Aktualisierung:
Der Geschäftsführer des Studentenwerks Thüringen, Dr. Ralf Schmidt-Röh, führte kurz nach der Veröffentlichung dieses Artikels ein klärendes Gespräch mit Herrn Bhattacharya und Frau Dr. Voß.
Fast zeitgleich mit der Publikation dieses Artikels entfernte das Studentenwerk Thüringen das nicht unumstrittene Bild von seinem Webauftritt. Daher wurde auch unten stehendes Bild entsprechend verändert.
Die neue Website des Studentenwerks erleichtert nicht nur die Speiseplanfindung, sondern auch die Verbreitung von diskriminierenden Stereotypen.
von gouze
Anfang voriger Woche ging die optisch aufpolierte Website des Studentenwerk Thüringens online. Neben glatten modernen Oberflächen setzt sie auch auf Nähe zum Betrachter; auf einer Slideshow werden junge Menschen in mehr oder weniger alltäglichen Situationen dargestellt. Sobald die Bilderstrecke durchgelaufen ist, muss man jedoch stutzen: Die einzige farbige Person, die auf den Bildern zu sehen ist, wird als Küchenkraft dargestellt. Mit Tellerstapeln in beiden Händen und einen weiteren auf dem Kopf balancierend wird ein junger Mann in Servicekleidung gezeigt. Auf den restlichen Aufnahmen sind ausnahmslos weiße Menschen, mal alleine, mal mit Kind, mal als Gruppe.
Die Abgelichteten, alle Studenten an den hiesigen Hochschulen, wurden im Sommer dieses Jahres von einer Mitarbeiterin des Kulturbüros angeworben und vertraglich zum Abtreten ihrer Bildrechte gebunden. Zur Vergütung für den zeitlichen Aufwand bekamen die Teilnehmer zehn Mensa-Wertmarken à 1,50 Euro.
Bei der betroffenen Person handelt sich um Supriyo Bhattacharya (27). Der Magister-Absolvent hat seine Empörung über Inhalt und Zusammenstellung der Bilder an Dr. Elke Voß (Leitung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) und Annett Uebel (Webmaster des Studentenwerks) geleitet. Die Antwort darauf kam prompt und unfreundlich:
„Wir bedauern auch, dass Sie offenbar nicht verstanden haben, wofür Sie an diesem Shooting teilgenommen haben. Wir bitten, sich noch etwas zu gedulden, bis auch U. E. wieder aus dem Urlaub zurück ist, denn bei ihr hatten Sie ja den Vertrag unterzeichnet. Wir erklären Ihnen dann gern nochmal die Details und sind auch bereit, Ihr Foto ggfalls von der Homepage zu nehmen.“ [sic!]
Das Studentenwerk beweist hier wenig Weit- und Umsicht, als Anstalt des öffentlichen Rechts handelt es bisweilen ausgesprochen fahrlässig und zum Schaden privater Personen. Bhattacharya schildert, dass er nur wenige Tage nach der Veröffentlichung des neuen Webauftritts als „der Koch des Studentenwerks“ auf der Straße begrüßt wurde.
Das Studentenwerk schadet sich aber auch selbst massiv, denn abgesehen von einer bisher nicht geäußerten simplen Entschuldigung, transportiert es das Stereotyp des Ausländers, der es in Deutschland nicht weiter als auf den Aushilfsposten in der Kantine gebracht hat. Und diese Darstellung erreicht mindestens 50.000 Menschen, das ist die Zahl der Studenten an Thüringens Hochschulen und Berufsakademien, die den Internetauftritt nutzen, um sich über die Gerichte in Mensen und über die weiteren Dienstleistungen zu informieren.
Frau Uebel antwortete auf die Bitte von Bhattacharya, die Bilder sofort zu entfernen:
„Diese Fotos sind Symbole, die für einen bestimmten Bereich im Studentenwerk stehen. Das sollten bewusst keine Mitarbeiter von uns sein und junge Leute, damit alles etwas lockerer und spielerischer wirkt. Ich habe jetzt leider wie gestern schon gesagt nicht die Zeit, das alles im Detail zu erläutern, weil es noch eine Menge andere wichtige Inhalte gibt, die korrigiert werden müssen. Es ist mir nicht möglich, jetzt sofort Ihr Bild vom Netz zu nehmen, denn es muss vorher ein anderes Bild vorbereitet werden. Wir haben vor, Ihr Bild zu entfernen, aber das wird nicht heute und nicht morgen.“ [sic!]
