Wie produzieren und reproduzieren deutsche Medien ethnische Stereotype? Und wie kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden? Eine Gruppe von Studenten der Universität Erfurt hat sich mit diesen Fragen befasst.
von Projektgruppe Fremdwort
Mit der Aufdeckung der rechtsextremen Mordserie im November 2011 begann die öffentliche Diskussion über einen Begriff, der die Opfer der NSU-Terrorzelle verhöhnte und Angehörige ethnischer Gruppen in Deutschland diskriminierte: „Döner-Morde“. Ein Unwort in der Medienberichterstattung, das die Ermordung von Menschen verharmlost, die Opfer verdinglicht – sie zu Dönern macht. Dies ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie Stereotype das Bild der Mehrheitsbevölkerung prägen und Vorurteile in den Köpfen verankern können, insbesondere, wenn sie über die Medien transportiert werden. In einer Studie im Rahmen unserer Bachelorarbeit gingen wir der Frage nach, welche sprachlichen Stereotype bei der Berichterstattung über ethnische Gruppen in deutschen Tageszeitungen verwendet werden und ob dies intentional oder nicht intentional geschieht.
Bei der Analyse von 100 Artikeln aus vier regionalen Tageszeitungen (Freies Wort, Thüringer Allgemeine, Oberhessische Zeitung und Wiesbadener Tagblatt) zeigten sich drei Arten von Stereotypen, die die Berichterstattung im Lokaljournalismus prägen: Nationenstereotype (die „Pleite-Griechen“), Religionsstereotype (Muslime als Bedrohung) und Gruppenstereotype (Migranten, Ausländer und Flüchtlinge als „Fremde“). Neben den altbekannten (z.B. „fauler Südländer“) wurden auch neue Begriffe geprägt. Diese laufen nun Gefahr, sich ihrerseits als Stereotype zu verfestigen, wie beispielhaft in einem Artikel in der Oberhessischen Zeitung vom 16.11.2011: „Eine Spur ‚griechischer Verhältnisse‘ durchzieht das öffentliche Finanzgebaren in Deutschland“.
Der Vergleich zwischen Hessen und Thüringen zeigte, dass in Thüringen negativer über ethnische Gruppen berichtet wird, obwohl (oder aber gerade weil) der Ausländeranteil mit gerade einmal zwei Prozent der Bevölkerung deutlich niedriger liegt. Wie die Journalisten selbst in Interviews mit uns sagten, versuchen sie, die Ausländer in die „normale“ Berichterstattung mit einzubeziehen. Trotzdem kommen Angehörige ethnischer Gruppen selbst fast gar nicht zu Wort.
Die Verwendung von Stereotypen ist stark von den Medienschaffenden und ihrem Bewusstsein für Stereotype abhängig. So wird der „heißblütige Italiener“ gerne mal als nette Formulierung abgetan, ohne zu hinterfragen, ob dadurch zweifelhafte Denkmuster reproduziert werden. Zwar betrachten die Journalisten – laut eigener Aussage – ethnische Zuschreibungen meist als nicht erforderlich. Dennoch zeigte unsere Analyse, dass die Abgrenzung aufgrund eines scheinbar „nichtdeutschen“ Erscheinungsbildes immer dann eine Rolle spielte, wenn Kriminalität oder negative Inhalte im Zusammenhang mit ethnischen Gruppen standen: „Die Polizei warnt vor rumänischen Bettlern, die am Mittwochmittag (…) aggressiv bettelten. (…) Ihre Hautfarbe war entsprechend ihrer Herkunft (…) dunkel.“ (Oberhessische Zeitung, 18.11.2011)
Stereotype sind, nach sozialwissenschaftlicher Definition, nicht per se wertend. Sie verfestigen sich aufgrund bestimmter Merkmale, die Personen oder Kollektiven zugeschrieben werden. Erst das Verhalten, das sich möglicherweise aus diesem Bild ergibt, kann sich in Vorurteilen und diskriminierendem Handeln äußern. Trotzdem muss die Verantwortung der Journalisten in den öffentlichen Diskurs gerückt werden, da sie mit der (Re-)Produktion von Stereotypen Vorurteile innerhalb der Leserschaft prägen können.
Im Vergleich mit älteren Studien zeigte unsere Untersuchung allerdings auch, dass sich ein Wandel der Institution Zeitung abzeichnet: Man setzt sich offener mit der pluralistisch und kulturell vielfältigen Gesellschaft auseinander, als es noch vor zehn Jahren der Fall war. Dies bestätigte sich auch zum Teil im Zusammenhang mit dem Begriff „Döner-Morde“. Die Journalisten reflektierten dessen Verwendung, wie einer der Befragten beschreibt: „Im Nachhinein war das natürlich ein Fehler. Man hätte damals noch mal darüber nachdenken müssen – das hat man wahrscheinlich, wie viele andere Zeitungen, nicht getan. (…) Wir haben daraus geschlossen, dass wir bei ähnlichen Fällen künftig vielleicht – oder nicht vielleicht, sondern möglichst – noch einmal genauer hinschauen.“
Dies bleibt zu hoffen, jedoch zeigte die Berichterstattung im Nachgang der Veröffentlichung unserer Ergebnisse, dass die Kritik an Journalisten und die Forderung nach ihrer Sensibilisierung dem ein oder anderen widerstrebt. So schrieb ein TA-Redakteur, dass es fragwürdig sei, ob man über Zuschreibungen nachdenken müsse im Sinne einer „vermeintlichen political correctness“. Genau dieser Denkansatz ist falsch. Es geht nicht um politische Korrektheit, es geht darum, diskriminierende Sprachmuster zu entdecken, zu vermeiden und so zu einer vorurteilsfreien Sprache beizutragen und dadurch Diskriminierung verbaler wie physischer Art entgegenzutreten. Dabei müssen auch Journalisten Verantwortung zeigen und tragen!
Die Mitglieder der Projektgruppe Fremdwort sind Elisabeth Addicks, Alina Beck, Anja Reith, Alina Sauer, Christian Schaft und Christiane Scharf. Die Studie mit dem Titel „Ethnische Stereotypisierung in deutschen regionalen Tageszeitungen“ haben die sechs Studenten der Universität Erfurt im Rahmen ihrer Bachelorarbeit durchgeführt. Betreut wurden sie durch Dr. Heiner Stahl vom Lehrstuhl für Kultur- und Medientheorie der Universität Erfurt.
Die Studie wurde mittlerweile in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht (abrufbar hier als pdf).Kontakt zur Projektgruppe: Fremd.Wort[at]gmx.de
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