In diesem Sommer wird Kroatien 22 Jahre nach seiner Unabhängigkeit der Europäischen Union beitreten – und schaut mit gemischten Gefühlen auf den faschistischen Ustaša-Staat zurück, der im Zweiten Weltkrieg Serben, Juden und Roma ermordete.
von David
Thompson ist eine der erfolgreichsten Folkrock-Bands in Kroatien. Benannt ist sie nach dem Spitznamen ihres Sängers, der als Soldat während des Kroatienkrieges eine US-amerikanische Thompson-Maschinenpistole zugeteilt bekam. Die Gruppe füllt ganze Fußballstadien, wie etwa im Sommer 2007 Zagrebs größtes Stadion Dinamo, sorgt aber für befremdete Reaktionen im In- und Ausland. Sie begrüßt ihre Zuschauer stets mit dem Ustaša-Gruß „Za dom! [Für die Heimat!]“. Die Fans antworten mit „Spremni! [Bereit!]“. Viele von ihnen tragen schwarze Mützen der Ustaša oder schwarze T-Shirts mit aufgedruckten U-Großbuchstaben, während Thompson auf der Bühne Lieder spielt, in denen unter anderem von Mord an Serben geschwärmt wird.
Knapp acht Jahrzehnte zuvor wurde die faschistische kroatische Partei Ustaša (zu deutsch: „Der Aufständische“) gegründet, die gegen das Königreich Jugoslawien und für die Errichtung eines großkroatischen Staates mit terroristischen Mitteln kämpfte. Im Zweiten Weltkrieg wurde aus der Untergrundorganisation eine Staatspartei: Jugoslawien wurde nach dem Einmarsch deutscher und italienischer Truppen aufgelöst und auf dem Territorium des heutigen Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas errichtete die Ustaša im Sommer 1941 den „Unabhängigen Staat Kroatien“. Sie begann zur Verwirklichung ihrer großkroatischen Ideologie systematisch, Serben, Juden und Roma zu verfolgen. Das Lager Jasenovac, etwa 100 Kilometer süd-östlich von Zagreb gelegen, wurde zum Sinnbild des Ustaša-Terrors: das einzige Vernichtungslager im Zweiten Weltkrieg, das nicht von deutschen Nationalsozialisten betrieben wurde. Allein hier starben etwa 90.000 Menschen.
Nach dem Krieg stand die Selbstbefreiung Jugoslawiens durch Titos Partisanen, die zu Heroen stilisiert wurden, im Vordergrund der Kriegserinnerung. Derweilen wurden die Opfer des Ustaša-Regimes keineswegs verschwiegen, doch die Denkmäler, die in ganz Jugoslawien gebaut wurden, waren mehrheitlich den siegreichen Partisanen-Kämpfern gewidmet. Die ethnische Dimension der Ustaša-Gewalt wurde komplett ausgeblendet: Das für die Legitimation Jugoslawiens überlebenswichtige Dogma der „Brüderlichkeit und Einheitlichkeit“ sollte nicht durch ethnische Schuldzuweisungen gefährdet werden.
Bleiburg vs. Jasenovac
Ende der 1960er Jahre griffen oppositionelle kroatische und serbische Historiker diesen geschichtspolitischen Konsens an und fragten gezielt nach dem eigenen Status als Opfer und nach der Schuld der anderen Volksgruppe. Diese zunehmend nationalistischen Opfernarrative gewannen Ende der 1980er Jahre immer mehr Zuspruch, als Jugoslawien zu zerfallen begann.
Die „Kroatische Demokratische Union“ (HDZ) unter Präsident Franjo Tuđman räumte nach ihrem Wahlsieg 1990 mit der sozialistischen Geschichtspolitik auf: Sie ließ tausende Partisanendenkmäler in Kroatien entfernen und benannte zahllose Straßen um. Am symbolträchtigsten wurde der Zagreber „Platz der Opfer des Faschismus“ – wo ein ehemaliges Verhörzentrum der Ustaša stand – in „Platz der großen kroatischen Führer“ umbenannt. Damit war klar, wohin die neue kroatische Geschichtspolitik führte, nämlich zur Verharmlosung, gar zur positiven Rückbesinnung auf das Ustaša-Regime. Dieses galt nun nicht mehr als verbrecherisches Regime, sondern als Ausdruck des kroatischen Strebens nach Unabhängigkeit. Mit dem Verschwinden von Partisanendenkmälern tauchte zugleich auch faschistische Symbolik in der Öffentlichkeit auf: Fotografien des Ustaša-Führers Ante Pavelić hingen in Läden aus und Ustaša-Lieder tönten aus den Straßenlautsprechern.
