Der Chefredakteur von Spektrum der Wissenschaft, Carsten Könneker, im Gespräch über die Notwendigkeit von Transparenz in der Wissenschaft, junge Leser und die Guttenberg-Affäre.
unique: Wie sind Sie zu Spektrum der Wissenschaft (SdW) gekommen?
Könneker: Ich hatte nach meinem Doppelstudium der Physik und Germanistik und der anschließenden Promotion in Literaturwissenschaft keine ganz feste Vorstellung davon, welchen Beruf ich ergreifen sollte. Über eine Firmenkontaktbörse bin ich mit der Holtzbrinck-Verlagsgruppe, zu der SdW gehört, in Kontakt gekommen und wurde im Jahr 2000 eingestellt. Ursprünglich war ich für eine Karriere als Verlagsmanager vorgesehen. Ich habe aber ziemlich schnell gemerkt, dass mir das Redaktionelle noch mehr Spaß macht.
Was reizt Sie am Journalismus, was Ihnen ein Leben als Forscher nicht geben könnte?
Vor allem die Themenvielfalt. Das Schöne am Wissenschaftsjournalismus ist, dass man zwar in keiner der feinen Verästelungen des Wissenschaftsbetriebs der Topspezialist ist, dann aber trotzdem über weite Bereiche eine gute Übersicht behält. Manchmal denken wir uns in einer Redaktionskonferenz auch: Das ist aber eine seltsame Studie, die ist ja eigentlich völlig unsinnig. Wir haben schlicht einen anderen Blick auf Forschung als die Menschen, die sie selbst machen.
Welchen gesellschaftlichen Stellenwert hat die Popularisierung von wissenschaftlicher Erkenntnis für Sie?
Die Wissenschaft muss sich immer stärker spezialisieren, um Erfolge feiern zu können. Da ist es eine wichtige Aufgabe, von unabhängiger Warte aus, die notwendige Transparenz für die Gesellschaft zu schaffen. Das leistet guter Wissenschaftsjournalismus. Er zeigt auf, wo Durchbrüche erfolgen, und beleuchtet auch kritisch, was in der Forschung passiert. Daneben hat natürlich auch die Vermittlung von Wissenschaft durch die Forscher selbst ihre Bedeutung.
Forschung findet mitten in unserer Gesellschaft statt, sie ist eine bedeutende kulturelle Errungenschaft. Aber wie viel erfährt die Gesellschaft davon? Beim Thema Fukushima haben wir das 2011 hautnah miterlebt, dass Forschung uns alle angeht. Und plötzlich werden händeringend Experten gesucht, die möglichst schnell Auskunft geben: „Wie ist denn das mit der Kernschmelze?” Das ist ein extremes Beispiel, aber ich glaube, es ist gerade in einer hoch entwickelten Gesellschaft wie unserer wichtig, dass die Wissenschaft den Rest der Menschen nicht abhängt mit ihrem Tun. Oft gibt es freilich auch innerhalb der Forschergilde mehr als eine Meinung: Denken Sie an PID, die Willensfreiheitsdebatte der Neurowissenschaften – oder eben die Frage unserer Energieversorgung. Wir müssen die Gesellschaft teilhaben lassen an diesen Debatten.
Wie verändert sich die wissenschaftliche Seite?
Für Forscher wird Wissenschaftskommunikation immer wichtiger. Wissenschaftler müssen verschiedensten Zielgruppen, von der Kinder-Uni angefangen bis hin zu Drittmittelgebern, Auskunft darüber geben, was sie machen, wie sie es machen und warum das überhaupt wichtig ist. Wir bei SdW werden manchmal als Kommunikationsexperten angefragt: Irgendein Exzellenz-Cluster etwa möchte Beratung: „Wir wollen so schreiben lernen, dass es auch breitere Bevölkerungsteile verstehen.“ Dieses Interesse der Forscher nimmt zu. Irgendwo ist dies auch eine gute Reaktion auf das berechtigte Interesse der Gesellschaft, zu erfahren, wofür eigentlich öffentliche Forschungsgelder verwendet werden. Die Wissenschaft reagiert auf die Frage der Legitimation mit Kommunikation.
Denken Sie, dass unsere heutige Gesellschaft eher bereit ist, sich mit den für sie relevanten Themen der Wissenschaft – Atomenergie, Gentechnik – auseinanderzusetzen?