Als sei die Problematik durch die Bilder im Webauftritt nicht schon groß genug, so wurde auch im Printbereich kein Fettnäpfchen ausgelassen. Das infood, Monatsmagazin des Studentenwerks, hat sich der Bewerbung der neuen Internetpräsenz verschrieben. Auf die erste Seite im Heft hat es das Bild des vermeintlichen Küchenangestellten geschafft. Im nebenstehenden Text wird stolz verkündet, dass die über Monate geplante und gestaltete Website alle Angebote des Studentenwerks optisch ansprechend als auch inhaltlich verständlich darstellen soll.
Nach der Lektüre bleibt letztendlich die Frage was optisch ansprechend vermittelt werden soll.
Bhattacharya ist wütend, er war von August 2010 bis einschließlich Juli 2011 selbst als studentische Hilfskraft beim Studentenwerk angestellt und hat mit mehr Entgegenkommen gerechnet. Während er zu Beginn der Angelegenheit noch auf Verständnis für seine Situation gehofft hatte, ist er mittlerweile nur noch enttäuscht. Denn Frau Voß versicherte ihm in ihrer letzten Mail, dass für die Änderung des Bildes auf der Website anfallende Kosten in Rechnung gestellt würden.
Wenn diese Aussagen der Presse- und Öffentlichkeitsstelle wirklich die Ansicht des Studentenwerks über den Stellenwert von Diskriminierungen und Vorurteilen wiederspiegeln sollte, dann steht es wahrhaftig schlecht um die Multikulturalität im Freistaat.
Stimmen studentischer Vertreter hierzu:
Johannes Struzek (21, Vorstand des Studierendenrates):
Für mich ist es unverständlich, wieso das Studentenwerk nicht einfach seine Homepage ändert. Wenn Supriyo Bhattacharya offensichtlich nicht auf der Homepage abgebildet werden möchte, muss das vom Studentenwerk respektiert werde. Diese totale Antihaltung gegen die Einwände von ihm ist so nicht hinnehmbar.
Marcel Eilenstein (Referent gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit):
Die rassistische Darstellung des scheinbar einzigen abgebildetem Menschen mit Migrationshintergrund als „jonglierenden Tellerwäscher“ entspricht nicht den Mindeststandarts, die das Studentenwerk in seinem zwanzigjährigem Bestehen an interkulturellen Erfahrungen gesammelt haben sollte. Hier werden seitens des Studentenwerkes Stereotype propagiert, die wir für längst überholt gehalten hätten.
Christina Wendt (23, Vorstand des Referat für Interkulturellen Austausch):
Für uns ist der unsensible und unreflektierte Umgang mit Stereotypenbildern von Menschen anderer Kulturen unverständlich. Vor allem vor dem Hintergrund, dass Supriyo Bhattacharya eineinhalb Jahre Mitarbeiter des Studentenwerkes war und im Haus auf der Mauer – als Bürokraft und Koordinator des Hauses und nicht als Koch – gute Arbeit leistete, ist die Reaktion des Studentenwerkes noch unverschämter. Nicht nur dass der Vorfall banalisiert und heruntergespielt wird, wo Supriyo ganz offensichtlich Nachteile beispielsweise in Form abwertender Kommentare in der Öffentlichkeit hinnehmen muss und Bedenken über das vermittelte Bild seiner beruflichen Qualifikation geäußert hat; sondern ihm wird auch noch Schuld an diesem „Vorfall“ gegeben und mangelnde Intelligenz unterstellt, da er angeblich hätte wissen müssen, wie das Konzept aussähe. Daher fordern wir als Minimum, dass das Bild sofort von der Homepage genommen wird.
Aktualisierung:
Lest hier die Gegendarstellung des Studentenwerks Thüringen.
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