Zum zentralen Erinnerungsort in dieser Zeit wurde die österreichische Gemeinde Bleiburg: Auf der Flucht vor den Partisanen kapitulierte hier die kroatische Armee im Mai 1945 vor den Briten. Nach der vereinbarten Auslieferung der Gefangenen begann die jugoslawische Volksbefreiungsarmee mit Massenhinrichtungen an Ustaša-Aktivisten und kroatischen Soldaten. Diese Verbrechen der Tito-Partisanen wurden im sozialistischen Jugoslawien tabuisiert, rückten nun aber umso mehr ins Zentrum der kroatischen Geschichtspolitik. Der kroatische Staat inszenierte in Österreich große Gedenkveranstaltungen, die im kroatischen Fernsehen live übertragen wurden – inklusive der Zurschaustellung von Ustaša-Symbolik.
Die 1965 eingerichtete Gedenkstätte Jasenovac wurde hingegen weiter marginalisiert. Während Bleiburg mit Begrifflichkeiten wie „kroatischer Holocaust“ das Opfernarrativ der Tuđman-Regierung stärkte, senkte eine Parlamentskommission die offizielle Zahl der Opfer im Lager Jasenovac auf 2.000 Tote. In einem Projekt der sogenannten „nationalen Versöhnung“ wollte Präsident Tuđman die Opfer der Bleiburg-Massaker – unter denen sich zahlreiche Kriegsverbrecher befanden – in die Gedenkstätte Jasenovac umbetten. Dieser makabre „Knochenmix“, wie kritische Journalisten in Kroatien diesen Plan nannten, wurde aufgrund massiver internationaler Proteste letztlich nicht in die Tat umgesetzt.
Franjo Tuđmans Tod im Jahre 1999 beendete eine autoritäre Ära und legte mit nunmehr fairen Wahlen und freien Medien nicht nur den Grundstein für einen Regierungswechsel, sondern auch für eine allmähliche Wandlung der kroatischen Geschichtskultur. So wurde der „Platz der großen kroatischen Führer“ wieder in „Platz der Opfer des Faschismus“ umbenannt. Der kroatische Staat nahm nun auch an Gedenkstätten in Jasenovac teil, und 2003 verurteilte Präsident Stjepan Mesić dort alle Verbrechen, die im Namen des kroatischen Volkes begangen wurden – eine Geste, die er alljährlich bis zum Ende seiner Amtszeit 2010 wiederholte.
Auch in Tuđmans Partei HDZ hat ein Umdenken stattgefunden. Nach deren Wahlsieg 2003 ächtete auch Premierminister Ivo Sanader ausdrücklich das Ustaša-Regime und dessen Verbrechen. Doch diese neue Einsicht wurde zugleich mit merkwürdigen und ambivalenten Querverweisen auf andere zeithistorische Ereignisse gekoppelt: Im selben Atemzug nannte Sanader auch die Verbrechen des „serbischen Faschismus“, denen in den 1990er Jahren Kroaten zum Opfer fielen – eine Bemerkung, die er auch bei einem Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel wiederholte. Dort betonte er, wie ähnlich die Leidensgeschichte der Kroaten im Weltkrieg und in den jugoslawischen Zerfallskriegen dem jüdischen Leiden sei.
Gedenken ohne Täter?
Derweilen wurde 2006 die Gedenkstätte Jasenovac mit einer überarbeiteten Dauerausstellung neu eingeweiht. Unter anderen Vorzeichen folgt auch sie dem Trend zum Opfernarrativ. Etwa 75.000 Todesopfer werden mit Namen und nationaler Zugehörigkeit gelistet – letzteres ein Kriterium, das heftige Debatten ausgelöst hat, nun aber die genozidal antiserbische, antisemitische und antiziganistische Dimension der Ustaša-Verbrechen deutlich macht. Die Täter jedoch haben überhaupt keinen Platz in der Gedenkstättenkonzeption gefunden. In einem Staat, in dem die Religion seit 1990 eine Renaissance erfährt, würde dies auch bedeuten, die massive Beteiligung katholischer Geistlicher an den Morden zu diskutieren – bis heute ein Tabuthema.
Mit jährlich etwa 8.000 Besuchern ist die Gedenkstätte Jasenovac heutzutage nur spärlich besucht. Ganz im Gegensatz zu den Konzerten der Band Thompson, zu denen an nur einem Abend Zehntausende Fans strömen. Die kroatische Regierung hat sich im Juni 2007 nach deren großen Auftritt im Zagreber Dinamo-Stadion von ihr distanziert – freilich sehr vorsichtig und halbherzig.
Im demokratisierten Kroatien auf dem Weg in die EU sind Diskussionen um die Vergangenheit vielfältiger geworden, und es gibt durchaus besonnene Stimmen, die für eine vielschichtigere Beschäftigung mit der kroatisch-jugoslawischen Vergangenheit plädieren. Dennoch werden kroatische Verbrechen nur stockend thematisiert: entweder in verherrlichender Absicht, oder gar nicht, oder in sofortiger relativierender Abwägung mit serbischen Kriegsverbrechen in den 1990er Jahren. Besonders vor dem zeitlich näheren Hintergrund der jugoslawischen Zerfallskriege scheint es nach wie vor einfacher, die Verbrechen der „anderen“ anzuprangern.
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