Nein, das kann ich – leider – nicht so pauschal sagen. Teile unserer Bevölkerung sind sicher weitgehend ignorant gegenüber der Wissenschaft; ihre Aufmerksamkeit irgendwie für Wissenschaft zu ködern, ist sehr schwierig. In Bezug auf Wissenschaft ist die Gesellschaft ja auch kein einheitliches Ganzes; es gibt unterschiedlichste Gruppen, definiert etwa durch Interessen und Vorbildung. Als Kommunikator muss man sich für jede Teil-Zielgruppe überlegen, wie man sie am besten erreicht.
Wir haben jetzt schon relativ oft über die Zielgruppe gesprochen. Gibt es den prototypischen SdW-Leser?
Wenn man den typischen Heftleser charakterisieren müsste, dann handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen Mann, der selbst eine hohe akademische Sozialisation erfahren hat, sprich einen Hochschulabschluss erworben hat, auch wenn er nicht unbedingt selbst in der Forschung tätig ist. Er schätzt SdW, weil er bei uns erfährt, was es in den verschiedensten Bereichen der Wissenschaft an wichtigen neuen Erkenntnissen gibt – solche, die über den Tag und Disziplingrenzen hinweg relevant sind. Das ist eine ganz wichtige Funktion von SdW: Unsere Redakteure durchpirschen den weltweiten Dschungel wissenschaftlicher Fachpublikationen auf der Suche nach den rund 100 Themen, die wir im Laufe eines Jahres in großen Hauptartikeln von acht Heftseiten im Zusammenhang darstellen. Wo man mit Fug und Recht sagen kann: Hier ist ein Ergebnis erzielt worden, das mit großer Wahrscheinlichkeit auch in der Rückschau einmal als großer Durchbruch angesehen werden wird. Und der typische SdW-Leser ist derjenige, der diese Leistung goutiert, weil er sich selbst nie die Mühe machen könnte, all jene Primärpublikationen zu erfassen, die unsere Redaktion auf dem Radarschirm hat. Und schon gar nicht in all jenen Fachgebieten, in denen er selbst Laie ist!
Sie haben vor Kurzem Spektrum neo herausgebracht, eine Kindervariante des Originals. Was hat Sie dazu bewogen?
Der Wissenschaftsmarkt für Kinder hat sich in letzter Zeit stark ausdifferenziert, und ich wollte schon seit vielen Jahren etwas Besonderes in dem Bereich für SdW machen. Unser Ansatz ist: Mit Spektrum neo wollen wir zehn- bis 14-jährigen Kindern nicht nur attraktiv verpacktes, fertiges Wissen vorsetzen, sondern in jedem Heft auch den Prozess wissenschaftlicher Arbeit authentisch darstellen: Im Vorbeigehen erklären, wie Wissenschaftler arbeiten, wie sie auf ihre Ideen kommen, Hypothesen aufstellen, Experimente austüfteln, um sie zu überprüfen, auf was für Schwierigkeiten sie bei der Auswertung stoßen usw.
Durch den Heftpreis von 6,90 Euro ist der Rezipientenkreis aber schon relativ klar eingegrenzt.
Das gilt leider fast für den gesamten Bildungsmarkt. Gerade bei Kindern haben Sie es mit zwei Zielgruppen zu tun: den Lesern und den Käufern. Ich glaube auch, dass von den Kindern aus betuchteren Familien, auf die Sie anspielen, verstärkt die Eltern, Großeltern und Verwandte die Hefte für die Kinder kaufen. Es ist ein Riesenproblem, dass Bildungschancen und der Zugang zu Wissen gerade in Deutschland stark von der sozialen Schicht, aus der jemand stammt, abhängen. Doch selbst wenn wir das Heft für nur 3 Euro anbieten könnten, würde sich an dieser Situation nichts ändern. Das ist nicht allein eine Frage des Preises. Ich glaube, das Problem liegt an einer grundsätzlichen Einstellung gegenüber dem Wert, den Wissen und Bildung in einer Familie darstellen.
In SdW schreiben meist Wissenschaftler und nicht Journalisten. Erhöht das auch auf Ihrer Seite den Anspruch, ein Thema anders aufzubereiten als in der Tagespresse?
Wir probieren in der Zeitschrift, die Themen mit viel Hintergrundinformation und weniger aufgeregt darzustellen, weil wir im gedruckten Heft sowieso immer zu spät kommen für ein Thema wie Fukushima oder einen Vulkanausbruch, der gerade den europäischen Flugverkehr lahm legt. Die Natur des Mediums, auch unsere Produktionszeiten, verlangen schon an sich, dass wir unaufgeregt sind, Hintergrund und Kontext liefern, Entwicklungen eine längere Zeit beobachten, sammeln und erst dann etwas darüber bringen.
Auf Ihrer Website berichten Sie aber durchaus zu aktuellen Themen.
Ja, und gerade bereiten wir einen umfangreichen Relaunch der Seite spektrum.de für das Ende des Jahres vor. Das Internet ist ein ganz anderes Medium. Die stundenaktuelle Berichterstattung, wie wir sie selbst in den dramatischen Tagen von Fukushima im Netz brachten, hat vielleicht den Nachteil, dass man nicht ganz diese Tiefe erreichen kann wie in der Zeitschrift. Tagesaktuelle Berichterstattung ist schlicht eine andere Art von (wissenschafts-)journalistischer Arbeit, hat aber ebenfalls viel mit Verantwortung zu tun. Unsere Onlineredaktion berichtet täglich: Meldungen, Kommentare, Interviews, Videos – das volle Programm. Die Guttenberg-Affäre etwa war im Heft kein Thema, aber wir sind online sehr früh in die Berichterstattung über den Fall eingestiegen. Dazu haben wir auch hunderte indirekt Betroffene – Profis in den Instituten, die täglich Doktoranden ausbilden oder selbst welche sind – befragt. Die Befragung lieferte klare Indikatoren dafür, dass das Ansehen der Wissenschaft massiv leiden könnte, wenn in den Spitzen unserer Gesellschaft achselzuckend gesagt wird „Naja, kann ja mal vorkommen, so falsche Zitate.” Bei einem so brandaktuellen Thema ist das Internet das Medium der Wahl, noch vor dem Fernsehen.
Was halten Sie als Wissenschaftsjournalist eigentlich von Fernsehformaten wie Galileo oder Wunderwelt Wissen?
Meine Kinder schauen Galileo ab und zu und schätzen es; mir selbst steht eigentlich kein Urteil zu, da ich kein regelmäßiger Fernsehzuschauer bin. Grundsätzlich finde ich es gut, wenn Themen der Wissenschaft auf verschiedensten Niveaus mit unterschiedlichstem Anspruch verschiedenen Zielgruppen innerhalb unserer Gesellschaft nahe gebracht werden. Wenn Formate zu Übertreibungen und künstlicher Inszenierung neigen und nur mit Superlativen und riesigen Zahlen hantieren, habe ich persönlich aber ein Problem damit. Es ist auch interessant, wie Menschen an Wissenschaftsthemen herangeführt werden. Mehrfach schon habe ich SdW-Leser kennengelernt, die als Jugendliche über das P.M. Magazin ihren Zugang zur Wissenschaft fanden, aber mit den Jahren eben mehr wollten und umstiegen.
Sie schätzen es also, dass man als Rezipient in Deutschland auf jedem Niveau abgeholt werden kann?
Ja, die Entwicklung der Medien bietet gerade mit dem Internet so viel mehr Möglichkeiten zu kommunizieren. Auch wissenschaftliche Themen können auf den verschiedenen Kanälen gespielt werden – bis hin zu Twitter. Meine persönliche Bedingung würde stets lauten, dass es seriös sein sollte. Das ist leider nicht immer und überall der Fall – ich hoffe, dass es bei SdW stets der Fall ist. Grundsätzlich finde ich es gut, wenn es keine medialen Bereiche gibt, die völlig brachliegen und wo man gar nichts erfahren kann.
Haben Sie eine Zeitschrift, mit der Sie sich Zugang zu einem Thema verschaffen, wenn Sie selbst Laie sind?
In meinem Fall ist das ein bisschen luxuriös. Wenn ich auf ein Thema stoße und mich frage, was da wohl dran ist, dann kenne ich mit großer Wahrscheinlichkeit jemanden, bei dem ich eine persönliche Einschätzung einholen kann. Entweder schreibe ich dazu eine E-Mail oder gehe in eines der Büros gleich
nebenan.
Herr Könneker, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Michaela.
Dr. Carsten Könneker (Jahrgang 1972) ist Chefredakteur der Magazine Spektrum der Wissenschaft, Spektrum epoc und Gehirn&Geist. Außerdem leitet er das Blog-Portal SciLogs.de und das Portal www.spektrumdirekt.de, dessen Relaunch er aktuell mit seinem Team vorbereitet. Seit August 2011 ist er auch für die neue Kinderheftreihe Spektrum neo verantwortlich. Er hat in Aachen und Köln Physik, Germanistik und Philosophie studiert.
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