ein Happy End nicht wirklich nötig ist. Von denen mit Tatütata hat mich Berlin Calling mitgenommen.

Was kommt Dir in den Kopf, wenn Du außerhalb Deutschlands unerwartet jemanden Deutsch sprechen hörst?

Ich hoffe innerlich, dass sie sich verirrt haben und Hilfe brauchen.

Denkst du es gibt etwas,  das die Menschen in Kroatien und Deutschland grundlegend unterscheidet?

Der Zusammenhalt. Ich wundere mich manchmal wie all die 80 Millionen in Deutschland so gut miteinander auskommen – wenn ich wiederum auf die Handvoll Menschen hier schaue. Zuerst hatten uns in Jugoslawien die Serben nicht gepasst, OK, wir ließen uns amtlich scheiden. Jetzt auf einmal können die Zagreber und Dalmatiner nicht mehr miteinander, innerhalb Dalmatiens die Küstenbewohner und die Inländer. So könnte man bis ins Unendliche gehen … Das Wichtigste scheint zu sein, dass man immer jemanden innerhalb seines Kreises hat, den man nicht so mag und dem man später etwas in die Schuhe schieben kann. Und noch was: dieser übertriebene Nationalstolz hier. Als ich nach Kroatien zurück kam und keine Ahnung von nichts hatte, was hier abgegangen war, kam es mir einfach bescheuert vor, so hyperaktiv mit der Fahne rumzuschwingen. Von Deutschland kannte ich das nicht. Vielleicht war es eine Art Stolz auf die neue Heimat, ist gut, aber langsam reicht’s auch. Kroatien ist auch nur ein normaler, öder Staat wie jeder andere oder vorherige auch – und nicht Eldorado.

Was hast du mitgenommen?

Euer Brot! Der deutsche Humor hat es mir aber auch sehr angetan. Im Gegensatz zu Deutschland kann man in Kroatien nicht so leicht Späße über Tabuthemen machen. Nur eure Rechtschreibung vermisse ich kein bisschen. Was habe ich noch mitgenommen? Auf jeden Fall viele schöne Erinnerungen und eine trotz Auswanderung schöne Kindheit in einem lieben Stiefvaterland. Aber eigentlich bin ich nie weggegangen.

Ivan Babić ?
Ivan Babić (22), ursprünglich aus Teslić in Bosnien-Herzegowina, lebte 1991–1996 in Rüdesheim und danach in Kroatien, wo er heute Kunstgeschichte an der Universität Zadar studiert.

(Fotos: Familie Babić)

Den Fragebogen stellte Hela zusammen.
?
?
?
?
?
?
?
?
?
?
?
?
?
?
?
?
?

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert