„Gehen Sie einmal zu einem Menschen, den Sie absolut hassen …“

Eine Begegnung mit dem letzten Prinzen Äthiopiens über Paradiesisches aus Cambridge, Äthiopisches aus Jena und eine wichtige Konstante in unserem Leben: Manieren.

von Frank, Jenny und Laser

Es gibt Menschen, die in nur wenigen Sekunden allein durch ihre Ausstrahlung überzeugen. Andere schaffen es, mit weisen Worten eine nachdenkliche Stimmung zu verbreiten, die einem noch Tage später durch den Kopf gehen. Dr. Asfa-Wossen Asserate gehört zu einem ausgewählten Personenkreis, der sich durch beide Eigenschaften auszeichnet und in doppelter Hinsicht in Erinnerung bleibt – das war jedenfalls unser Fazit nach einem kurzen, aber beeindruckenden Gespräch mit ihm. Und wahrscheinlich war dies auch der Grund dafür, dass an jenem Nachmittag seine Lesung in der Forschungsbibliothek Gotha voll besucht war.
Asserate ist Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie und Sohn des ehemaligen Gouverneurs und Vizekönigs von Eritrea, Li’ul Ras Asrate Kasa. Asfa-Wossen Asserate war einer der ersten Schüler an der deutschen Schule in Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens.

unique: Sie sind ein gern gesehener Gast in den deutschen Medien. Gibt es bestimmte, typische deutsche Fragen, die immer wieder an Sie gerichtet werden?
Asserate: Ja. Gott sei Dank haben Sie diese Frage heute nicht gestellt. Die erste typische ist: „Wie darf ich Sie anreden?“ Das ist mir einfach zu banal! Aus dem ganz einfachen Grund, dass wir hier in einer Republik leben. Und in einer Republik gibt es keine großen Probleme mit Titeln. So lange Sie wirklich davon überzeugt sind, dass ich ein Herr bin, ist mir alles andere – unter uns gesagt – ziemlich egal. Das ist das Einzige, was ich von meinem Gegenüber erwarte.

Das trifft sich gut, denn uns hat diese Frage auch beschäftigt. Man setzt sich automatisch mit diesem Thema auseinander…
Ja, aber ich muss Ihnen ganz offen sagen, es gibt kein schöneres Kompliment, als dass sie bezeugen, dass sie wirklich davon überzeugt sind, dass ich ein Herr bin und mich so auch nennen. (lacht)

Asserate studierte in Tübingen und Cambridge Jura, Geschichte und Volkswirtschaft und wurde in Frankfurt am Main promoviert. Vor allem durch sein ehrenamtliches Engagement bricht er mit jeglichen Vorurteilen: Seit seiner Einreise als 19-jähriger Student in das Deutschland der Studentenproteste ist er Mitglied der Studentenverbindung Corps Suevia Tübingen. Und seit circa vier Jahrzehnten lebt der 63-jährige nunmehr in Deutschland.

Es wird Sie vielleicht interessieren, wie ich einmal von einem Journalisten genannt wurde: Er sagte, ich sei ein anglo-germanophiler Äthiopier.

Wie haben Sie sich dabei gefühlt?
Ich sagte ihm: Sie mögen Recht haben. Es ist unstreitbar, dass ich von diesen beiden großen Kulturen in starker Weise beeinflusst wurde. Und es hat keinen Sinn, das zu leugnen.

unique im Gespräch mit dem Prinzen.
unique im Gespräch mit dem Prinzen.

Was haben Sie in Erinnerung, wenn Sie an Ihre Zeit in Cambridge zurückdenken?
Das war natürlich eine ganz andere Welt. Vor allem das Cambridge, das ich damals kannte, war im Vergleich zu Deutschland eine vollkommen andere, fast schon paradiesische Welt. Was Cambridge und Oxford Jahrhunderte lang von anderen Universitäten unterschieden hat, ist das, was man außerhalb des Studiums tun konnte: Wenn Sie in irgendeinem Bereich talentiert waren – egal ob Musik, Theaterspielen oder Boxen –, konnten Sie es dort ausleben. Charakteristisch war dieses wirkliche Universal-Denken, dieses Universelle an einer Universität – daher der Name. Nicht, dass man dort hin geht, um ein Stück Papier zu bekommen, das sagt, Sie können unabhängig denken, sondern, dass Sie etwas fürs Leben lernen. Das ist das, was man in Cambridge, gerade in den 1970er Jahren, als ich dort war, genossen hat.

Haben Sie Sehnsucht danach?
Ja, natürlich. Sie tun mir leid! Die sogenannte akademische Freiheit, die Sie bestimmt nicht mehr haben… Hoffentlich sind Sie nicht von diesem neuen Bachelor betroffen. Das ist ja fast ein Schulbetrieb. Sie haben dann überhaupt keine Zeit, neben Ihrem Studium Erfahrungen zu machen.

