Wolfgang Koydl, Korrespondent bei der Süddeutschen Zeitung, berichtet in 33 Kapiteln kenntnisreich über Skurriles aus der Schweiz.
von David
Schokolade, Ricola und Banken – das dürften wohl die Stichworte sein, die vielen Deutschen einfallen, wenn sie „Schweiz“ hören. Doch gerade der große Erfolg der Initiative gegen den Bau von Minaretten Ende 2009 demonstrierte vielen europäischen Beobachtern, dass die Eidgenossenschaft sich möglicherweise nicht nur auf Süßigkeiten, Lutschpastillen und Nummernkonten reduzieren lässt.
Der deutsche Journalist Wolfgang Koydl, der unter anderem in Moskau, Kairo, Washington, Istanbul, und London als Korrespondent gearbeitet hat, schreibt seit 2011 für die Süddeutsche Zeitung aus der Schweiz. In 33 kurzen Berichten beschäftigt er sich in einem „Selbstversuch“ mit schweizerischen Eigenheiten. Die thematische Spannweite reicht von erwartbaren Gegenständen wie Jodeln, Kuhglocken (die eigentlich Schellen heißen), Uhren, Kühen, Schokolade, Dialekt und Käsefondue bis zu eher abseitigen Kapiteln über Postbusfahren, Ring-Sport und Absinth-Brennerei.
Zwischen Erlebnisbericht und kulturhistorischen Einschüben entzaubert Koydl die Schweiz – und bringt sie daher auf detailreiche und differenzierte Weise den Lesern greifbar näher. Diese Entzauberung wird vielleicht am deutlichsten, wenn er in einer Touristen-Straßenbahnfahrt durch Zürich das berühmte Schweizerische Käsefondue ausprobiert. In diesem „Orientexpress für Arme“, dessen Fahrzeit kürzer ist als das eingenommene Essen, enttarnt Koydl das Käsefondue als „erfundene Tradition“: Ursprünglich war dieses ein Notrationsessen der Schweizerischen Armee in den 1950er Jahren, und es wurde dann von der Käseindustrie mittels geschicktem Marketing zum schweizerischen Traditionsgericht par excellence „gemacht“. In einem anderen Kapitel besucht Koydl eine Jodelschule, wo er den Unterschied zu österreichischem und bayerischem Jodeln lernt und in Erfahrung bringt, dass Jodel-Elemente in der US-Country-Musik unter anderem auch auf schweizerische Einwanderer zurückzuführen sind, die ihre Gesangsform in der Appalachen-Region mit ebenfalls jodelnden irischen Immigranten verbanden.
Nicht nur dies und die lange bundesstaatlich-republikanische Tradition verbindet die Schweiz mit den USA, sondern auch ein fetischisiertes Verhältnis zu Schusswaffen, das in Europa eher ungewöhnlich ist: Hier, genauer gesagt an einem Zürcher Schießstand, den Koydl besucht, verbinden sich eine lange Söldner-Tradition und ein republikanisches Verständnis demokratischer Wehrhaftigkeit mit ungezügeltem machohaftem Militarismus und einer irrationalen Paranoia vor Fremden. Hinter dem „Biedermann“, der sein Sturmgewehr zu Hause aufbewahrt, erscheint hier ein „Ballermann“, der sich gebärt „wie Obelix, wenn er mal wieder keine Römer abgekriegt hat“.
Die abseitigeren der 33 Dinge, die man in der Schweiz unbedingt getan haben sollte, sind stellenweise sogar die interessantesten. So gehört etwa Qualitätsjournalismus zu den eher unbekannten Gütern, die der südliche Nachbar produziert. Die traditionsreiche, 1780 gegründete Neue Zürcher Zeitung steht jedoch auch international anerkannt genau dafür. Bei einem Besuch in den altehrwürdigen Redaktionsräumen – die Zeitung ist noch nie umgezogen – erfährt Koydl, wie Tradition mit (Post-)Moderne verbunden wird, und erlebt die merkwürdigste Redaktionssitzung, die er je gesehen hat: schnell, themen- und sachbezogen, effizient, und stehend an einem Tresen abgehalten. Doch im Zeitalter des Zeitungssterbens wird sich perspektivisch auch die NZZ, die nicht für Aktualität, sondern für profundes Sachwissen steht, möglicherweise immer mehr auf die Online-Ausgabe konzentrieren müssen.
Koydl ist ein sympathischer Band gelungen. Seine Schreibweise ist höchst angenehm, witzig und vor allem auch sehr selbstironisch: Wenn sich der deutsche Journalist über etwas lustig macht, dann über sich selbst. Den Menschen, Gegenständen, Bräuchen, auf die er bei seiner kleinen investigativen Odyssee trifft, begegnet er stets mit gebührendem Respekt. Vor dem anderen Extrem, das ein solches Buch bringen kann, nämlich der etwas unkritisch-naiven Überhöhung des eidgenössischen Exotischen, ist Koydl hingegen nicht immer ganz gefeit.
Die allerbesten Kapitel machen jedoch nicht nur dies, sondern auch das unfassbar bescheuerte Layout des Covers (und den grenzdebilen Titel) wieder wett. In „Die Helden der Passstraße: Wie wird man eigentlich Postbus-Chauffeur“ zeigt Koydl, wie unglaublich mitreißend und spannend das Thema öffentliche Verkehrsmittel in Gebirgsregionen sein kann. In „Tristesse républicaine: Ein glorreich verregneter Sonntag in Genf“ überschreitet der Deutsche gar die Grenze des Journalistischen hin zum Essayistischen und Literarischen. In assoziativen Bildern über calvinistischen Puritanismus und Wochenends-Vergnügungen begründet er, warum ein verregnetes, menschenleeres und sonntägliches Genf nicht nur liebenswert ist, sondern möglicherweise auch das ultimative Schweiz-Erlebnis bietet.
Wolfgang Koydl
33 Dinge, die man in der Schweiz unbedingt getan haben sollte. Ein teutonischer Selbstversuch
orell füssli Verlag 2013
239 Seiten
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