Doch nicht nur zur Cambridge University, auch zur Universität Jena hat unser Gegenüber eine besondere Beziehung: Erstmals wurde hier Äthiopistik an einer deutschen Universität unterrichtet – bevor es die Germanistik überhaupt gab, berichtet uns Asserate amüsiert. Der aus Gotha stammende Privatgelehrte Hiob Ludolph sei als der „Vater der Äthiopistik“ ein Held für die Äthiopier. Doch auch abseits des universitären Lebens zeigt sich Asfa-Wossen Asserate interessiert an interkulturellen Schnittstellen – und sensibel für kulturelle Besonderheiten. Literarisch setzt er sich vor allem mit deutschen Eigenheiten auseinander: 2003 machte ihn sein Buch Manieren hierzulande berühmt. An diesen Erfolg knüpfte er 2010 mit Draußen nur Kännchen. Meine deutschen Fundstücke an. Anfang 2013 soll, so verriet er uns, ein weiteres Werk über Tugenden folgen.  Tugenden seien eine wichtige Säule der hiesigen Gesellschaft, auf die wir Deutschen stolz sein sollten.

Wenn Sie sich selbst als von verschiedenen Kulturen geprägter Mensch wahrnehmen, besitzen dann kulturelle Kategorien wie „typisch deutsch“ überhaupt Aussagekraft?
Absolut nicht. Es hat vielleicht mal gepasst, aber das ist schon längst nicht mehr der Fall. Diese Klischee-Deutschen gibt es nicht mehr, mit Latschen und weißen Strümpfen und kurzen Hosen. Aber es wäre tragisch, wenn die Deutschen von sich aus gewisse Eigenarten aufgeben würden. Was also viel wichtiger ist: Die deutschen Werte und Tugenden aufrecht zu erhalten, sich auf sie zu besinnen. Und, Gott sei Dank, Ihre Generation tut das schon.

Das tun wir schon?
Ihre Generation ist auf jeden Fall manierlicher als meine. In jeder Hinsicht. Auch interessierter.

Auch engagierter?
Auch engagierter – weltpolitisch gesehen allerdings nicht. Solidarität, nein, da waren wir aktiver. Haben Sie jemals solch ruhige Universitäten erlebt wie heute?

Es gibt Entwicklungen, die eine neue Richtung aufzeigen. Stéphane Hessel schreibt es: „Empört Euch!“ Das greift auch langsam auf uns Studenten über.
Ja, das kann sein. Aber was gibt es, das Sie heute auf die Straße bringt? Sie werden doch jetzt nicht für die unterdrückten Völker auf die Barrikaden gehen, wie es damals 1968 der Fall war? Der Vietnam-Krieg hat die Geister in der ganzen Welt mobilisiert und eine ganze Jugend zu Anti-Amerikanern erzogen. Das kommt heute nicht mehr vor, auch weil es diese großen Unterschiede zwischen West und Ost nicht mehr gibt.

Mit Stolz pflegt Asserate die Mitgliedschaft bei dem Corps Suevia. Die Beziehungen unter den Corpsbrüdern seien fast familiär, man schätze sich gegenseitig. Seit 1971, kurz vor Asserates Eintritt, gehört sie zu den wenigen nicht-schlagenden Corps des Landes. Auch seine äthiopische Herkunft habe nie eine Rolle gespielt, im Gegenteil. Gerne weist er hier auf die ehrenwerte Vergangenheit der Verbindung hin: Als eine der wenigen hat die 1831 gegründete Suevia in der Nazizeit Juden nicht ausgeschlossen. Sie weigerte sich, dem „Ariergrundsatz“ von 1933 zuzustimmen und musste deshalb 1934 schließen, bis sie 1949 neu gegründet werden konnte. Die liberalen Grundsätze des Corps seien mit ein Grund, weshalb Asserate regelmäßig seine „Brüder“ in Tübingen besucht.

Eine abschließende Frage: Ihr großes Thema sind Manieren. Wenn Sie uns jetzt die wichtigsten drei Regeln sagen müssten, die wir auf jeden Fall einhalten sollten: Welche drei wären das?
Erste Regel: Stellen Sie sich niemals ins Zentrum der Geschehnisse, sondern immer wieder Ihr Gegenüber. Zweitens: Versuchen Sie eine Balance zwischen Anmut und Demut in Ihrem Leben zu finden. Das heißt: Lieben Sie das Wahre, Schöne, Gute – und seien sie dabei demütig. Das ist eines der schönsten deutschen Worte, die ich kenne: Demut. Mut zum Dienen. Drittens: Vergessen Sie niemals, egal, wo Sie und mit wem Sie sind, dass Sie immer die kleinere Rolle spielen. Das heißt, die Bereitschaft zu pflegen, auch hier dem Anderen den Vortritt zu lassen. Das soll nicht heißen: Geben Sie immer ihrem netten Mitbewerber den Vortritt. Da bedeutet es: Begegnen Sie ihm auf Augenhöhe. Gehen Sie mit ihm fair um. Tun Sie nichts, was Sie am nächsten Tag bereuen. Und vor allem: Erwarten Sie nichts von Ihren guten Taten. Ich werde immer wieder von jungen Menschen gefragt: „Was habe ich eigentlich davon, wenn ich manierlich bin?“ Da sage ich: Eigentlich gar nichts – mit Ausnahme vielleicht eines gesunden und tiefen Schlafes. Und das ist ja auch schon mal was. Versuchen Sie es jedenfalls: Gehen Sie einmal zu einem Menschen, den Sie absolut hassen – und tun Sie ihm etwas Gutes.

Das klingt nach christlichen Urwerten.
Das ist genau richtig. Ich kann nicht behaupten, dass ich von irgendwelchen Institutionen beeinflusst worden bin. Außer vom Christentum. Jedenfalls hoffe ich es.

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